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"Er hat dem Amt wirklich Schaden zugefügt"

Es sei außergewöhnlich, dass ein Bundespräsident sich so benehme, sagt die SZ-Journalistin Franziska Augstein. Das kenne man von Lokalpolitikern und von wütenden Rumpelstilzchen wie dem französischen Präsidenten Sarkozy.

Franziska Augstein im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Zuerst waren es Zeitungsberichte über eine Nachricht, die Bundespräsident Christian Wulff auf der Mailbox von Chefredakteur Kai Diekmann hinterlassen habe: Die "Bild"-Zeitung plane eine – so wörtlich – "unglaubliche Geschichte", falls die erscheine, bedeute das den endgültigen Bruch mit dem Springer-Verlag. Selbst vom Kriegführen sei die Rede gewesen. Gestern Nachmittag folgte dann die Bestätigung aus der "Bild"-Redaktion, ja, es habe den Anruf gegeben, der Bundespräsident habe sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht. Auch wenn sich Wulff zwei Tage später dafür entschuldigt hat: Es ist eine neue Wendung in der Diskussion um Bundespräsident Christian Wulff und seine Worte vom 22. Dezember erscheinen noch einmal in einem ganz anderen Licht:

    O-Ton Christian Wulff: Ich weiß und finde es richtig, dass die Presse- und Informationsfreiheit ein hohes Gut ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft. Das bedeutet gerade für Amtsträger, jederzeit die Wahrnehmung ihrer Aufgaben vor der Öffentlichkeit zu erläutern und gerade auch im Grenzbereich zwischen Dienstlichem und Privatem, zwischen Amt und Privat die erforderliche Transparenz herzustellen.

    Schulz: Christian Wulff am 22. Dezember. Wie hält es der Bundespräsident mit der Transparenz, mit der Pressefreiheit? Das wollen wir in den kommenden Minuten besprechen. Was sind das alles überhaupt für Vorgänge? Am Telefon begrüße ich die Journalistin Franziska Augstein von der "Süddeutschen Zeitung", guten Morgen!

    Franziska Augstein: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Ein Bundespräsident, der per Mailboxnachricht beim Chefredakteur kritische Berichterstattung verhindern will! – Ist so was normal?

    Augstein: Normal ... Also, es gehört sich auf jeden Fall nicht. Es ist ein Effekt der sich wandelnden Medienlandschaft und des sich wandelnden Verhältnisses von Politikern zu den Medien und vice versa. Soll ich Ihnen das erklären, worin das besteht?

    Schulz: Ja.

    Augstein: Das ist dieses, dass zunehmend die Symbiose zwischen Politikern und Medien enger geworden ist. Das hängt weniger zusammen mit dem Umzug in die Hauptstadt Berlin, es hängt mehr damit zusammen, dass die Medien mittlerweile erweitert worden sind um Internet und andere Dinge, sodass alles sehr viel schneller geht. Man muss sich das ein bisschen vorstellen wie beim Zahnarzt: Die Bohrer sind moderner geworden, sie drehen sich sehr, sehr viel schneller. Das Problem ist nur, der Zahn wird dann nicht besser plombiert, das hängt halt davon ab, wer den Bohrer in der Hand hält.

    Schulz: Ja, wenn es eine neue Art von Beziehung gibt, war dann vielleicht gar nicht der Anruf das Außergewöhnliche oder die Mailboxnachricht, sondern dass so ein Anruf jetzt eben bekannt geworden ist?

    Augstein: Ich denke, ehrlich gesagt, schon, dass es außergewöhnlich ist, dass ein Bundespräsident sich so benimmt. Das kennt man von Lokalpolitikern, das kennt man von wütenden Rumpelstilzchen wie dem ein oder anderen Präsidenten in Frankreich, Sarkozy zum Beispiel. Aber das Amt des deutschen Bundespräsidenten ist ein anderes. Der wird ja dafür geschätzt, dass er sich wie ein Gentleman verhält, anständig, seriös, diskret.

    Schulz: Was könnte ihn denn dazu gebracht haben, dass er so unüberlegt gehandelt hat?

    Augstein: Also, ehrlich gesagt, als er Ministerpräsident wurde, war ziemlich gleich das Erste, was Herr Wulff Gerhard Schröder mitteilte, das sei doch ganz schön, er habe jetzt auch erstmals sich einen maßgeschneiderten Anzug machen lassen und darin fühle man sich gleich wie ein anderer Mensch. Dieses ausgerechnet Herrn Schröder zu sagen, der ja nun schlechte Erfahrung gehabt hatte mit seinen Brioni-Anzügen, war entweder perfide oder es war wirklich in einer Art und Weise kleinbürgerlich, wie man fast annehmen muss, dass es in Herrn Wulffs Kopf zugeht.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal genau auf die Wortwahl schauen, das hat ja auch, das war ja auch bemerkenswert, so wie es in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zitiert wurde: Da habe er mit einem endgültigen Bruch gedroht oder den angekündigt. Bruch heißt, dass es da auch eine besondere Beziehung gegeben hat, das haben Sie eben schon angetippt. Aber was für Art von Beziehung ist das, mit der ein Bundespräsident drohen kann in einem Verhältnis zu einem Verlag?

    Augstein: Das ist eine Sache, die ist bundesweit zunehmend eingerissen, muss man sagen, leider. Da hat Herr Schröder auch ein schlechtes Vorbild abgegeben, der ja berühmterweise sagte, er brauche zum Regieren nur "Bild" und die Glotze. Die Leute verlassen sich zunehmend darauf, dass Boulevardmedien diejenigen sind, die das transportieren, was sie vermitteln wollen. Und sie setzen dann zunehmend darauf, dass sie damit punkten können, indem sie Fotos aus ihrem Privatleben preisgeben, indem sie irgendwie in der Öffentlichkeit irgendwen abknutschen und dergleichen. Verteidigungsminister Guttenberg, als er es noch war, hat sich nicht entblödet, mit seiner Frau in einen Bundeswehr-Stützpunkt nach Afghanistan zu reisen, damit die dann dort schön aussehend vor Fernsehkameras rumlaufen konnte. Das ist eine Veränderung hin zum Boulevardesken und zum Unseriösen, die in den vergangenen Jahren halt angestiegen ist. Und Herr Wulff scheint sich gedacht zu haben, dass er auf diese Art und Weise auch gut durchkommt. Er hat einfach übersehen, dass das genau einem Bundespräsidenten nicht ansteht.

    Schulz: Wer bestimmt denn in diesem Verhältnis die Spielregeln? Der Politiker, die öffentliche Person oder das Medium?

    Augstein: Das hängt davon ab. Je nachdem, wer stärker ist und wer die besseren Karten hat. Jemand, der wirklich anerkannt ist in der Bundesrepublik, der kann auch der "Bild"-Zeitung auf der Nase rumtanzen und dort genau das lancieren, was er lancieren will. Jemand, der schwach ist, ist in einer schlechteren Position. Und jetzt, anfangs, wähnte Wulff sich vielleicht zu Recht in einer guten Position, weil er der "Bild"-Zeitung einiges aus seinem Privatleben überlassen hatte, was die drucken konnten – das ist nur allerdings schon ein paar Jahre her –, und da wähnte er, dieses Verhältnis würde sich genau so fortsetzen, also, er sei sozusagen immun. Und deswegen war er dann irgendwie überrascht, als er auf einmal sehen musste, nein, die "Bild"-Zeitung druckt das, was Auflage bringt, was flashy ist. Und dann wird er eben nicht mehr geschont.

    Schulz: Aber bringt es denn überhaupt Auflage? Wir haben gelernt auch in unserer eigenen Berichterstattung, haben wir aus Umfragen gehört, aber auch aus den Reaktionen unserer Hörer gelernt, dass man sich nicht beliebt macht mit Kritik am Staatsoberhaupt.

    Augstein: Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. Die Leute lesen es und sie finden es unmöglich. Aber sie lesen es trotzdem. Und wenn Sie zum Beispiel heute die Zeitungen sehen, es gibt keine einzige seriöse Zeitung, die mit diesen Geschichten nicht groß irgendwann einen Artikel verbunden hat.

    Schulz: Ja, also, es ist ja auch in dem Fall nicht nur der Boulevard, nicht nur die "Bild"-Zeitung, sondern auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", eine konservative Zeitung, die aktiv und profund recherchiert im Fall Wulff. Wie erklären Sie sich denn, dass es ausgerechnet die Blätter sind, die jetzt dieses Interesse entwickelt haben?

    Augstein: Weil das immer die Blätter sind, die dann, nachdem die großen Boulevardmedien mit nicht ganz zuverlässigen Geschichten vorgestoßen sind, also, mit Geschichten, die vielleicht stimmen, vielleicht auch nicht, wo man wissen will, was steht wirklich dahinter, dann schießen, dann stoßen die etwas größeren, etwas langsameren Medien nach und recherchieren das profund bis zum Ende. Und bei dieser Geschichte, also auch heute in der "FAZ", das ist ja komisch! Warum sollte man sich das entgehen lassen?

    Schulz: Kann Christian Wulff im Amt bleiben?

    Augstein: Tja, er kann, er kann. Ich glaube nicht, dass das ... Also, ich glaube nicht, dass irgendeine Institution in der Bundesrepublik Interesse daran hat, dass er zurücktritt, weil das einfach zu schnell, in zu schneller Folge jetzt der zweite Rücktritt eines Bundespräsidenten wäre. Aber er hat dem Amt wirklich Schaden zugefügt, er müsste sich bemühen, das auszuwetzen.

    Schulz: Franziska Augstein, Journalistin von der "Süddeutschen Zeitung" und heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, danke schön!

    Augstein: Danke Ihnen!

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