Archiv


Entzauberte Welt?

In den USA darf in vielen konfessionell ausgerichteten Schulen die Lehre Darwins nicht unterrichtet werden. Doch auch in Deutschland lehnen etwa 20 Prozent der Bundesbürger die Evolutionstheorie ab. An der Universität Dortmund fand in der vergangenen Woche eine Konferenz statt, die sich mit den Hintergründen des Kreationismus auseinandersetzte - und Erschreckendes zu Tage förderte.

Von Kersten Knipp |
    Wahrheit kann ernüchternd sein. Zum Beispiel die, dass wir Menschen uns aus tierischen Formen entwickelt haben. Das hört man nicht allzu gerne. Trösten kann man sich mit dem Umstand, dass das schon eine Weile her ist und wir jetzt alles in allem doch recht passable Figuren abgeben. Dennoch, viele Menschen wollen sich mit der Geschichte unserer Herkunft nicht abfinden. In den USA lehnen rund 40 Prozent die so genannte Evolutionstheorie ab. 20 Prozent haben keine Meinung. In Europa beträgt der Anteil derer, die die Evolutionstheorie voll und ganz akzeptieren, rund 70 Prozent. Und die Tendenz ist steigend, erklärt der Bonner Ethnologe Christoph Antweiler, der Leiter der Dortmunder Tagung, sein Unbehagen an dem frommen Aberglauben.

    "Das Unbehagen ist nicht aus einer persönlichen Kirchenfeindlichkeit - ich persönlich bin einfach nur nicht gläubig - aber das Unbehagen ist eher darin zu sehen, dass ich zunehmend sehe, wie in Universitäten und auch in Schulen sich ein Gedankengut eben breit macht, was sich wissenschaftlich maskiert und nicht selber als religiös ausgibt aber de facto religiös ist. Und ich habe nichts gegen Religion, aber ich glaube, dass Wissenschaft und Religion zwei paar Schuhe sind."

    Seit vielen Jahren schon verweist das Wort vom religiösen Supermarkt auf die schillernde Vielfalt der Sinnangebote. In diesem Supermarkt findet jeder den ihm entsprechenden Glauben oder Aberglauben. So bräuchte man sich auch um die kruden Lehren des Kreationismus keine Sorgen zu machen - wenn er nicht so täte, als stünde er auf wissenschaftlicher Grundlage. Eben das ist eine grundsätzliche Gefahr, meint der Dresdener Politikwissenschaftler Werner Patzelt,

    "dass sich gleich welcher Glaube gerne als wissenschaftliche Weltanschauung ausgibt, wenn es tiefe Sehnsüchte befriedigt, wenn es Interessen entgegenkommt und wenn es Vorteile im Kampf um die Durchsetzung politischer Positionen öffnet. Das haben wir im Bereich der Ideologien gesehen, und der Kreationismus ist in dieser Hinsicht nichts anderes als eine quasi-religiöse Massenbewegung, die halt nun auch noch Rekurs auf gleichsam Religion nimmt, und das ist ein politisch wichtiges Phänomen. Es geht um Grundsätze von Wissenschaftsfreiheit, es geht um Grundsätze der Distinktion zwischen Ideologie und Wissenschaft und es geht ganz konkret um die Lehrpläne an Universitäten und Schulen."

    Der Kreationismus liegt im Trend. Den berühmten Ausdruck des Soziologen Max Weber von der entzauberten Welt haben längst nicht alle Menschen mit Erleichterung aufgenommen. Ein bisschen Zauber darf schon sein, jedenfalls solange es kein böser Zauber ist. Denn ohne Zauber, finden viele Menschen, geht es in der Welt ein bisschen arg nüchtern zu. Her mit dem Mythos also, mit der Poesie und dem Aberglauben. Diese an sich verständliche Haltung, so Christoph Antweiler, geht aber mit einer anderen, ungleich bedenklicheren einher. Er hat beobachtet,

    "dass wir in der breiten Gesellschaft eben eine grundsätzliche wissenschaftskritische Haltung haben. Wir haben es hier also nicht nur mit dem Phänomen Religion versus Evolutionstheorie zu tun oder versus Darwinismus. Sondern wir haben es als Hintergrundströmung mit einer breiten wissenschaftskritischen, wissenschaftsskeptischen Strömung zu tun. Wenn ich zum Beispiel an mein Fach denke, die Ethnologie, da ist etwa zur Zeit der Mainstream, zu sagen, dass Menschen natürlich nicht nur in verschiedenen Kulturen leben, sondern sie leben auch in ganz verschiedenen Welten. Dann ist der nächste Schritt ein sehr kleiner zu sagen, ja sie leben eben in ganz verschiedenen Welten, die auch nicht miteinander kommunizierbar sind, und für deren Verständnis dann auch keine einheitliche Wissenschaft mehr denkbar ist."

    Das Paradoxe ist, dass die Wissenschaft, zumindest ein Teil von ihr, dem Einzug des Aberglaubens in ihr Terrain selbst vorgearbeitet hat. Dies tat sie mittels einer eigentlich ganz sympathischen Theorie, dem Konstruktivismus. Als durchaus politisch motivierte Reaktion auf die tödlichen Ideologien des 20. Jahrhunderts suchte der Konstruktivismus nachzuweisen, dass die Art und Weise, in der wir die Welt wahrnehmen, durch unsere Sprache und unsere Überzeugungen geprägt ist. Eine absolute Wirklichkeit könne es darum gar nicht geben. Bis in letzte Konsequenz zu Ende gedacht bedeutet das aber, dass Wahrheit gar nicht existiert. Und das, so Werner Patzelt, ist eine außergewöhnlich problematische Annahme:

    "Wenn man sich einmal auf diesen Standpunkt stellt, ist es eben völlig klar, dass der eine sich seine Welt evolutionstheoretisch konstruiert und der andere sich seine Welt kreationistisch konstruiert. Und wenn es ohnehin keine objektive Wirklichkeit dahinter gibt, ja dann gebietet es schon Fairness und Toleranz und Pluralität, dass man beides gleichermaßen lehrt. Und wenn beide Phänomene zusammenkommen, dann haben wir die Debatten, die wir eben jetzt zwischen Wissenschaft und Kreationismus haben."

    Das bedeutet für die Bildung kommender Generation nichts Gutes. In Zeiten, in denen sich auch der Bildungsmarkt liberalisiert, Privatschulen - und zwar auch weltanschaulich und religiös gebundene Privatschulen - immer größeren Zulauf verzeichnen - in solchen Zeiten ist wissenschaftliches oder auch nur nüchternes Denken bedroht. Diesem Trend wird bisweilen auch von politischer Seite zugearbeitet. So hatte die inzwischen nicht mehr amtierende hessische Kultusministerin Karin Wolff 2006 dafür plädiert, die Bibel nicht nur im Religions-, sondern auch im Biologieunterricht heranzuziehen und deren Aussagen zur Schöpfungslehre auch dort zur Debatte zu stellen. Für Christoph Antweiler eine unheilvolle Entwicklung.

    "Dieser Trend deckt sich mit einem allgemeinen Trend, den wir in Schulen finden können, den ich zum Beispiel bei jungen Studenten sehe, dass die Unterscheidungsfähigkeit von Wissenschaft einerseits und Glauben andererseits, Vermutungen gar nicht mehr klar bekannt ist."

    Gegen diese Entwicklung wandte sich zuletzt der Europarat. Im Herbst 2007 forderten die Abgeordneten der 47 Länder ihre Regierungen auf, mit aller Entschiedenheit gegen die Einbeziehung des Kreationismus in den naturwissenschaftlichen Unterricht anzugehen. In Straßburg hat man offenbar verstanden, um was es beim Streit um den Kreationismus geht. In letzter Konsequenz, so Werner Patzelt, steht nichts Geringeres als die europäische Vernunftkultur auf dem Spiel.

    "Die zentrale Gefahr des Kreationismus ist die, dass die Grenze zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft verwischt wird. Klare nicht-wissenschaftliche Positionen erheben den Anspruch darauf, wie Wissenschaft behandelt zu werden, und das geht nur, wenn man die Unterscheidungskriterien zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft auflöst. Und macht man das an einer Stelle, wird man es an der nächsten Stelle nicht verweigern können."

    Die Welt ist entzaubert, beobachtete der Soziologe Max Weber. Vielleicht wäre es wirklich schön, es zöge ein bisschen Zauber wieder ein. Der Kreationismus sollte es aber nicht sein. Bei ihm handelt es sich um faulen Zauber.