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Epidemie im Jemen
Wahl zwischen Verdursten und Cholera

Die Seuche war Ende April als Folge des Krieges im Jemen ausgebrochen, 370.000 Menschen sind infiziert, 1.800 schon gestorben. Mehr als die Hälfte der Einwohner hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dabei ist Cholera sehr leicht zu behandeln.

Von Jürgen Stryjak |
    Cholera-Patient im Klinikum in Taiz, Jemen.
    Cholera-Patient im Jemen. Das Land leidet unter Krieg und einer rasanten Ausbreitung der Epidemie. (imago / Zuma)
    In der Hauptstadt Sanaa stehen in manchen Vierteln Tankwagen mit Trinkwasser, die von Hilfsorganisationen bereitgestellt wurden. Alte Männer, Kinder und Frauen füllen das Wasser in Plastikflaschen und Kanister. Sauberes Wasser kann während einer Cholera-Epidemie das Überleben sichern. Aber besonders außerhalb der größeren Städte gibt es oft keines. Viele Wasserquellen sind bereits verseucht. Die Menschen haben oft nur noch die Wahl zwischen Cholera oder Tod durch Verdursten.
    Viele Kliniken geschlossen, kein Geld für Mitarbeiter
    Und wenn sie sich infiziert haben, finden sie keine Hilfe. Viele Krankenhäuser mussten inzwischen geschlossen werden.
    Es fehlt das Geld, um Klinikmitarbeiter zu bezahlen«, erzählt Roberto Scaini von der Organisation ›Ärzte ohne Grenzen‹ im nordjemenitischen Ort Haydan.
    »Überall fehlen Medikamente. Viele Einrichtungen des Gesundheitswesens wurden bei Luftangriffen zerstört.«
    Massiver Ausbruch, rasante Ausbreitung
    Helfer aus dem Ausland arbeiten auf Hochtouren, wie die Deutsche Larissa Alles.
    »De facto ist es eine derart dramatische Lage, die sich derart rapide verschlechtert wirklich von Tag zu Tag, dass es auch uns erschreckt, wie massiv dieser Ausbruch ist und vor allem wie schnell er sich verbreitet. «
    Larissa Alles arbeitet im Jemen für die Hilfsorganisation Oxfam, die Hygiene- und Trinkwasserprojekte betreut. In den vergangenen drei Monaten wurden 400.000 Cholera-Verdachts- und fast 2000 Todesfälle registriert, fast überall im Land.
    »Zum Teil ist es wirklich so, dass man die Leute auf den Parkplätzen vor den Krankenhäusern liegen sieht und der Verwandte dann eben die Infusionslösung hochhält, weil einfach in den Krankenhäusern überhaupt kein Platz mehr ist. «
    Von Saudis geführtes Bündnis zerstört immer wieder Infrastruktur
    Betroffene in ländlichen Gebieten sind manchmal tagelang unterwegs, um die nächstgelegene Behelfsklinik zu erreichen. Aber viele können sich diese Reise gar nicht mehr leisten.
    »Es ist tatsächlich eine Entscheidung zwischen ›Esse ich heute oder ermögliche ich es mir oder meinem Verwandten, den Transport zu bezahlen‹, um eben in die nächste Gesundheitseinrichtung zu gelangen. «
    Seit Jahren herrscht Krieg im Land. Ein von Saudi-Arabien geführtes Bündnis fliegt seit 2015 Luftangriffe gegen Stellungen der so genannten Houthi-Rebellen im Jemen – und zerstört dabei immer wieder auch Versorgungseinrichtungen.
    2,3 Millionen unterernährte Kinder in Lebensgefahr
    Sieben Millionen Jemeniten drohe ein langsamer und schmerzvoller Tod durch Krankheit und Verhungern, sagt UN-Nothilfekoordinator Stephen O‘Brien. Unter ihnen 2,3 Millionen unterernährte Kinder, von denen 500.000 nicht älter als fünf Jahre seien und in Lebensgefahr schwebten.
    Die Australierin Claire Manera arbeitet für »Ärzte ohne Grenzen« in der Region 'Amran im Norden des Landes.
    »Es ist niederschmetternd, wenn man weiß, wie einfach Cholera zu behandeln ist. Oft reicht schon eine Lösung aus Wasser, Zucker und Salz, um einem Patienten das Leben zu retten. «
    UN haben erst ein Fünftel der Gelder bereitgestellt
    Die Vereinten Nationen bezeichnen die Lage im Jemen als die »größte humanitäre Katastrophe der Welt«. Trotzdem hat die internationale Gemeinschaft erst ein Fünftel der Gelder bereitgestellt, die nötig sind, um die Cholera-Epidemie zu bekämpfen. Auch die Mitarbeiter von Ärzten ohne Grenzen können nicht überall dort sein, wo sie gebraucht werden.
    »Ich erinnere mich an einen Jungen, sieben Jahre alt. Seine Familie hat sich auf den langen Weg gemacht, um ihn zu uns zu bringen. Aber 10 Minuten bevor sie hier eintrafen, ist der Junge gestorben. Das sind Fälle, die mich fertigmachen.«
    Regenzeit begünstigt schnellere Cholera-Ausbreitung
    Momentan steigt die Zahl der Neuinfektionen nicht, sie verharrt auf hohem Niveau, aber es droht bereits die nächste Gefahr.
    »Die Regenzeit hat begonnen, und das macht mir Angst. Die Cholera wird sich noch schneller ausbreiten. Es gibt keine Müllabfuhr. Der Krieg hat die Infrastruktur zerstört. Ich befürchte, dass die Epidemie auf einen neuen Höhepunkt zusteuert.«
    Wasserwerke sollen bombardiert worden sein
    Der Krieg steckt in einer Sackgasse, eine Konfliktlösung ist nicht in Sicht. Die Kampfhandlungen würden täglich intensiver, beklagen die Vereinten Nationen. Auch Claire Manera von »Ärzte ohne Grenzen« berichtet von Luftangriffen:
    »Vor zwei Tagen wurden nachts Ziele in unserer Nähe bombardiert, nur ein paar Kilometer von unserem Haus entfernt. Das Wasserwerk der Region soll dabei zerstört worden sein. Das macht mich wütend. Man bombardiert doch gerade jetzt keine Wasserwerke.«