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"Er hat den Preis zu recht bekommen"

Uwe Tellkamp 1000-Seiten-Epos "Der Turm" ist nach Ansicht des Literaturkritikers Hajo Steinert eine niveauvolle und unterhaltsame Lektüre. Das Buch sei geeignet, die Ereignisse vor dem Fall der Mauer aus Sicht des Bildungsbürgertums zu beleuchten. Die Vergabe werde bewirken, dass der Roman auch im Ausland Beachtung finden werde.

Hajo Steinert im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Am Deutschen Buchpreis haben in den letzten Wochen vor allem Autoren heftig rumgekrittelt. Daniel Kehlmann befürchtet, dass die Literatur, die es nicht auf die Long- oder Shortlist geschafft hat, auch in den Feuilletons einfach hinten runterfällt. Und er findet auch die Verleihungsprozedur unwürdig. Und es gibt ernst zu nehmende Stimmen aus dem Literaturbetrieb, die grundsätzlich Stellung nehmen gegen ein Buchranking, das so tut, als sei Literatur treppchenfähig wie ein Sportwettbewerb. Da es aber der Deutsche Buchpreis in der Tat geschafft hat, nicht nur große, auch internationale Aufmerksamkeit, sondern auch jede Menge neuer Leser zu generieren, ergo sehr erfolgreich ist, wurde er auch gestern Abend wieder verliehen an Uwe Tellkamp und dessen 1000-Seiten-Epos "Der Turm". Hajo Steinert, Leiter des "Kulturellen Wortes" im Deutschlandfunk ist im Studio. Herr Steinert, sagen wir mal so, es wäre eher eine Überraschung gewesen, wenn Tellkamp nicht ausgezeichnet worden wäre.

    Hajo Steinert: Sie haben völlig recht, Frau Fischer. Er war der große Favorit und er hat den Preis zu Recht bekommen für einen monumentalen Roman. Er heißt "Der Turm", fast 1000 Seiten dick, und monumental deshalb, weil er die letzten sieben Jahre der Deutschen Demokratischen Republik zum Inhalt hat. Das ist die erzählte Zeit eines Romans, der wirklich sehr viel über den Alltag in der DDR zeigt aus der Perspektive allerdings einer kleinen, durchaus elitären Gesellschaft in einem Villenviertel in Dresden, "Weißer Hirsch" heißt es da. Und da wird wirklich noch bürgerlich vor sich hin gelebt mit Leseabenden, mit Musikabenden. Es ist das Ambiente von Lektoren, von Ärzten. Und in diesem Milieu spielt dieser Roman, der eine These vertritt, die sehr interessant ist, über die man jetzt auch vielleicht diskutieren sollte. Es ist sicherlich kein Behagen darüber da, in diesem wirklich auch musial ausgerichteten Roman, kein Behagen darüber da, dass diese DDR untergegangen ist, sondern es ist eine Melancholie insofern da, dass mit dem Untergang der DDR auch ein Bildungsbürgertum untergegangen ist. Es ist ein Roman, der auf verschiedenen Erzählebenen spielt. Es gibt auch eine Lovestory darin, eine verbotene Liebesgeschichte des Chirurgen. Es gibt regelrechte Schmonzetten darin. Der Roman ist vergnüglich, unterhaltsamer, als man denken muss, weil er diesen historisch kruden Stoff, die letzten Jahre der DDR, zum Gegenstand hat.

    Fischer: Vielleicht, Hajo Steinert, müssen wir ein paar Worte sagen über Uwe Tellkamp im Verhältnis zu den anderen Kandidaten auf der Shortlist.

    Steinert: Na ja, es gab ja einen weiteren Kandidaten auf der Shortlist, der durchaus auch ein politisch-historisches Thema zum Gegenstand wählt, just einen Roman, "Adam und Evelina", eines Autors, der in diesem Dresden auch gewohnt hat, nämlich Ingo Schulzes Roman. Dieser Roman setzt prompt an diesem Zeitpunkt, da die Mauer fällt an. In eine Chronologie gefasst sind diese beiden Romane durchaus vergleichbar, literarisch überhaupt nicht. Wichtig ist für das literarische Bewusstsein der Nation, wie es sich im kommenden Monaten entwickelt, dass diese Romane sehr gut Diskussionsstoff bieten und uns helfen, das zu verstehen, was im nächsten Jahr 20 Jahre her sein wird, nämlich der Fall der Mauer.

    Fischer: Wir haben am Wochenende erlebt, wie der ehemalige Literaturpapst der Deutschen Marcel Reich-Ranicki dem amtierenden Entertainer der Deutschen im Fernsehen die Show gestohlen hat mit einer Fundamental-Kritik an einer Veranstaltung, die auch eine Preisverleihung war. Buchpreisverleihungen tendieren eher zur Klugheit, aber auch zur Langeweile. Wie war es gestern in Frankfurt, im Kaisersaal des Frankfurter Römer?

    Steinert: Gar nicht langweilig. Es war eine präzise Stunde, in der sehr konzise die einzelnen Texte, die einzelnen Kandidaten vorgestellt wurden. Und es gab ein schönes Abschlussbild nachher. Es wird ja nicht im Fernsehen übertragen wie dieser Deutsche Fernsehpreis zum Beispiel, der nun mit Kultur nicht viel zu tun hat. Aber dieses Schlussbild war sehr schön. Der Uwe Tellkamp stand dann ganz alleine auf der Bühne, bedankte sich bei seiner Frau, bei seinem Kind, wie es bei so bei Showstars auch üblich ist. Nur was er tat, er bat alle fünf anderen Kandidaten auf die Bühne und so standen dann die sechs Finalisten auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis miteinander beinahe Arm in Arm. Und so hat man sich als Einheit dargestellt. Und mit dem Bild strafte man eigentlich auch die Kritik ein bisschen Lügen, dass eben die Schriftsteller eigentlich nicht mitmachen sollten bei diesem Ganzen.

    Daniel Kehlmann, ein Beststellerautor, sagte, das ist ein Zur-Schau-Stellen von allem und das Ganze, solange es nicht im Fernsehen übertragen wird, ist eine sehr gemäßigte Form von Unterhaltung. Und ich finde, die Literatur, die deutsche Literatur hat das durchaus verdient, den internationalen Anschluss zu wahren an Booker Prize und an andere richtige Preise. Denn der Deutsche Buchpreis ist ja, um auf die Wirkung zu kommen, nicht nur ein Preis, der von Literaturkritikern und Buchhändlern vergeben wird und auch nach Kriterien, die nicht nur literaturkritisch sind, sondern der Deutsche Buchpreis versucht ja, ein Buch in die Diskussion zu werfen, vielen deutschen Lesern, Buchhändlern anheim zu legen, dies zu lesen und die Diskussion zu fördern. Nein, man will ja auch international konkurrenzfähig werden. Und die deutsche Literatur ist nicht in dem Maße konkurrenzfähig, wie es sich die Verlage oder wie es sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der den Preis vergibt, wünscht. Und insofern ist dieser Preis durchaus wichtig. Ob ein Roman über die Endzeit der DDR in Amerika gerne gelesen wird, in Frankreich gelesen wird oder im fernen Australien oder in Neuseeland, das ist allerdings eine Frage, die unsere Korrespondenten beantworten werden, wenn sie über die Rezeption dieses Romans dort sprechen werden. Aber übersetzt wird der Roman jetzt in viele Sprachen, das ist sicher.

    Fischer: Danke an Hajo Steinert für diesen Bericht von der Verleihung des Deutschen Buchpreises an Uwe Tellkamp in Frankfurt gestern Abend.