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Entziffertes Schnabeltier

Genetik. – Das Schnabeltier ist ein einzigartiges Wesen: Es hat einen Schnabel und ein Fell, legt Eier gehört aber zu den Säugetieren. Jetzt ist das Erbgut dieses urtümlichen Säugers entziffert und in "Nature" vorgestellt worden.

Von Michael Lange | 08.05.2008
    Obwohl es nicht zu den schnellsten zählt und so groß ist wie ein Kaninchen, ist das Schnabeltier wohl das geheimnisvollste aller Säugetiere. Es lebt in flachen Gewässern Südostaustraliens. Und nur selten bekommt ein Mensch dieses seltsame Misch-Wesen zwischen Vogel, Reptil und Säugetier zu Gesicht. Die Zoologin Jennifer Marshall Graves von der staatlichen Universität Australiens in Canberra hat allerdings schon viele Schnabeltiere gesehen.

    "Schnabeltiere sind nicht so leicht zu finden. Es sei denn, man weiß, wo man sie suchen muss. Ganz in der Nähe meines Arbeitsplatzes gibt es einen kleinen See. Um sie zu sehen, muss man sehr ruhig sein, und geduldig auf den Sonnenuntergang warten."

    Glennie heißt das Schnabeltier, dessen Erbgut die Forscher untersucht haben. Jetzt kennen sie die Reihenfolge der einzelnen über zwei Milliarden Bausteine im Genom und wissen: Glennie ist weiblich und besitzt etwa 18.500 Gene. Das ist etwas weniger als beim Menschen. Die Zahl seiner Gene schätzen Wissenschaftler heute auf etwa 25 000. Jennifer Marshall Graves:

    "”Sein Erbgut ist sehr außergewöhnlich. Das ist nicht überraschend, denn das Schnabeltier ist ein merkwürdiges Tier. Aber sein Erbgut ist noch merkwürdiger als wir dachten. Es ist relativ klein und erinnert eher an ein Reptil als an ein Säugetier. Und seine zahlreichen Geschlechtschromosomen gleichen denen von Vögeln, nicht denen anderer Säugetiere.""


    Eine Legende der Aboriginies besagt: Schnabeltiere sind die Nachkommen eines Entenweibchens und eines Schwimmrattenmännchens. Und wer sich ein Schnabeltier anschaut, kann das nachvollziehen. Die Wissenschaftler sehen das natürlich anders. Über 80 Prozent des Genoms entsprechen den Erbanlagen der anderen, gewöhnlichen Säuger. Schnabeltiere bleiben also Säugetiere, wie die Zoologen bislang aufgrund äußerer Merkmale behauptet hatten. Aber Schnabeltiere bilden eine eigene kleine Gruppe innerhalb der Säugetiere. Das gilt auch nach der Genomentzifferung. Das Schnabeltier bleibt ein Außenseiter. Sein Genom liefert spannende Einblicke in die Evolution der ersten Säugetiere: Vor etwa 166 Millionen Jahren trennte sich ihre Entwicklungslinie von der der anderen Säuger. Ein lebendes Fossil ist das Schnabeltier dennoch nicht, so Jennifer Marshall Graves von der staatlichen Universität in Canberra:

    "Wir vermuten: Der gemeinsame Vorfahre aller heutigen Säugetiere lebte vor 166 Millionen Jahren und sah eher aus wie ein Reptil. Das Tier hatte ein Fell und legte Eier. Das Schnabeltier hat sich seit dieser Zeit nicht so stark verändert, obwohl es sich natürlich an seinen Lebensraum angepasst hat. Wir Menschen haben uns sicherlich stärker verändert. Deshalb ähnelt das Schnabeltier unseren gemeinsamen Vorfahren stärker als wir das tun."

    Die Genomforscher müssen sich nun daran machen, das Schnabeltier-Erbgut mit möglichst vielen anderen Tieren zu vergleichen. So können sie neue Informationen über den Stammbaum der Säugetiere gewinnen. Egal, wie die Ergebnisse ausfallen, die Sonderstellung des Schnabeltiers als merkwürdigstes aller Säugetiere bleibt ihm in jedem Fall erhalten.