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Epidemiologe Zeeb
"Jeder und jede Einzelne muss mehr beitragen als bisher"

Der Epidemiologie Hajo Zeeb blickt mit Sorge auf die Vorweihnachtszeit. Einzelhandel, Betriebe, religiöse Veranstaltungen – wenn mehr als zwei bis fünf Personen zusammenkommen, seien das einfach zur Zeit Problemsituationen. Von der Politik forderte Zeeb im Dlf eine "klare politische Ansage, hinter der alle stehen".

Hajo Zeeb im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Am zweiten Adventssamstag tragen Passanten Papiertüten mit Einkäufen in der Innenstadt von Frankfurt, Hessen, Deutschland
Einkaufsstraße in Frankfurt/Main Anfang Dezember 2020 (imago / Ralph Peters)
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen ist erneut sprunghaft gestiegen. 6.000 Neuinfektionen mehr als eine Woche zuvor und fast 600 Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 binnen eines Tages - es geht jetzt um Leben und Tod, sagte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig angesichts dieser Zahlen. Nach Bayern und nach Sachsen ziehen auch andere Länder die Zügel deutlich an. Für Sonntag (13. Dezember 2020) ist eine weitere Runde an Gesprächen zwischen Bund und Ländern geplant.
Waren die bisherigen Regeln nicht streng genug? Hat Deutschland Schulunterricht und Wirtschaft zu lange laufen lassen? Im Rückblick sei es nicht die richtige Entscheidung gewesen, meint Professor Hajo Zeeb vom Leibnitz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Er sehe viel verantwortungsvolles Handeln, aber auch eine ganze Menge Ausbrecher, sagte er im Dlf-Interview.
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Die gemeinschaftliche Anstrengung sei noch nicht ausreichend. Selbst wenn nur zehn Prozent der Bevölkerung sich dem Infektionsschutz verweigerten, seien das immer noch rund acht Millionen Menschen. Zeeb spricht sich für noch größere Disziplin in der Bevölkerung aus. Eine klare politische Ansage, "hinter der alle stehen", sei dabei hilfreich.
Auf Weihnachtseinkäufe, Gottesdienste und auch Arbeit im Betrieb, wo Homeoffice möglich wäre, sieht der Epidemiologe aktuell mit Sorge. "All diese Sachen müssen kritisch beäugt werden", sagt er. Wenn mehr als zwei bis fünf Personen zusammenkommen, seien das einfach Problemsituationen.
Als Mindestdauer eines strengeren Lockdowns sieht Hajo Zeeb drei Wochen, besser vier, bis Maßnahmen Wirkung zeigen. Selbst harte Einschränkungen würden nicht helfen, wenn sie nur zu kurz gälten.
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Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Herr Zeeb, sind die Verantwortlichen in den Ländern jetzt endlich aufgewacht?
Hajo Zeeb: Es sieht fast so aus. Wir haben noch nicht alle Länder, glaube ich, in gleicher Weise hier zusammen, aber es geht in die Richtung. Das muss man schon ganz klar sehen. Die Zahlen sprechen in diesem Fall tatsächlich alleine für sich, denn das ist natürlich jetzt nicht mehr so, dass wir die Situation hatten, wo wir letzte Woche noch sagen konnten, wir haben zumindest geschafft, die Zahlen auf einem Plateau zu halten, keinen weiteren Anstieg. Jetzt haben wir sogar doch recht deutliche weitere Anstiege. Das ist nicht gut.
Barenberg: Einen Anstieg von 6.000 Fällen heute beispielsweise im Vergleich zur Entwicklung vor einer Woche. – Wie dramatisch ist das? Auf was müssen wir uns jetzt noch einstellen? Denn alles, was jetzt möglicherweise beschlossen wird, wird ja erst mit zeitlicher Verzögerung auch wirken können.
Zeeb: Ja, genauso ist es, denn 30.000 neue Fälle – wie gesagt, da gibt es noch eine Dunkelziffer dazu -, das heißt ja auch, dass wir so viele zusätzliche neue Infektionsträger haben, und alle die sind natürlich auch potenziell in der Lage, diese Infektion weiterzugeben. Und das ist ja nun genau die Diskussion, die wir haben. Wir haben jetzt einen immer größeren Stamm von Personen und das heißt, dass die in der Lage sind, das weiterzugeben, und damit dann auch für die nächsten Tage und letzten Endes Wochen muss man damit rechnen, dass das nicht von sich aus runtergeht, sondern tendenziell ohne härtere Maßnahmen wirklich auch weiter ansteigt.
"Im Rückblick war es nicht die richtige Entscheidung"
Barenberg: Ist das gerade noch rechtzeitig, würden Sie sagen, oder ist es im Grunde genommen jetzt schon zu spät, die Zügel anzuziehen?
Zeeb: Die Diskussion ist immer müßig. Wir können nur jetzt handeln. Wir haben sicherlich eine gewisse Zeit verpasst, nämlich zum Ende dieser ersten Vier-Wochen-Periode hätte man ja sehen können oder konnte man sehen, das Ziel war nicht erreicht worden. Da ist ja dann erst mal ein bisschen verlängert worden, würde ich sagen, und ich glaube, mit noch einem klareren Blick auf die Situation hätte man schon sagen können, das reicht nicht, das tut es nicht, wir müssen tatsächlich noch mehr Kontaktbeschränkungen in die ganze Situation einbringen.
Barenberg: Der Grundgedanke im November für diesen Teil-Lockdown war ja, wir wollen vor allem Kontakte in der Freizeit einschränken. Wir wollen aber auf der anderen Seite große Teile der Wirtschaft schonen und wir wollen vor allem die Schulen offen lassen. Muss man jetzt im Rückblick sagen, dieser ganze Plan war ein Fehler?
Zeeb: So hart kann man es ausdrücken, ja. Es ist nicht so gekommen, wie man vielleicht gehofft hatte, dass man sagen könnte, okay, wir haben jetzt zielgenauere Maßnahmen, wir müssen nicht mehr die Decke über alles legen, weil wir nicht genau wissen, was wir tun sollen. Die Hoffnung war so, dass man zielgenauer arbeitet und bestimmte Kollateralschäden, Schäden, die jetzt die Wirtschaft betreffen, die Schulen betreffen, dass man die jetzt vermeiden kann. Ganz so sieht es aber nicht aus. Es funktioniert nicht so gut.
In den Schulen: Ja, da passiert auch nicht besonders viel mehr als woanders. Das kann man sicherlich sagen. Aber in der Summe ist es dann so, dass in allen Bereichen die Infektion weiter am Köcheln ist und es sich jetzt zeigt, die Zahlen gehen hoch. Also im Rückblick – und da ist man immer schlauer – kann man sagen, es war nicht die die richtige Entscheidung.
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"Jeder, Jede muss mehr beitragen als bisher"
Barenberg: Jetzt sagt beispielsweise der Innenminister, sagt Horst Seehofer, das habe an den unzureichenden Maßnahmen gelegen, keinesfalls aber an der Disziplinlosigkeit der Menschen. So hat er das ausgedrückt. Es ist ja auch viel in den letzten Wochen, in den letzten Monaten im Grunde diskutiert worden über das Thema Eigenverantwortung. Trauen wir da uns allen zu viel zu und merken jetzt, es geht nicht ohne klare Ansagen?
Zeeb: Es ist ein gemischtes Bild, finde ich. An vielen Stellen sieht man schon, dass Menschen sich wirklich verantwortungsvoll in der Situation bewegen und alles tun, was sie tun können. Aber es gibt auch doch eine ganze Menge Ausbrecher aus der Situation, die das doch nicht so ernst nehmen, und da hilft dann tatsächlich nur die klare Ansage. Das ist leider für die – und ich würde sagen, das ist sicher die Mehrheit der Personen in unserer Bevölkerung -, die das gut machen, besonders ärgerlich, dass es nicht reicht. Die gemeinschaftliche Anstrengung ist noch nicht ausreichend.
Barenberg: Aber Sie würden schon sagen – da würde ich gerne noch mal nachfragen -, dass es mehr sind oder dass die Mehrheit der Menschen nach wie vor auf alle wichtigen Regeln in der persönlichen Lebensführung, sage ich jetzt mal, grob achtet und dass es nur wenige sind, die sich nicht daran halten? Angesichts der Zahlen kann man ja auf den Gedanken kommen, dass es einfach viel zu viele sind, für die ein wenig das Gefühl der Bedrohung verloren gegangen ist und die dann sagen, ja, an dieser oder an anderer Stelle, da kann ich auch mal das etwas lockerer sehen.
Zeeb: Wenn wir auf Bevölkerungsebene von über 80 Millionen Menschen sprechen, sind auch zehn Prozent schon acht Millionen und mehr. Sehr schnell sind das dann auch so große Zahlen, wenn nur 10, 20 Prozent der Bevölkerung da nicht ganz so mitziehen. Dann sind das schon so viele, dass die Infektion so steigt, wie sie auch mit ihrer Besonderheit, nämlich diesem unsymptomatischen Verlauf erscheint, dass man am Anfang gar nicht weiß, ob man infiziert ist oder nicht. Das gemeinsam bringt dann schon diese Zahlen, die wir jetzt sehen. Aber ich würde weiterhin sagen, dass es doch einen guten Anteil gibt – und der ist größer als 50 Prozent, würde ich schätzen, auch aus den Umfragen, die man sieht. Da machen viele Leute das schon gut und die muss man letzten Endes ermutigen und sagen, ja, ihr macht das gut, aber wir brauchen noch insgesamt mehr Gemeinschaftssinn und Unterstützung. Jeder Einzelne, jede Einzelne muss hier doch noch mehr beitragen als bisher.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
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Barenberg: Was die politisch Verantwortlichen angeht, da haben Sie ja schon gesagt, dass wir jetzt aus dem einen oder anderen Bundesland hören, dass es aber noch kein Gesamtbild gibt. Das soll es ja möglicherweise nach weiteren Gesprächen auch mit der Bundeskanzlerin am Sonntag geben. Auf welche Bereiche müssen wir jetzt besonders achten?
Zeeb: Wir haben die Vorweihnachtszeit und den Einzelhandel. Das sehe ich schon in gewissem Maße als Problem an, dass wir doch viel Verkehr in den Innenstädten haben. Das ist weniger sicher als im letzten Jahr, aber immer noch so, dass das, glaube ich, eine gute Situation ist für den Virus, sich auszubreiten. Das ist eine Thematik, die Thematik Versammlungen welcher Art auch immer, und da geht es sicherlich auch um die kirchlichen, religiösen Veranstaltungen. Alle diese Sachen müssen kritisch beäugt werden – in dem Sinne, dass eigentlich Situationen, bei denen es dazu kommt, dass mehr als die üblichen Personenmengen, die im Haushalt zusammen sind, zwei bis fünf Personen - wenn da mehr zusammenkommen, das sind im Augenblick Problemsituationen. Das betrifft auch natürlich die Betriebe, das betrifft auch das Arbeitsumfeld. Da müssen wir auch noch mehr Druck aufbauen, dass alles gemacht wird, Homeoffice zu haben, dass Kontakte vermindert werden, dass Wege geschaffen werden, das so hinzubekommen, dass diese Kontaktmöglichkeiten noch geringer werden.
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Barenberg: Wie müssen Länder und Bund gemeinsam nicht nur beraten, sondern ihre Beschlüsse dann auch so präsentieren, so kommunizieren, so mitteilen, dass wir alle uns im Klaren sind, mit Blick auf die nächsten Wochen, wie dramatisch die Lage inzwischen doch wieder geworden ist?
Zeeb: Das ist jetzt ein bisschen über meinen Bereich hinaus. Politikberatung und auch Kommunikationsberatung ist noch nicht typisches Epidemiologenfeld, sage ich mal. Aber es muss eigentlich dahin gehen, dass man über die Zahlen spricht und daraus auch ableitet, dass man gemeinsam an einem Strang zieht. Das wäre mein Plädoyer letzten Endes: Kleinstaaterei. Auch wenn wir ein großes Land und eine große Bevölkerung sind, wir brauchen im Augenblick, glaube ich, eine sehr klare Ansage, die gemeinschaftlich vertreten wird, hinter der alle stehen. Dann hat man eine gewisse Chance, unsere Lage doch wieder in bessere Gefilde zu bringen.
Vier Wochen, damit Maßnahmen greifen
Barenberg: Und wenn wir dann klare Regelungen für die nächste Zeit bekommen, dann können wir hoffen, dass eine Unterbrechung durch einen Lockdown von zwei, drei Wochen tatsächlich das schafft, was bisher nicht gelungen ist, nämlich die Zahlen deutlich zu drücken?
Zeeb: Die untere Zahl, die Sie genannt haben, zwei Wochen, drei Wochen, da bin ich schon skeptisch. Ich glaube, drei Wochen ist aus meiner Sicht Mindestdauer, vier Wochen wahrscheinlich besser. Das könnte man jetzt noch erreichen, wenn man recht bald anfängt und dann bis in den Anfang Januar geht. Der 10. Januar ist zum Beispiel von der Leopoldina genannt worden. Das macht schon Sinn. Wenn man es zu kurz macht, dann hilft selbst ein harter Lockdown nicht. Wir haben eben über die Dynamik gesprochen. Es dauert immer eine Zeit, bis die Zahlen wieder runtergehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.