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Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika
"Wir müssen über eine Neujustierung nachdenken"

Um die Fluchtursachen in Afrika nachhaltig zu bekämpfen, müsse man über einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit nachdenken, sagte Info Badoreck, Generalsekretär der Deutschen Afrika Stiftung, im DLF. Es müsse viel mehr Geld für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder zur Verfügung gestellt werden.

Ingo Badoreck im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht in Bamako in Mali nach einem Gespräch zwischen Vertretern verschiedener religiöser Gruppen in Mali.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht in Bamako in Mali nach einem Gespräch zwischen Vertretern verschiedener religiöser Gruppen in Mali. (dpa-Bildfunk / Michael Kappeler)
    Ann-Kathrin Büüsker: Gestern machte Merkel Station in Mali, heute ist sie in Niger, morgen dann in Äthiopien. Das Ziel auf dieser Reise ist: Herausfinden, wie man vor Ort bei der Eindämmung von illegaler Migration helfen kann. Darüber möchte ich nun mit Ingo Badoreck sprechen, Generalsekretär der Deutschen Afrika Stiftung. Schönen guten Tag!
    Ingo Badoreck: Ja, guten Tag!
    Büüsker: Herr Badoreck, Entwicklungshilfeminister Müller, der hat vor der Reise der Kanzlerin noch einmal davor gewarnt, dass der Migrationsdruck aus Afrika mittelfristig steigen wird. Teilen Sie diese Einschätzung?
    Badoreck: Ja, das würde ich auch so sehen, einfach vor dem Hintergrund, dass wir eine Entwicklung haben, dass sich die Menschen in Afrika bis 2050 verdoppeln werden. Über zwei Milliarden Menschen werden dann in Subsahara-Afrika leben. Und der Anteil junger Menschen an der Bevölkerung Afrikas unter 35 Jahre ist mit circa 65 Prozent jetzt schon überproportional hoch und wird sich in Zukunft noch erhöhen. Von daher teile ich die Einschätzung von Bundesminister Müller.
    Büüsker: Was brauchen die Länder in Afrika dann, um zu verhindern, dass all die Menschen tatsächlich versuchen, die Länder zu verlassen? Ist es eher wirtschaftliche Unterstützung oder eher Hilfe beim Aufbau eines Sicherheitsapparates? Was hilft?
    Badoreck: Ich glaube, man muss ganz klar differenzieren zwischen den Ländern und Länder wie Niger, Mali, Äthiopien, nur diese drei Länder haben schon ganz unterschiedliche Herausforderungen, damit umzugehen, wenn sie sich um Migration kümmern. Ich denke, grundlegend kann man sagen, dass die bisherige Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit vielleicht neu überdacht werden müsste, auch anlässlich der Fluchtursachenproblematik, und wir verstärkt auf das hören, was uns die afrikanischen Partner sagen, aber auch die Experten, nämlich dass wir viel mehr Geld für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder zur Verfügung stellen müssten, um den Migrationsdruck zu verringern.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, die bisherige Politik muss überdacht werden, was ist dann bisher falsch gelaufen?
    "Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist der beste Weg, um Migrationsbewegungen einzudämmen"
    Badoreck: Ich gebe Ihnen einfach mal ein paar Zahlen. Im Moment ist das Budget des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit - das ist das Ministerium, was im Großen und Ganzen die Mittel hat, um im Bereich Fluchtursachenbekämpfung in Afrika aktiv zu werden - mit 7,4 Milliarden das höchste, was wir in der Geschichte der Bundesrepublik haben. Nächstes Jahr wird es auf über acht Milliarden anwachsen. Das sind wirklich Größenordnungen, mit denen man schon eine ganze Menge politisch auch bewirken kann. Wir haben im Moment 1,6 Prozent dieses Budgets, das für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft vorgesehen ist, und das wird sich im nächsten Entwurf des Haushalts wahrscheinlich auch nicht stark vergrößern. Man müsste mal grundsätzlich über einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit mit der Privatwirtschaft nachdenken, wenn man wirklich nachhaltig was für Fluchtursachenbekämpfung in Afrika tun will.
    Büüsker: Das heißt, aus Ihrer Sicht ist es viel wichtiger, dass auch Unternehmen sich in Afrika engagieren?
    Badoreck: Wir müssen gucken, wo wir den Hebel haben als Deutschland, und ich denke mal, das Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort der beste Weg ist, um Migrationsbewegungen einzudämmen. Das setzt sich so langsam durch. Ich denke mal, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen ist es die Stärkung der lokalen Privatwirtschaft in Afrika durch Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit - sicherlich gut, kann ausgebaut werden. Die Unternehmen müssen dort vereinfacht Zugang zu Krediten und Finanzierungsmöglichkeiten bekommen. Aber wir als Deutschland haben natürlich einen besonders guten Hebel mit der deutschen Wirtschaft, die auf dem afrikanischen Kontinent immer noch sehr schwach vertreten ist, und da könnte man zum Beispiel überlegen, dass man einfach probiert, die deutsche Wirtschaft verstärkt zu unterstützen, sich in Afrika aktiv zu zeigen, und das auch besonders vor dem Hintergrund, dass unser unique selling point, die duale Ausbildung, die in afrikanischen Ländern dringend gesucht wird - wir haben teilweise Jugendarbeitslosigkeit von über 70 Prozent in diesen Ländern -, dass wir da was bieten können als deutsche Wirtschaft oder auch als Deutschland, was die afrikanischen Länder dringend brauchen.
    Büüsker: Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, ich wäre deutsche Unternehmerin, warum sollte ich zum Beispiel ausgerechnet nach Mali gehen, ein Land, das enorme innere Konflikte hat?
    "Jetzt ist vielleicht mal der Anlass, über eine gewisse Neujustierung nachzudenken."
    Badoreck: Mit Mali haben Sie sich jetzt natürlich ein Beispiel ausgesucht, was schwierig ist. Es gibt aber genug andere Länder, wo wir sehen, dass die deutschen Unternehmen verstärkt investieren und auch verstärkt Handel betreiben. Ich denke jetzt mal lieber an Ostafrika, Kenia, Tansania, Sambia und andere Länder, Nigeria gehört sicherlich auch dazu, wo die deutsche Wirtschaft schon vor Ort tätig ist. Es gibt beispielsweise in Kenia über 100 deutsche Unternehmen, die über 5.000 Arbeitsplätze schaffen, und jetzt könnte man natürlich überlegen, wie man anderen deutschen Unternehmen es noch einfacher macht, mit Afrika Handel zu treiben und dann auch letztendlich Investitionen zu tätigen, und da gibt es eine Menge Instrumentarien in der Entwicklungszusammenarbeit, die bisher meines Erachtens noch nicht ausreichend genutzt worden sind, und es ist jetzt ein guter Anlass, sich darüber mal Gedanken zu machen, wie wir die Finanzierungsinstrumente für die deutsche Wirtschaft in Afrika verbessern können, damit wir einfach mehr deutsche Unternehmen haben, die in Afrika tätig werden, mehr Arbeitsplätze schaffen, und die dann auch im Bereich Ausbildung und Beschäftigung investieren können.
    Büüsker: Das heißt, diese alte Idee von der Hilfe zur Selbsthilfe, das hat nicht funktioniert?
    Badoreck: Ich würde das gar nicht so sagen. Ich denke mal, die Herausforderungen sind so enorm gewachsen in den letzten Jahren, und es ist natürlich einfach, das alles der Entwicklungszusammenarbeit, der klassischen Entwicklungszusammenarbeit, die ohne Zweifel extrem viel Gutes in diesen Ländern bewirkt hat, der das alles zu Lasten zu schieben. Ich glaube nicht, dass man jetzt darüber denken muss, die Entwicklungszusammenarbeit komplett neu zu überdenken. Dazu ist sie auch viel zu wichtig und hat viel zu viele Erfolge über die Jahre erbracht. Aber vielleicht ist jetzt mal Anlass, über eine gewisse Neujustierung nachzudenken, nämlich dass es wirklich darum geht, eine Entwicklung und Beschäftigung in diesen Ländern zu schaffen. Ich glaube, Beschäftigung ist hier das Schlüsselwort. Dafür brauchen wir einfach verstärkt die wirtschaftlichen Akteure, die in solche Aktionen mitgedacht, mit einbezogen werden müssen, und da kann noch viel, viel mehr gemacht werden.
    Büüsker: Sie haben eben gesagt, dass die bisherige Entwicklungszusammenarbeit viele Erfolge gebracht hat. Können Sie da Beispiele nennen?
    "Die Förderung deutscher Unternehmen in Afrika wurde noch nicht optimal genutzt"
    Badoreck: Ja, es gibt zahllose Beispiele. Ich denke, wenn wir gerade an Äthiopien denken, dann haben wir auf der einen Seite natürlich ein Land, was vor enormen Herausforderungen steht, aber auch ein Land, was sich enorm entwickelt hat, was die wirtschaftliche Entwicklung und die Infrastruktur und die Bildung der Menschen, die Kindersterblichkeit und eine Menge anderer Faktoren angeht, und da hat sich unglaublich viel auch zum guten gewendet und das wird oft in der Debatte vergessen.
    Büüsker: Und dennoch haben wir gerade in Äthiopien wieder einen Ausnahmezustand herrschen.
    Badoreck: Richtig. Aber das ist ja auch nicht eine Sache, die immer in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung des Landes zusammenhängt. Wir haben in Äthiopien beispielsweise wirtschaftliche Wachstumsraten und eine Kindersterblichkeitsrate, die weit unter dem afrikanischen Durchschnitt liegen. Wir haben auf der einen Seite eine gewisse Loskoppelung von der politischen Entwicklung und der Entwicklung des Landes. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Aber vor dem Hintergrund dann zu sagen, dass wir die Entwicklungshilfe in solchen Kontexten eindämmen sollen, ist, glaube ich, nicht der richtige Weg, sondern man müsste eher gucken, wie kann die Entwicklungshilfe noch wirkungsvoller eingesetzt werden. Sie wird zum Teil wirkungsvoll eingesetzt. Und da meine ich, dass die Neujustierung auf die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft in Afrika und die Förderung der deutschen Unternehmen in Afrika eine Richtung geben, die wir bisher wirklich noch nicht optimal ausgenutzt haben.
    Büüsker: Bei der Reise der Kanzlerin spielen jetzt Migrationsabkommen mit den einzelnen Ländern eine große Rolle. Wie hilfreich können die sein?
    "Das Thema Bevölkerungswachstum ist im Moment überhaupt keines mehr"
    Badoreck: Sicherlich ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings müssen wir auch ganz realistisch sein, dass solche Migrationsabkommen nicht tatsächlich nachhaltig den Strom der Zuwanderung aus solchen Ländern begrenzen werden können, sondern da müssen wir einfach an die Grundparameter der Entwicklung dieser Länder herangehen. Ich denke, ein Thema, was in diesem Zusammenhang so gut wie nie diskutiert wird in der Öffentlichkeit, sind einfach auch die enormen Steigerungen der Bevölkerung. Die Raten, die im Moment zwischen drei und vier Prozent liegen afrikaweit, ist ein Bereich, wo natürlich auch wirtschaftliches Wachstum und auch nachhaltige Entwicklung immer neu gedacht werden muss, weil wir einfach so viel mehr afrikanische Menschen in Zukunft auf dem Kontinent haben werden, und da gibt es genug Ansatzpunkte. Das Thema Bevölkerungswachstum war vor zehn, 15 Jahren mal in der Entwicklungszusammenarbeit ein großes; es ist im Moment überhaupt keines mehr. Das ist auch ein Bereich, da gibt es eine Vielzahl von Ansatzpunkten, aber man soll sich jetzt auch nicht auf den Standpunkt stellen, dass bisher in der Vergangenheit alles schlecht gelaufen ist und alles schief gelaufen ist.
    Büüsker: … sagt Ingo Badoreck, Generalsekretär der Deutschen Afrika Stiftung. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
    Badoreck: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.