"Man muss sehr genau hingucken, was passiert", sagte Miersch, der auch Mitglied der Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe ist. Man habe gerade in der Umweltpolitik oft erlebt, dass sich Konzerne vor ihrer rechtlichen Verpflichtung drücken - hier habe der Staat Milliardenkosten übernehmen müssen.
Zu Beginn der Woche war bekannt geworden, dass sich das Energieunternehmen Eon von seinen konventionellen Kraftwerken trennen und in Zukunft verstärkt auf erneuerbare Energien setzen möchte. Die Atom-, Kohle und Gaskraftwerke sollen in ein neues Unternehmen ausgelagert werden - ebenso wie die milliardenhohen Rückstellungen für den Rückbau der Atommeiler.
"Alle Mittel des Rechtsstaats ausnutzen"
Es sei grundsätzlich positiv, dass Eon erkannt habe, wo die Zukunft im Energiegeschäft liege, sagte Miersch. Er sehe aber auch ein großes Risiko: "Bei mir schrillen die Alarmglocken." Die Politik müsse alle Mittel des Rechtsstaats ausnutzen, um den Steuerzahler vor weiteren Kosten zu bewahren - dazu zähle vor allem die Sicherung der Rückstellungen. Die Zukunft des neuen Unternehmens sei mehr als fraglich, weil darin nur alte Technologien gebündelt seien. "Da ist meine große Sorge, dass wir am Ende ins Leere gucken."
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: "Eon lagert Atomrisiko aus!" So lautete die Schlagzeile der "Süddeutschen Zeitung" gestern. Das Blatt ist nicht das einzige, das argwöhnt, hinter dem völlig überraschend mitgeteilten Plan, den Energiekonzern aufzuspalten, stecke nur eins: Der Versuch, die finanziellen Risiken, die mit der Abwicklung der Atomkraft zusammenhängen, schließlich und endlich auf den Steuerzahler abzuwälzen. Eon hat bekanntlich entschieden, in Zukunft wird es zwei Unternehmen geben: Eines, das sich auf Erneuerbare Energien und die entsprechenden Netze konzentriert, und eines, in dem Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke zusammengefasst sind. Dieses Unternehmen will man an der Börse losschlagen.
Will man damit auch die Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke loswerden und die Kosten für die Endlagerung? Am Telefon begrüße ich Matthias Miersch. Er ist umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied der Kommission zur Suche nach einem Atommüll-Endlager. Schönen guten Morgen, Herr Miersch.
Matthias Miersch: Guten Morgen. Ich Grüße Sie.
Heckmann: Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel von der SPD hat gesagt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben und die Rückstellungen bleiben in dem neuen Unternehmen, dann sieht er kein Problem. Sind Sie auch so gelassen?
Miersch: Na ja, gelassen muss man als Politiker immer sein, weil Nüchternheit ist schon eine Grundvoraussetzung. Aber ich glaube schon, dass man sehr, sehr genau aufpassen muss und hingucken muss, was da jetzt gerade passiert. Auf der einen Seite ist es ein positives Signal, weil, glaube ich, Eon auch erkannt hat, wo die Zukunft liegt. Auf der anderen Seite gibt es ein großes Risiko und bei mir schrillen da schon viele Alarmglocken.
"Konzerne dürfen sich nicht vor ihren rechtlichen Verpflichtungen drücken"
Heckmann: Das heißt, Sie halten es nicht für ausgeschlossen, dass am Ende dann doch der Steuerzahler die Zeche zu zahlen hat?
Miersch: Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass große Konzerne sich auch vor ihren rechtlichen Verpflichtungen gedrückt haben. Wir erleben das gerade in der Umweltpolitik. Wir haben viele Altlasten, die der Steuerzahler tragen muss, weil niemand mehr da ist, der die Ansprüche jetzt erfüllt. Wir haben hier Milliardensummen offen und deswegen ist das ein sehr ernst zu nehmendes Thema und die Politik muss diesen Vorgang sehr genau beurteilen und alle Mittel des Rechtsstaats meines Erachtens ausnutzen, um hier den Steuerzahler vor weiten Folgekosten zu bewahren.
Heckmann: Das heißt, Ihr Minister Sigmar Gabriel sieht das ein bisschen zu lässig?
Miersch: Nein, das glaube ich nicht, sondern er hat zwei Grundvoraussetzungen genannt, und die Sicherstellung der Rückstellung ist eine der wichtigen Grundvoraussetzungen. Und ob hier die Sicherungssysteme, die wir augenblicklich haben, ausreichen, das ist jetzt Aufgabe der Politik, sie zu prüfen, gegebenenfalls dort Anpassungen vorzunehmen, und ich glaube, dass wir hier gut beraten sind, die Sache sehr ruhig, aber sehr entschlossen anzugehen.
Heckmann: Eon hat ja, um mal auf die Rücklagen zu sprechen zu kommen, Rücklagen in Höhe von knapp 15 Milliarden Euro gebildet, die dann in das neue Unternehmen überführt werden sollen, und damit soll der Rückbau von Atomkraftwerken finanziert werden. Es gibt aber nicht wenige, Herr Miersch, die sagen, das reicht überhaupt nicht aus. Jürgen Trittin, der ehemalige Umweltminister und jetzige stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, der sagte gestern hier im Deutschlandfunk auf die Frage, was ist denn, wenn diese Rückstellungen nicht ausreichen: Ist dann Eon raus und der Bürger springt ein?
O-Ton Jürgen Trittin: "Das wäre die logische Folge. Wenn die Rückstellungen nicht ausreichen und nicht hinreichend Kapital in diesen Gesellschaften ist, weil man die profitablen Teile aus dem Unternehmen herausgelöst hat, dann wäre die logische Folge, dass nicht nur der Einstieg in die Atomenergie massiv mit Milliarden von Steuergeldern subventioniert worden wäre, sondern auch die Abwicklung der Atomenergie am Ende vom Steuerzahler übernommen wird."
"Die Politik muss jetzt handeln"
Heckmann: Soweit also Jürgen Trittin. - Herr Miersch, ich habe Sie richtig verstanden, dass Sie die Sorgen von Jürgen Trittin durchaus teilen?
Miersch: Selbstverständlich muss man hier genau die Systematik sehen, dass eine Sicherung nur dann vollzogen werden kann, wenn es tatsächlich auch diese Sicherheiten gibt. Und wenn ich jetzt ein Unternehmen gründe, dessen Zukunft mehr als fraglich ist, weil ich die gesamte alte Technologie auslagere, dann ist die Frage, wie diese Sicherung vorgenommen werden kann. Insofern gucke ich diesem Vorgang mit einer großen Sorge auch entgegen, dass wir hier an dieser Stelle am Ende ins Leere gucken, und deswegen muss die Politik jetzt handeln und diese Sicherheitssysteme auch gegebenenfalls nachbessern.
Heckmann: ... muss die Politik jetzt handeln. Aber wie? Was genau muss die Politik machen?
Miersch: Ja, es gibt einen sehr komplexen juristischen Spannungsbogen. Das ist auf der einen Seite das Recht der Allgemeinheit, diese Sicherungen vorzunehmen, und auf der anderen Seite die Eigentumsrechte von Konzernen. Wir haben aber mehrere Vorschläge auf dem Tisch, beispielsweise die Bildung eines öffentlich-rechtlichen Fonds. Das kann eine Lösung sein. Was nicht passieren darf ist, dass mit der Bildung eines Sicherheitssystems sozusagen die Konzerne aus der Verantwortung sind. Es gibt klare Rechtsansprüche und die müssen weiter tragen, auch in den nächsten Jahren, auch in den nächsten Jahrzehnten.
Heckmann: Können Sie garantieren, jetzt für die SPD, für die Regierungsseite, dass der Steuerzahler am Ende nicht herangezogen wird, oder wird es am Ende so sein, Herr Miersch - das habe ich in einem Kommentar gestern gelesen -, dass es doch im Prinzip ja auch relativ naheliegend ist, der Staat hat die Atomkraftwerke bestellt und hat die Energiewende angeordnet sozusagen, deswegen hat er und der Steuerzahler auch am Ende dann die Zeche zu zahlen?
Miersch: Nein. Diese Systematik wäre völlig falsch, denn die Konzerne sind mit Milliarden entlastet worden und sie sind entlastet worden, weil sie für die Entsorgung zukünftig aufkommen müssen, und insofern gibt es klare Rechtsverpflichtungen und es ist Aufgabe der Politik, mit allen Mitteln des Rechtsstaats - ich wiederhole mich da -, mit allen Mitteln des Rechtsstaats diese Ansprüche der Allgemeinheit zu sichern.
Heckmann: Ich habe gerade schon die Höhe der Rückstellungen angesprochen. Knapp 15 Milliarden Euro sind die wert, heute jedenfalls. Die bestehen aber im Wesentlichen aus abgeschriebenen AKW und Kohlekraftwerken. Die Frage ist: Was sind die Rückstellungen dann in einigen Jahren noch wert, wenn der Ausstieg aus der Atomkraft in vollem Gange ist?
Miersch: Genau das ist die Schlüsselfrage. Im Moment sind dort ja die Anteile bewertet, mit Wirtschaftsprüfern etc. müssen diese Werte nachgewiesen werden, und jetzt ist die Frage, welche Auswirkung hat eine Unternehmensaufspaltung auf diese Werte. Deswegen, glaube ich, sind wir gut beraten, auch von Seiten der Regierung und der Politik diesen Vorgang auch vor dem Hintergrund zu analysieren, ob diese Werte im Zweifel verfallen, und dann muss man auch hier überlegen, inwieweit man unter Umständen aufsichtsrechtlich diesen Vorgang noch mal bewertet und gegebenenfalls auch hier Dinge unterbindet.
Heckmann: Und da kommt noch hinzu, dass am Ende ja diese neue Firma, die sich auf die alten Energien konzentriert, möglicherweise ja sogar ganz Pleite geht und am Ende der Schaden noch viel größer ist. Sie haben gerade gesprochen von der Möglichkeit, die Rückstellungen in eine Stiftung zu überführen. Das ist eine Idee, die schon länger in der Diskussion ist. Wie ist denn da die Haltung Ihres Koalitionspartners dazu? Denken Sie, dass Sie da Überzeugungskraft ausüben können?
Miersch: Ich will Sie noch mal an der Stelle korrigieren. Es ist keine Stiftung. Die Stiftung ist ein Vorschlag der Konzerne gewesen, der ja das Zugriffsrecht des Staates mehr oder weniger auch erschwert. Bei mir ging es um einen öffentlich-rechtlichen Fonds, in dem die Allgemeinheit Zugriff hat, und das ist ein rechtlich großer Unterschied. Insofern gibt es hier auch in der Politik große Diskussionen und der Koalitionspartner ist an der Stelle, glaube ich jedenfalls, da gibt es mehrere Stimmen, und insofern ist die Aufgabe jetzt, auch innerhalb der Regierung dort Klarheit zu schaffen, inwieweit man das Recht der Allgemeinheit an diesen Verpflichtungen der Konzerne, für die Endlagerkosten, Entsorgungskosten aufzukommen, sichert.
Heckmann: Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Matthias Miersch war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Miersch, danke Ihnen für Ihre Zeit!
Miersch: Nichts zu danken! Guten Tag!
Heckmann: Guten Tag Ihnen auch.
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