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"Enzyklopädie der Neuzeit" basiert auf einem interdisziplinären Anspruch

16 Bände umfasst die "Enzyklopädie der Neuzeit". Der Herausgeber und Kulturwissenschaftler Friedrich Jäger, glaubt, dass damit einzigartig Strukturzusammenhänge neuzeitlicher Geschichte unter Berücksichtigung ihrer globalen Dimensionen vermittelt werden.

Friedrich Jäger im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Gleich anschließend zu einem verlegerischen Buch-Großunternehmen: Im Mai ist bei Metzler der 15. und letzte Band der "Enzyklopädie der Neuzeit" erschienen - auf Papier, was in Zeiten von Google und Wikipedia nicht ganz selbstverständlich ist. Die elektronische Verbreitung von Wissen lässt manchmal vergessen, dass es doch einfach Menschen und ihre Köpfe sind, deren Wissen und intellektuelle Kreativität Eingang in solche Werke findet. Bei der "Enzyklopädie der Neuzeit" waren das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 37 Ländern, über 1400 Menschen insgesamt. Geschäftsführender Herausgeber ist Friedrich Jäger, Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, das das Unternehmen mit dem Verlag zusammen stemmt, und ihn habe ich vor der Sendung gefragt, wie er sich heute vorkommt: wie Alexander von Humboldt nach der Besteigung des Chimborazo, die ja auch ihre Tücken hatte, oder wie ein Dinosaurier der Wissenschaftsgeschichte?

    Friedrich Jäger: Ja wie ein Dinosaurier eigentlich nicht. Sie spielen wahrscheinlich darauf an, dass wir mit dem vorliegenden Werk im Grunde noch die Tradition der Buchkultur bedienen ...

    Fischer: … und auf Papier erscheinen, genau.

    Jäger: Genau. – Es gibt zunächst mal nur die Buchversion und wir gehen davon aus, dass es weiterhin einen großen Bedarf im Studium, in akademischer Lehre, auch in Schulen an enzyklopädisch aufbereitetem Wissen in dieser Form gibt.

    Fischer: Aber selbst die Encyclopaedia Britannica erscheint ja inzwischen nur noch auf CD-Rom.

    Jäger: Ja, aber auch wir sind darauf vorbereitet, dass sozusagen die digitale Wissenschaftskommunikation weitergehen wird. Allein schon der Umstand, dass es bereits ein digitales Register gibt, weist darauf hin, dass von den technischen Voraussetzungen das Unternehmen vorbereitet ist, in einer digitalen elektronischen Version zu erscheinen, sobald sich der Bedarf daran abzeichnet.

    Fischer: Von "Abendland" bis "Zyklizität" reicht das Lexikon jetzt, von "Renaissance" bis "Wirtschaftswachstum". Wie muss man so ein Werk benutzen, damit uns die Vergangenheit sozusagen bei der Bewältigung des Heute hilft?

    Jäger: Das Artikelkonzept, das dem Unternehmen zugrunde liegt, ist einerseits darauf abgestellt, dass es historische Zusammenhänge erschließen lässt, aber auch historisches Detailwissen, konkrete Informationen zu liefern vermag. Nehmen Sie so einen Artikel wie "Revolution" oder "Stadt" oder "Staat" oder "Bürgertum" und viele andere mehr, natürlich auch die Künste. Wenn man dort einsteigt, kriegt man größere Strukturzusammenhänge neuzeitlicher Geschichte präsentiert. Auf der anderen Seite kann man aber auch mit einem detaillierten Informationsbedürfnis einsteigen. Dafür stehen solche Artikel wie "Marseillaise". Also dieser bereits angesprochene Revolutionsartikel repräsentiert die grundlegende Struktur, darunter gibt es Artikel wie "Französische Revolution" oder "Englische Revolution", die größere Ereigniskomplexe darstellen, und zwischen diesen verschiedenen Ebenen, Abstraktionsebenen kann man über eine Fülle von Verweisen sich orientieren, man kann hin- und hergehen, man kann einsteigen an einem bestimmten Punkt und wird gewissermaßen weitergeleitet durch die Verweise in ganz unterschiedliche Themenzusammenhänge.

    Fischer: Was ist Ihr Lieblingsartikel, welcher Eintrag hat Ihnen speziell die Augen geöffnet?

    Jäger: Was einen wirklichen Erkenntnisfortschritt bedeutet, ist meiner Ansicht nach, dass es uns gelungen ist, die europäische, die Dimension der europäischen Geschichte zu verweben mit einer in der frühen Neuzeit sich herausbildenden globalen Interaktion. Das ist gewissermaßen ein Innovationsanspruch, den wir mit dem Unternehmen verfolgt haben und der meiner Ansicht nach in einer ganzen Reihe von Artikeln eingelöst werden konnte.

    Das Thema der "Enzyklopädie der Neuzeit" ist die europäische Geschichte von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese europäische Geschichte wird so rekonstruiert, dass die globalen Verflechtungen, die seit der Entdeckung der neuen Welt, seit der Etablierung neuer Kontaktzonen mit der afrikanischen, mit der asiatischen Welt, dass diese beiden Dimensionen gleichzeitig in den Blick genommen werden können und erschlossen werden können, also sozusagen eine europäische Geschichte unter Berücksichtigung ihrer globalen Dimensionen.

    Fischer: Sie haben gesagt, der Blick auf die europäische Geschichte ist sozusagen neu. Was haben Sie an strukturellen Änderungen oder Perspektivwechseln durchgeführt?

    Jäger: Wir verfolgen mit der "Enzyklopädie der Neuzeit" einen interdisziplinären Anspruch. Beteiligt sind nicht allein die verschiedenen Subdisziplinen der Geschichtswissenschaft, also von der politischen Geschichte über die Sozialgeschichte hin zur Wirtschaftsgeschichte und viele andere mehr, sondern beteiligt sind auch die historisch orientierten Nachbardisziplinen, die gewöhnlich in anderen institutionellen Kontexten verankert sind – denken Sie an die Theologie, an die Kunstgeschichte, an die Literaturgeschichte, auch an die Rechtsgeschichte, an die Musikgeschichte und viele andere mehr. Durch diese Verflechtungen ganz unterschiedlicher Wissenschaftskulturen sind verschiedene Formen des Erkenntnisfortschritts erzielt worden – denken Sie an so einen Artikel wie "Fest". Ein solcher Artikel kann gar nicht angemessen geschrieben werden ohne Berücksichtigung der musikalischen Dimension, der theatralischen, der religiösen, der alltagsgeschichtlichen Dimension, und im Zusammenkommen dieser unterschiedlichen Forschungsinteressen und Forschungsgesichtspunkte, da liegt meiner Ansicht nach eine der Stärken der "Enzyklopädie der Neuzeit".

    Fischer: Friedrich Jäger war das, Herausgeber der "Enzyklopädie der Neuzeit", der letzte Band 15 ist gerade erschienen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.