Manfred Götzke: Wir wollen das Thema Equal Pay Day jetzt noch ein bisschen vertiefen und mal genauer ansehen, wann im Berufsleben die Lohnungleichheit bei Männer und Frauen besonders gravierend wird, also wann die Löhne und Lohnunterschiede zunehmen. Die Gehaltsunterschiede zwischen Mann und Frau, die sind nämlich anfangs relativ klein und wachsen dann nach dem 30. Geburtstag. Was passiert dann in der Regel – da kommen die Kinder, und dann gehen in Deutschland in aller Regel die Frauen in Elternzeit, danach in Teilzeit und bleiben oft auch in Teilzeit.
Warum das vor allem in Deutschland so ist, möchte ich mit Johanna Posch von der Uni Zürich besprechen. Sie hat die Situation in einer Studie mit anderen EU-Ländern verglichen. Frau Posch, Sie haben sich in mehreren EU-Ländern und in den USA angeschaut, was bei Frauen nach der Geburt karrieretechnisch so passiert. Was haben Sie rausgefunden?
Johanna Posch: Genau. Also wir beschäftigen uns mit den langfristigen Einkommenseinbußen von Frauen nach der Geburt eines Kindes, und wir schauen uns das in drei Ländergruppen an. Wir schauen uns Skandinavien an, Dänemark und Schweden. Dann zwei englischsprachige Länder, die USA und Großbritannien, und auch Deutschland und Österreich.
Hier finden wir, dass die langfristigen Einkommenseinbußen nach der Geburt besonders groß sind in Deutschland und Österreich und besonders klein in Skandinavien, und die USA und Großbritannien spielen sich irgendwo in der Mitte ab.
Götzke: Warum ist das so? Haben die Skandinavier einfach bessere Kitas?
Posch: Ja, das war interessanterweise auch unser erster Instinkt. Wir haben uns als Allererstes einmal angeschaut, welchen Einfluss haben familienpolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel Kinderbetreuung, aber auch Elternzeit, auf diese Einkommenseinbußen, die wir gemessen haben. Es scheint aber so zu sein, dass diese Maßnahmen eher einen schwachen Einfluss haben auf diese massiven langfristigen Einkommenseinbußen.
Natürlich hat die Elternzeit kurzfristig einen großen Einfluss in dem Sinne, dass einfach in den ersten ein oder zwei Jahren nach der Geburt Frauen zu Hause bleiben, aber langfristig scheint das nicht wirklich eine Rolle zu spielen. Was wir finden, ist ein ganz starker Zusammenhang zwischen sozialen Normen und diesen Gehaltseinbußen.
Götzke: Das heißt, die Deutschen sind, was diese Rollenmuster, was Normen angeht, traditioneller, konservativer unterwegs als die Skandinavier.
Posch: Ja, ganz genau. Also wir finden das ganz konkret in Ländern, wo viele Leute ja antworten auf die Frage, ob eine Frau mit Kindern im Vorschulalter zu Hause bleiben sollte, in diesen Ländern – das ist zum Beispiel Deutschland und Österreich – finden wir die höchsten Gehaltseinbußen. In dieser Umfrage, die wir nutzen, das ist die International Social Survey, finden sich in Deutschland 35 Prozent Zustimmung, in Österreich fast 40 Prozent Zustimmung, dass Frauen also zu Hause bleiben sollten. In Skandinavien ist das bei ungefähr zehn Prozent.
Soziale Norm bestimmt darüber, ob Frauen zu Hause bleiben
Götzke: Ist denn Frauen in Deutschland vielleicht gar nicht so wichtig, genauso viel zu verdienen wie die Männer, weil sie lieber mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen?
Posch: Das kann man vielleicht so sagen, es scheint jedenfalls eine soziale Norm gegeben zu sein, die die Frauen eher dazu bringt, zu Hause zu bleiben, wenn sie kleine Kinder haben. Ob das ist, weil ihnen die Kinder besonders wichtig sind oder ihnen das Einkommen besonders unwichtig, das ist natürlich eine Relationenfrage, ja.
Götzke: Wenn Sie sich die Situation noch mal anschauen oder vergleichen, Skandinavien, Deutschland – warum ist das denn so, dass diese Normen so unterschiedlich sind? Gibt es dafür eine Erklärung?
Posch: Ja, also ich will damit auch gar nicht sagen, dass man nicht auch Einfluss nehmen kann auf Normen und dass sich Normen nicht über Zeit verändern können. Sie scheinen sich nur in Skandinavien schon deutlich weiter in eine bestimmte Richtung verändert zu haben als sie das in Deutschland haben.
Drei Faktoren für Einkommenseinbußen
Götzke: Anlass unseres Gesprächs ist ja der Equal Pay Day. Wenn man das jetzt zusammennimmt, was sie sagen, was kann die Politik dann überhaupt daran ändern an den Gehaltsunterschieden, an den Lohnunterschieden?
Posch: Also was schon wichtig ist noch einmal zu betonen, ist, diese Einkommenseinbußen setzen sich natürlich aus drei verschiedenen Komponenten zusammen. Es sind Frauen, die ganz aufhören zu arbeiten und deshalb kein Einkommen mehr haben, Frauen, die ihre Stunden reduzieren und daher nur Teilzeit arbeiten, und Frauen, die tatsächlich zu einem geringeren Stundenlohn arbeiten als vor der Geburt.
Ich denke, in jedem dieser Punkte kann man sich überlegen, warum ist das so, und ich denke mir, beim Equal Pay Day geht es wahrscheinlich vor allem einfach ein bisschen darum, Bewusstsein zu schaffen, dass es diese Unterschiede gibt und dass Kinder zu haben und für Kinder zu sorgen ein ganz, ganz entscheidender Grund ist, wo sich diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufgehen.
Es fehlt der Wille und die Diskussion für Equal Pay
Götzke: Wieso ist ein Land wie Dänemark oder Schweden da so viel weiter, was die Gleichberechtigung angeht, wo ja dann die Frauen nicht nur schneller in Vollzeit wieder arbeiten, aber vielleicht auch sich die Männer mehr um die Kinder kümmern?
Posch: Ja, das ist sicher ein Punkt, das ist vor allem in Schweden der Fall. Schweden ist das einzige Land, wo wir überhaupt irgendwelche Einkommenseinbußen für Männer nach der Kindsgeburt sehen, weil es in Schweden zum Beispiel ganz klare Richtlinien gibt, dass Elternzeit - es gibt gewisse Monate, die quasi nur den Vätern zur Verfügung stehen. Das ist zum Beispiel in Schweden ein großer Unterschied.
Das andere ist wahrscheinlich einfach der Wille und die ständige Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Thema.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.