Bettina Klein: Alles bisher ganz genau genommen im Bereich der Spekulation. Es gibt nur eine Quelle, und die heißt Edward Snowden, und auch für diesen Umstand gibt es nur eine Quelle, und die heißt "Der Spiegel". Der zitiert aus einem geheimen Papier des Geheimdienstes NSA aus dem September 2010. Die Empörung unter dem Vorbehalt, dass dies alles zutrifft, in Deutschland war gestern riesengroß.
Am Telefon mitgehört hat Martin Schulz (SPD), er ist der Präsident des Europaparlamentes. Guten Morgen, Herr Schulz.
Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Beginnen wir mit dem ja wohl spektakulärsten Detail. Was folgte daraus, wenn die Amerikaner die EU-Vertretung in Washington verwanzt hätten?
Schulz: Unter dem Vorbehalt, dass es sich als Realität bestätigt, muss man sagen, wenn das so ist, dann ist das ein Skandal allererster Güte, wenn man in einem befreundeten Land als befreundete Macht nicht sicher sein kann, abgehört zu werden. Das sind ja Dinge, die kannte man früher aus dem Ostblock, aber da konnte man sich drauf einstellen. Man fuhr hin, man wusste, das ist alles verwanzt, da hat man nicht miteinander geredet, sondern ist irgendwo im Wald spazieren gegangen. Ich finde, so geht man mit den engsten Partnern, die die Vereinigten Staaten von Amerika ja sind, nicht um. Und ich werde sicher heute nach meiner Rückkehr nach Straßburg mit dem amerikanischen Botschafter darüber telefonieren. Ich hoffe jedenfalls, er spricht mit mir und hat eine Erklärung.
Klein: Und wir können ausschließen, dass so etwas in irgendeiner Form Praxis auch innerhalb Europas wäre?
Schulz: Ausschließen kann man das nicht. Wir haben vor etwas mehr als zehn Jahren im Europäischen Parlament lange darüber diskutiert, welche Praktiken die Vereinigten Staaten von Amerika beim Abhören hier in Europa anwenden – der sogenannte Echelon-Bericht, den mein damaliger Kollege Gerhard Schmid veröffentlicht hat. Das war ein Bericht über Praktiken der amerikanischen Geheimdienste in Europa. Ich war immer irgendwie der Meinung, die hören mit. Aber dass das jetzt in dieser systematisierten Form in diplomatischen Vertretungen geschehen soll, das ist, glaube ich, eine neue Dimension.
Klein: Wir müssen natürlich abwarten, ob sich dies alles bestätigt, wir haben das jetzt schon beide angedeutet. Es gibt Europaparlamentarier und auch Politiker in Deutschland, die jetzt einen Untersuchungsausschuss im Europaparlament fordern. Wird der kommen, werden Sie sich dafür einsetzen?
Schulz: Wir werden das erst mal diskutieren müssen. Beim Untersuchungsausschuss im Europaparlament muss europäisches Recht verletzt sein. Dann kann man einen solchen Untersuchungsausschuss einsetzen. Ich glaube, ein Sonderausschuss – das ist bei uns ein etwas anderes Instrument -, darüber kann man diskutieren, denn vor einen Untersuchungsausschuss müssten wir ja zitieren, zunächst einmal die Behörden der Vereinigten Staaten. Ich habe nicht den Eindruck, dass die dahin kommen werden. Und zum anderen müsste man ja dahin zitieren Organe der Mitgliedsstaaten oder Organe der Union selbst. Die sind aber ganz offensichtlich die betroffenen Ziele. Also ob wir da einen Untersuchungsausschuss brauchen, das weiß ich nicht, das wird man prüfen müssen.
Was wir in jedem Fall zunächst einmal brauchen, ist eine Äußerung der US-Regierung. Ich finde es unter den gegebenen Umständen unverständlich, warum sich bis dato keine einzige amerikanische Dienststelle äußert, warum es keine Erklärungen gibt, und ich hoffe, dass das heute im Verlauf des Tages geschieht. Also entweder es stimmt, dann braucht man Begründungen und kann notfalls Konsequenzen ziehen, oder es stimmt nicht, dann sollen die Vereinigten Staaten es dementieren.
Klein: Es gibt Forderungen nach Konsequenzen unter dem Vorbehalt, dies alles stimme. Am weitesten geht dabei Daniel Cohn-Bendit von den Grünen, grüner Europapolitiker. Er sagt, das geplante Freihandelsabkommen, das ja jetzt gerade erst begonnen werden soll – die Verhandlungen starten ja erst -, das soll man auf Eis legen, denn wir bräuchten zunächst mal ein Datenschutzabkommen mit den USA. Wie weit gehen Sie?
Schulz: Die Debatte läuft ja schon seit etwa zwei, drei Monaten. Wir diskutieren und werden in absehbarer Zeit verabschieden ein Datenschutzabkommen innerhalb der EU und das wird die Rechtsbasis sein, der Europäischen Union, im Rahmen der Verhandlungen mit den USA über den Datenschutz dort. Und hier sind wir ja ziemlich radikal.
Wir haben das Bankendaten-Übertragungsabkommen Swift im Europaparlament abgelehnt. Wir haben das Fluggast-Datenabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika abgelehnt und ein verbessertes verabschiedet. Also ich glaube schon, da sind wir ziemlich hart, und ob man das Freihandelsabkommen auf Eis legen soll, das weiß ich nicht. Ich glaube, man muss in dieses Freihandelsabkommen hineinverhandeln, verbindliche datenschutzrechtliche Elemente. Ich glaube, das ist der bessere Weg, als überhaupt nicht mehr mit den Vereinigten Staaten zu reden. Aber ganz unabhängig davon: Glaubt irgendjemand, ob mit oder ohne Freihandelsabkommen, dass die aufhören zu spionieren? Ich glaube das nicht.
Derjenige, der in Ihrer Anmoderation zitiert wurde mit dem Satz – ich glaube, es war Thomas Oppermann -, dass die Geheimdienste - ich glaube, es sind ja 18 an der Zahl in den USA - außer Kontrolle geraten sind, die Möglichkeit, dass die Regierung gar nicht mehr weiß, was die Geheimdienste alles so anstellen, ich glaube, das ist Fakt und dort wird man ansetzen müssen.
Klein: Kommen wir noch zu einem weiteren, mindestens genauso wichtigen Punkt. Wir haben jetzt gerade über die mögliche Aushorchung von EU-Institutionen gesprochen. Das andere ist ja die Sammlung von Metadaten, also von Verbindungsdaten im Telekommunikationsbereich, Telefondaten und E-Mails zum Beispiel, die im großen Maßstab offenbar diesen Informationen zufolge gesammelt werden, und zwar in Deutschland so viel wie in keinem anderen europäischen Land. Haben Sie Verständnis dafür?
Schulz: Nein, absolut nicht. Ich habe Verständnis für ein erhöhtes Schutzinteresse in einem Land, das Ziel terroristischer Aktivitäten ist, wie die Vereinigten Staaten von Amerika in so umfassendem Maße, dass die versuchen müssen, sich zu schützen, indem sie auch im Vorfeld Erkenntnisse sammeln. Ich glaube, da hat jeder Verständnis für.
Klein: Aber, Herr Schulz, um da noch mal einzugreifen. Das alles vor dem Hintergrund, dass auf diese Weise offenbar auch terroristische Aktivitäten beziehungsweise deren Hintergründe hier in Deutschland aufgedeckt wurden, Beispiel Sauerland-Gruppe, auch ein sogenannter Schläfer in Hamburg im Zusammenhang mit den Anschlägen von 9/11 ist aufgedeckt worden. Das heißt, auch deutsche Behörden, möglicherweise auch wir selber profitieren davon. Also ist diese Empörung wirklich ganz ehrlich, oder nicht auch ein bisschen naiv, wie manche jetzt meinen?
Schulz: Nein, das glaube ich nicht. Ich sage noch mal: Vorfeldaufklärung, präventive Maßnahmen gegen terroristische Anschläge, das ist absolut okay. Das kann man nachvollziehen. Dass die Amerikaner da sehr sensibel sind, das verstehe ich. Das gilt übrigens auch für London, das gilt auch für Madrid, das gilt auch für Paris, das gilt auch für Berlin oder Hamburg, das sind auch gefährdete Orte, dass dort präventiv Daten gesammelt werden, um einzugreifen, bevor solche Anschläge geschehen. Das kann ich verstehen.
Aber es geht ja um was anderes. Ist denn die Botschaft der Europäischen Union in Washington und New York der Ort, in dem die terroristischen Anschläge geplant werden? Müssen die verwanzt werden? Man muss ja die Dinge auseinanderhalten. Polizeiliche Vorfelderkennung, geheimdienstliche Vorfelderkennung okay, aber Verwanzen, Abhören und Speichern und nicht Herausrücken, was man mit den gespeicherten Daten von normalen Bürgern tut, das ist eine völlig andere Sache.
Deshalb ich habe manchmal den Eindruck, dass es da paranoide Zustände gibt, und deshalb noch einmal: Die Vereinigten Staaten von Amerika sollen sich endlich mal äußern, ob das stimmt, und wenn ja, womit sie es rechtfertigen.
Klein: Herr Schulz, Sie haben gestern Abend bei den Beitrittsfeierlichkeiten Kroatiens zur EU auch gesprochen. Auch all das, worüber wir jetzt sprechen, wird das Land in Zukunft als 28. Mitgliedsstaat ja betreffen. Täuscht der Eindruck, oder ist die Freude auch deswegen ein bisschen verhalten, weil wir selber eigentlich auch nicht so richtig in der Lage sind, die Begeisterung für die Europäische Union wirklich zu präsentieren? Man hat das Gefühl, das wird so ein bisschen unter ferner liefen behandelt, dieser Beitritt. Oder was ist Ihr Eindruck?
Schulz: Der Eindruck ist nachhaltig gestern Abend widerlegt worden, was die Bevölkerung hier in Zagreb angeht. Das war eine würdige Feier mit einem Enthusiasmus von vielen, vielen jungen Leuten, die da waren, der mich sehr beeindruckt hat und das war wunderschön. Ein bisschen bedauerlich fand ich, dass manche Länder, darunter die Bundesrepublik, nicht auf höchster Ebene hier vertreten waren. Man muss vorsichtig sein, dass man nicht den Eindruck erweckt, als gäbe es eine Zweiklassen-EU, die großen und wichtigen Staaten und die kleineren und unwichtigen.
Und was den Beitritt von Kroatien angeht: Ich finde, wir sollten uns mal daran erinnern, dass hier vor 20 Jahren Krieg war zwischen Serbien und Kroatien und dass auch immer noch in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien deutsche Soldaten stationiert sind. Was wollen wir eigentlich, dass unsere Soldaten nach Hause kommen und hier Frieden ist? Der beste Weg, um das zu erreichen, finde ich, ist die Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Dass die allerdings müde ist, schlapp ist und dass sie reformiert werden muss, um überhaupt wieder beitrittsfähig zu sein, das steht ganz ohne Zweifel, das steht ganz außer Zweifel. Ich bin deshalb nachhaltig dafür, dass wir die EU reformieren, und zwar effektiv reformieren, bevor wir weitere Erweiterungskunden angehen. Aber ich erinnere daran: Es war nicht ich, sondern unter anderem auch die deutsche Regierung, die zugestimmt hat, dass der Prozess weitergeht.
Klein: Herr Schulz, wie wir die EU reformieren, das müssen wir in einem anderen Interview klären. Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview heute Morgen. – Das war Martin Schulz, Präsident des Europaparlamentes, von der SPD. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schulz.
Schulz: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon mitgehört hat Martin Schulz (SPD), er ist der Präsident des Europaparlamentes. Guten Morgen, Herr Schulz.
Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Beginnen wir mit dem ja wohl spektakulärsten Detail. Was folgte daraus, wenn die Amerikaner die EU-Vertretung in Washington verwanzt hätten?
Schulz: Unter dem Vorbehalt, dass es sich als Realität bestätigt, muss man sagen, wenn das so ist, dann ist das ein Skandal allererster Güte, wenn man in einem befreundeten Land als befreundete Macht nicht sicher sein kann, abgehört zu werden. Das sind ja Dinge, die kannte man früher aus dem Ostblock, aber da konnte man sich drauf einstellen. Man fuhr hin, man wusste, das ist alles verwanzt, da hat man nicht miteinander geredet, sondern ist irgendwo im Wald spazieren gegangen. Ich finde, so geht man mit den engsten Partnern, die die Vereinigten Staaten von Amerika ja sind, nicht um. Und ich werde sicher heute nach meiner Rückkehr nach Straßburg mit dem amerikanischen Botschafter darüber telefonieren. Ich hoffe jedenfalls, er spricht mit mir und hat eine Erklärung.
Klein: Und wir können ausschließen, dass so etwas in irgendeiner Form Praxis auch innerhalb Europas wäre?
Schulz: Ausschließen kann man das nicht. Wir haben vor etwas mehr als zehn Jahren im Europäischen Parlament lange darüber diskutiert, welche Praktiken die Vereinigten Staaten von Amerika beim Abhören hier in Europa anwenden – der sogenannte Echelon-Bericht, den mein damaliger Kollege Gerhard Schmid veröffentlicht hat. Das war ein Bericht über Praktiken der amerikanischen Geheimdienste in Europa. Ich war immer irgendwie der Meinung, die hören mit. Aber dass das jetzt in dieser systematisierten Form in diplomatischen Vertretungen geschehen soll, das ist, glaube ich, eine neue Dimension.
Klein: Wir müssen natürlich abwarten, ob sich dies alles bestätigt, wir haben das jetzt schon beide angedeutet. Es gibt Europaparlamentarier und auch Politiker in Deutschland, die jetzt einen Untersuchungsausschuss im Europaparlament fordern. Wird der kommen, werden Sie sich dafür einsetzen?
Schulz: Wir werden das erst mal diskutieren müssen. Beim Untersuchungsausschuss im Europaparlament muss europäisches Recht verletzt sein. Dann kann man einen solchen Untersuchungsausschuss einsetzen. Ich glaube, ein Sonderausschuss – das ist bei uns ein etwas anderes Instrument -, darüber kann man diskutieren, denn vor einen Untersuchungsausschuss müssten wir ja zitieren, zunächst einmal die Behörden der Vereinigten Staaten. Ich habe nicht den Eindruck, dass die dahin kommen werden. Und zum anderen müsste man ja dahin zitieren Organe der Mitgliedsstaaten oder Organe der Union selbst. Die sind aber ganz offensichtlich die betroffenen Ziele. Also ob wir da einen Untersuchungsausschuss brauchen, das weiß ich nicht, das wird man prüfen müssen.
Was wir in jedem Fall zunächst einmal brauchen, ist eine Äußerung der US-Regierung. Ich finde es unter den gegebenen Umständen unverständlich, warum sich bis dato keine einzige amerikanische Dienststelle äußert, warum es keine Erklärungen gibt, und ich hoffe, dass das heute im Verlauf des Tages geschieht. Also entweder es stimmt, dann braucht man Begründungen und kann notfalls Konsequenzen ziehen, oder es stimmt nicht, dann sollen die Vereinigten Staaten es dementieren.
Klein: Es gibt Forderungen nach Konsequenzen unter dem Vorbehalt, dies alles stimme. Am weitesten geht dabei Daniel Cohn-Bendit von den Grünen, grüner Europapolitiker. Er sagt, das geplante Freihandelsabkommen, das ja jetzt gerade erst begonnen werden soll – die Verhandlungen starten ja erst -, das soll man auf Eis legen, denn wir bräuchten zunächst mal ein Datenschutzabkommen mit den USA. Wie weit gehen Sie?
Schulz: Die Debatte läuft ja schon seit etwa zwei, drei Monaten. Wir diskutieren und werden in absehbarer Zeit verabschieden ein Datenschutzabkommen innerhalb der EU und das wird die Rechtsbasis sein, der Europäischen Union, im Rahmen der Verhandlungen mit den USA über den Datenschutz dort. Und hier sind wir ja ziemlich radikal.
Wir haben das Bankendaten-Übertragungsabkommen Swift im Europaparlament abgelehnt. Wir haben das Fluggast-Datenabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika abgelehnt und ein verbessertes verabschiedet. Also ich glaube schon, da sind wir ziemlich hart, und ob man das Freihandelsabkommen auf Eis legen soll, das weiß ich nicht. Ich glaube, man muss in dieses Freihandelsabkommen hineinverhandeln, verbindliche datenschutzrechtliche Elemente. Ich glaube, das ist der bessere Weg, als überhaupt nicht mehr mit den Vereinigten Staaten zu reden. Aber ganz unabhängig davon: Glaubt irgendjemand, ob mit oder ohne Freihandelsabkommen, dass die aufhören zu spionieren? Ich glaube das nicht.
Derjenige, der in Ihrer Anmoderation zitiert wurde mit dem Satz – ich glaube, es war Thomas Oppermann -, dass die Geheimdienste - ich glaube, es sind ja 18 an der Zahl in den USA - außer Kontrolle geraten sind, die Möglichkeit, dass die Regierung gar nicht mehr weiß, was die Geheimdienste alles so anstellen, ich glaube, das ist Fakt und dort wird man ansetzen müssen.
Klein: Kommen wir noch zu einem weiteren, mindestens genauso wichtigen Punkt. Wir haben jetzt gerade über die mögliche Aushorchung von EU-Institutionen gesprochen. Das andere ist ja die Sammlung von Metadaten, also von Verbindungsdaten im Telekommunikationsbereich, Telefondaten und E-Mails zum Beispiel, die im großen Maßstab offenbar diesen Informationen zufolge gesammelt werden, und zwar in Deutschland so viel wie in keinem anderen europäischen Land. Haben Sie Verständnis dafür?
Schulz: Nein, absolut nicht. Ich habe Verständnis für ein erhöhtes Schutzinteresse in einem Land, das Ziel terroristischer Aktivitäten ist, wie die Vereinigten Staaten von Amerika in so umfassendem Maße, dass die versuchen müssen, sich zu schützen, indem sie auch im Vorfeld Erkenntnisse sammeln. Ich glaube, da hat jeder Verständnis für.
Klein: Aber, Herr Schulz, um da noch mal einzugreifen. Das alles vor dem Hintergrund, dass auf diese Weise offenbar auch terroristische Aktivitäten beziehungsweise deren Hintergründe hier in Deutschland aufgedeckt wurden, Beispiel Sauerland-Gruppe, auch ein sogenannter Schläfer in Hamburg im Zusammenhang mit den Anschlägen von 9/11 ist aufgedeckt worden. Das heißt, auch deutsche Behörden, möglicherweise auch wir selber profitieren davon. Also ist diese Empörung wirklich ganz ehrlich, oder nicht auch ein bisschen naiv, wie manche jetzt meinen?
Schulz: Nein, das glaube ich nicht. Ich sage noch mal: Vorfeldaufklärung, präventive Maßnahmen gegen terroristische Anschläge, das ist absolut okay. Das kann man nachvollziehen. Dass die Amerikaner da sehr sensibel sind, das verstehe ich. Das gilt übrigens auch für London, das gilt auch für Madrid, das gilt auch für Paris, das gilt auch für Berlin oder Hamburg, das sind auch gefährdete Orte, dass dort präventiv Daten gesammelt werden, um einzugreifen, bevor solche Anschläge geschehen. Das kann ich verstehen.
Aber es geht ja um was anderes. Ist denn die Botschaft der Europäischen Union in Washington und New York der Ort, in dem die terroristischen Anschläge geplant werden? Müssen die verwanzt werden? Man muss ja die Dinge auseinanderhalten. Polizeiliche Vorfelderkennung, geheimdienstliche Vorfelderkennung okay, aber Verwanzen, Abhören und Speichern und nicht Herausrücken, was man mit den gespeicherten Daten von normalen Bürgern tut, das ist eine völlig andere Sache.
Deshalb ich habe manchmal den Eindruck, dass es da paranoide Zustände gibt, und deshalb noch einmal: Die Vereinigten Staaten von Amerika sollen sich endlich mal äußern, ob das stimmt, und wenn ja, womit sie es rechtfertigen.
Klein: Herr Schulz, Sie haben gestern Abend bei den Beitrittsfeierlichkeiten Kroatiens zur EU auch gesprochen. Auch all das, worüber wir jetzt sprechen, wird das Land in Zukunft als 28. Mitgliedsstaat ja betreffen. Täuscht der Eindruck, oder ist die Freude auch deswegen ein bisschen verhalten, weil wir selber eigentlich auch nicht so richtig in der Lage sind, die Begeisterung für die Europäische Union wirklich zu präsentieren? Man hat das Gefühl, das wird so ein bisschen unter ferner liefen behandelt, dieser Beitritt. Oder was ist Ihr Eindruck?
Schulz: Der Eindruck ist nachhaltig gestern Abend widerlegt worden, was die Bevölkerung hier in Zagreb angeht. Das war eine würdige Feier mit einem Enthusiasmus von vielen, vielen jungen Leuten, die da waren, der mich sehr beeindruckt hat und das war wunderschön. Ein bisschen bedauerlich fand ich, dass manche Länder, darunter die Bundesrepublik, nicht auf höchster Ebene hier vertreten waren. Man muss vorsichtig sein, dass man nicht den Eindruck erweckt, als gäbe es eine Zweiklassen-EU, die großen und wichtigen Staaten und die kleineren und unwichtigen.
Und was den Beitritt von Kroatien angeht: Ich finde, wir sollten uns mal daran erinnern, dass hier vor 20 Jahren Krieg war zwischen Serbien und Kroatien und dass auch immer noch in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien deutsche Soldaten stationiert sind. Was wollen wir eigentlich, dass unsere Soldaten nach Hause kommen und hier Frieden ist? Der beste Weg, um das zu erreichen, finde ich, ist die Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Dass die allerdings müde ist, schlapp ist und dass sie reformiert werden muss, um überhaupt wieder beitrittsfähig zu sein, das steht ganz ohne Zweifel, das steht ganz außer Zweifel. Ich bin deshalb nachhaltig dafür, dass wir die EU reformieren, und zwar effektiv reformieren, bevor wir weitere Erweiterungskunden angehen. Aber ich erinnere daran: Es war nicht ich, sondern unter anderem auch die deutsche Regierung, die zugestimmt hat, dass der Prozess weitergeht.
Klein: Herr Schulz, wie wir die EU reformieren, das müssen wir in einem anderen Interview klären. Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview heute Morgen. – Das war Martin Schulz, Präsident des Europaparlamentes, von der SPD. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schulz.
Schulz: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.