Jasper Barenberg: "Wir sind nicht an kolorierten Fotos interessiert." Mit dieser Begründung verwirft eine Jury in Berlin das Ölgemälde eines gewissen Gerhard Richter für einen Wettbewerb. Eine Frau schreitet darauf nackt eine Treppe hinab. Das war 1966. Heute gilt Gerhard Richter als der größte, als der berühmteste deutsche Maler unserer Zeit, als der teuerste natürlich auch. Und das Bild von damals, ein Porträt seiner ersten Frau Emma, nach einem Schnappschuss unscharf in Ölfarbe gemalt, gehört zu seinen wohl bekanntesten Werken.
Ab Samstag wird es in Berlin zu sehen sein, im Rahmen einer Werkschau, ausgerichtet von der Neuen Nationalgalerie – auch eine Art Geburtstagsgeschenk, denn heute wird Gerhard Richter 80. Über diesen Maler wollen wir in den nächsten Minuten sprechen, über sein Werk und seine Bedeutung. Im Studio ist der Kollege Stefan Koldehoff. Herr Koldehoff, es gibt von Gerhard Richter diese nach Fotos realistisch, aber doch unscharf gemalten Bilder. Wir kennen aber auch große, schreiend bunte, abstrakte Gemälde. Richter hat Fotos übermalt, er hat hinter Glas gemalt, es gibt den Stammheim-Zyklus mit sehr politischen Bildern, den Leichen der RAF-Toten im Gefängnis, und es gibt ganz persönliche Motive von Gerhard Richter. Dass er sich quasi ein Feld der Malerei nach dem anderen ausgesucht hat und beackert hat, auch mit verschiedenen Motiven, ist das zumindest eine sehr charakteristische Eigenschaft für diesen Mann?
Stefan Koldehoff: Ja, das muss man so sehen. Er ist ja immer wieder verglichen worden mit Picasso und genannt worden der Picasso des 21. Jahrhunderts. Das ist natürlich maßlos übertrieben und das würde er auch weit von sich weisen. Aber in einem ähneln sich die beiden tatsächlich, nämlich in dem Wunsch auszuprobieren, was Malerei eigentlich kann, was ist möglich mit Farbe, mit Pinsel, mit Leinwand, und so ist eben auch zu erklären, dass es bei Richter nicht so etwas wie einen roten Faden oder eine stringente Entwicklung im Werk gibt, dass er mal das gemacht hat, mal das, mal einfach nur geguckt hat, was passiert, wenn ich auf verschiedene Art und Weisen graue Farbe auf eine Leinwand bringe, mal gerollt, mal mit dem Pinsel, mal mit den Fingern verstrichen, dass er mal diese ganz persönlichen Motive nimmt, zu denen er sich übrigens lange nicht bekannt hat. Das tut er erst in den letzten Jahren. Er hat mal gesagt, er würde so ein bisschen sentimental, und hat dann eben erzählt, dass das eine seine ehemalige Frau war, das andere seine von den Nazis umgebrachte Tante, die er da gemalt hat. Das liegt alles daran, dass er sich nie auf Motive, nie auf Techniken festlegen lassen wollte, ähnlich wie Picasso, sondern einfach nur schauen, was kann ich und was kann die Kunst.
Barenberg: "Wie sieht der rote Faden Ihres Werkes aus", hat ihn ja kürzlich jemand gefragt. Die Antwort war: "Rot!" – Auch eine vielleicht bezeichnende Antwort?
Koldehoff: Sehr wahr, ja, wobei es ein großes Bild von ihm gibt, das einen riesigen gigantischen gelben Strich zeigt. Da hat er also nicht so ganz die Wahrheit gesprochen.
Barenberg: Die Kritiker feiern ihn, die Museen feiern ihn und hängen ihn, die Sammler feiern ihn natürlich. Gerhard Richter eine Ikone – ist dieses Urteil eigentlich jetzt schon unumstößlich?
Koldehoff: Ja, das ist es, glaube ich, und das ist es aber noch gar nicht so lange. Wenn man sich klar macht, dass es eigentlich bis Mitte der 80er-Jahre, bis zu einer großen ersten Retrospektive in der Düsseldorfer Kunsthalle gedauert hat, bis man überhaupt begriffen hat, was dieser Mann leistet und was er kann, dann sind das jetzt gerade mal 30 Jahre, und in den 30 Jahren zur Ikone zu werden, das ist schon eine Leistung. Es ist gerade ein Film erschienen, der ihn beim Malen zeigt. Man muss sich einfach klar machen, was dieser 80-jährige Mann da auch physisch noch jeden Tag leistet, an riesigen Leinwänden steht, mit breiten Metallrakeln die Farbe darüberzieht, auf Leitern zum Teil. Das ist auch körperlich, nicht nur geistig eine enorme Anstrengung.
Barenberg: Gerhard Richter wurde in Dresden geboren, er ist kurz vor dem Mauerbau mit seiner ersten Frau in den Westen geflohen, und zwar zunächst nach Düsseldorf. Wir haben jetzt über sein Werk gesprochen und Sie haben auch schon erwähnt, dass er zunächst ein Außenseiter war, noch gar nicht anerkannt in der Szene. Warum und wann hat sich das geändert?
Koldehoff: Es hat sich geändert, als sich das allgemeine Bewusstsein für Kunst geändert hatte. In den ausgehenden 50er- bis weit in die 60er-Jahre hinein dominierte die amerikanische Kunst, der abstrakte Expressionismus, also vollkommen ungegenständliche Bilder, wo nur die Geste, die Emotion zählte, das Ganze mit möglichst viel Verve auf die Leinwand zu bringen. Und dann kam dieser Mensch aus der ehemaligen DDR, der an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hatte, und malte völlig distanzierte Bilder, ganz sachlich, ganz ruhig: Autos, Düsenjäger, Bäume, Häuser. Das wirkte so was von unglaublich altmodisch, dass man das eigentlich als progressiver Kunstfreund überhaupt nicht gut finden konnte. Und erst langsam setzte sich dann die Erkenntnis durch, dass ist große Kunst, das ist handwerklich wunderbar gemacht. Es ist aber nicht einfach bloß platte Abschilderei des Wirklichen, sondern es hat diesen fantastischen Mehrwert, diese immer währende Frage, was steckt dahinter, was ist ein Bild – ein Bild ist nicht die Wirklichkeit, ein Bild ist eben nur ein Abbild -, und das erreichte er ja durch ganz einfache Tricks, beispielsweise indem er hyperrealistisch malte und dann mit breiten Pinseln mal eben noch über die feuchte Farbe rüberstrich, sodass das alles so ein bisschen unscharf verschlierte, und schon war der Effekt da, den er haben wollte.
Barenberg: Heute berühmt zum Beispiel die Leipziger Schule, auch eine Schule der Malerei. Was kann man sagen, wie viel hat er beigetragen, der Gerhard Richter jetzt wieder, zur Renaissance der Malerei?
Koldehoff: Er war mit Sicherheit der wesentliche, anders als beispielsweise Sigmar Polke oder Georg Baselitz oder andere Zeitgenossen, die das möglich gemacht haben, und er ist sicherlich derjenige, der dafür verantwortlich ist, dass es heute die Devise "anything goes" in der Malerei gibt, ohne dass man dadurch der Beliebigkeit verdächtigt würde.
Barenberg: Distanz, Neutralität, Zufall – so beschreibt sein Biograf Richters Arbeitsweise. Das Wort Distanz ist bei Ihnen auch schon gerade gefallen. Können Sie mit diesem Dreiklang etwas anfangen?
Koldehoff: Ja durchaus, denn er macht sich mit keinem Motiv gemein. Es sind zum Teil Schnappschüsse, die er selbst mal irgendwo im Urlaub fotografiert hat und die er dann für wert befindet, zu einer riesig großen Malerei zu werden. Es gibt kein emotionales Engagement in diesen Bildern, vielleicht in den Porträts seiner Kinder oder seiner Frauen, das mag so sein. Aber ansonsten ist er, glaube ich, einer der distanziertesten und unemotionalsten Maler, den man sich vorstellen kann.
Barenberg: Wie haben Sie ihn – das zum Schluss, Herr Koldehoff – in persönlichen Begegnungen erlebt, auch als jemand, dem die Berühmtheit zur Last geworden ist?
Koldehoff: Nein, er kann sich auch davon wunderbar distanzieren. Er ist ein ganz ruhiger, ganz geerdeter Mensch, völlig bescheiden, und wenn man immer wieder hört, er will über seine Bilder nicht sprechen, dann liegt das nicht daran, dass er arrogant wäre oder so etwas; er kann es schlicht nicht. Er sagt selbst, wenn ich im Atelier stehe und anfange zu malen, dann weiß ich nicht, was werden wird, und wenn das Bild fertig ist, dann kann ich sehen, ob es gut ist oder nicht. Aber warum das so ist, da müssen andere drüber entscheiden.
Barenberg: Der Maler Gerhard Richter feiert heute seinen 80. Geburtstag. Vielen Dank für den Besuch im Studio, Stefan Koldehoff.
Ab Samstag wird es in Berlin zu sehen sein, im Rahmen einer Werkschau, ausgerichtet von der Neuen Nationalgalerie – auch eine Art Geburtstagsgeschenk, denn heute wird Gerhard Richter 80. Über diesen Maler wollen wir in den nächsten Minuten sprechen, über sein Werk und seine Bedeutung. Im Studio ist der Kollege Stefan Koldehoff. Herr Koldehoff, es gibt von Gerhard Richter diese nach Fotos realistisch, aber doch unscharf gemalten Bilder. Wir kennen aber auch große, schreiend bunte, abstrakte Gemälde. Richter hat Fotos übermalt, er hat hinter Glas gemalt, es gibt den Stammheim-Zyklus mit sehr politischen Bildern, den Leichen der RAF-Toten im Gefängnis, und es gibt ganz persönliche Motive von Gerhard Richter. Dass er sich quasi ein Feld der Malerei nach dem anderen ausgesucht hat und beackert hat, auch mit verschiedenen Motiven, ist das zumindest eine sehr charakteristische Eigenschaft für diesen Mann?
Stefan Koldehoff: Ja, das muss man so sehen. Er ist ja immer wieder verglichen worden mit Picasso und genannt worden der Picasso des 21. Jahrhunderts. Das ist natürlich maßlos übertrieben und das würde er auch weit von sich weisen. Aber in einem ähneln sich die beiden tatsächlich, nämlich in dem Wunsch auszuprobieren, was Malerei eigentlich kann, was ist möglich mit Farbe, mit Pinsel, mit Leinwand, und so ist eben auch zu erklären, dass es bei Richter nicht so etwas wie einen roten Faden oder eine stringente Entwicklung im Werk gibt, dass er mal das gemacht hat, mal das, mal einfach nur geguckt hat, was passiert, wenn ich auf verschiedene Art und Weisen graue Farbe auf eine Leinwand bringe, mal gerollt, mal mit dem Pinsel, mal mit den Fingern verstrichen, dass er mal diese ganz persönlichen Motive nimmt, zu denen er sich übrigens lange nicht bekannt hat. Das tut er erst in den letzten Jahren. Er hat mal gesagt, er würde so ein bisschen sentimental, und hat dann eben erzählt, dass das eine seine ehemalige Frau war, das andere seine von den Nazis umgebrachte Tante, die er da gemalt hat. Das liegt alles daran, dass er sich nie auf Motive, nie auf Techniken festlegen lassen wollte, ähnlich wie Picasso, sondern einfach nur schauen, was kann ich und was kann die Kunst.
Barenberg: "Wie sieht der rote Faden Ihres Werkes aus", hat ihn ja kürzlich jemand gefragt. Die Antwort war: "Rot!" – Auch eine vielleicht bezeichnende Antwort?
Koldehoff: Sehr wahr, ja, wobei es ein großes Bild von ihm gibt, das einen riesigen gigantischen gelben Strich zeigt. Da hat er also nicht so ganz die Wahrheit gesprochen.
Barenberg: Die Kritiker feiern ihn, die Museen feiern ihn und hängen ihn, die Sammler feiern ihn natürlich. Gerhard Richter eine Ikone – ist dieses Urteil eigentlich jetzt schon unumstößlich?
Koldehoff: Ja, das ist es, glaube ich, und das ist es aber noch gar nicht so lange. Wenn man sich klar macht, dass es eigentlich bis Mitte der 80er-Jahre, bis zu einer großen ersten Retrospektive in der Düsseldorfer Kunsthalle gedauert hat, bis man überhaupt begriffen hat, was dieser Mann leistet und was er kann, dann sind das jetzt gerade mal 30 Jahre, und in den 30 Jahren zur Ikone zu werden, das ist schon eine Leistung. Es ist gerade ein Film erschienen, der ihn beim Malen zeigt. Man muss sich einfach klar machen, was dieser 80-jährige Mann da auch physisch noch jeden Tag leistet, an riesigen Leinwänden steht, mit breiten Metallrakeln die Farbe darüberzieht, auf Leitern zum Teil. Das ist auch körperlich, nicht nur geistig eine enorme Anstrengung.
Barenberg: Gerhard Richter wurde in Dresden geboren, er ist kurz vor dem Mauerbau mit seiner ersten Frau in den Westen geflohen, und zwar zunächst nach Düsseldorf. Wir haben jetzt über sein Werk gesprochen und Sie haben auch schon erwähnt, dass er zunächst ein Außenseiter war, noch gar nicht anerkannt in der Szene. Warum und wann hat sich das geändert?
Koldehoff: Es hat sich geändert, als sich das allgemeine Bewusstsein für Kunst geändert hatte. In den ausgehenden 50er- bis weit in die 60er-Jahre hinein dominierte die amerikanische Kunst, der abstrakte Expressionismus, also vollkommen ungegenständliche Bilder, wo nur die Geste, die Emotion zählte, das Ganze mit möglichst viel Verve auf die Leinwand zu bringen. Und dann kam dieser Mensch aus der ehemaligen DDR, der an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hatte, und malte völlig distanzierte Bilder, ganz sachlich, ganz ruhig: Autos, Düsenjäger, Bäume, Häuser. Das wirkte so was von unglaublich altmodisch, dass man das eigentlich als progressiver Kunstfreund überhaupt nicht gut finden konnte. Und erst langsam setzte sich dann die Erkenntnis durch, dass ist große Kunst, das ist handwerklich wunderbar gemacht. Es ist aber nicht einfach bloß platte Abschilderei des Wirklichen, sondern es hat diesen fantastischen Mehrwert, diese immer währende Frage, was steckt dahinter, was ist ein Bild – ein Bild ist nicht die Wirklichkeit, ein Bild ist eben nur ein Abbild -, und das erreichte er ja durch ganz einfache Tricks, beispielsweise indem er hyperrealistisch malte und dann mit breiten Pinseln mal eben noch über die feuchte Farbe rüberstrich, sodass das alles so ein bisschen unscharf verschlierte, und schon war der Effekt da, den er haben wollte.
Barenberg: Heute berühmt zum Beispiel die Leipziger Schule, auch eine Schule der Malerei. Was kann man sagen, wie viel hat er beigetragen, der Gerhard Richter jetzt wieder, zur Renaissance der Malerei?
Koldehoff: Er war mit Sicherheit der wesentliche, anders als beispielsweise Sigmar Polke oder Georg Baselitz oder andere Zeitgenossen, die das möglich gemacht haben, und er ist sicherlich derjenige, der dafür verantwortlich ist, dass es heute die Devise "anything goes" in der Malerei gibt, ohne dass man dadurch der Beliebigkeit verdächtigt würde.
Barenberg: Distanz, Neutralität, Zufall – so beschreibt sein Biograf Richters Arbeitsweise. Das Wort Distanz ist bei Ihnen auch schon gerade gefallen. Können Sie mit diesem Dreiklang etwas anfangen?
Koldehoff: Ja durchaus, denn er macht sich mit keinem Motiv gemein. Es sind zum Teil Schnappschüsse, die er selbst mal irgendwo im Urlaub fotografiert hat und die er dann für wert befindet, zu einer riesig großen Malerei zu werden. Es gibt kein emotionales Engagement in diesen Bildern, vielleicht in den Porträts seiner Kinder oder seiner Frauen, das mag so sein. Aber ansonsten ist er, glaube ich, einer der distanziertesten und unemotionalsten Maler, den man sich vorstellen kann.
Barenberg: Wie haben Sie ihn – das zum Schluss, Herr Koldehoff – in persönlichen Begegnungen erlebt, auch als jemand, dem die Berühmtheit zur Last geworden ist?
Koldehoff: Nein, er kann sich auch davon wunderbar distanzieren. Er ist ein ganz ruhiger, ganz geerdeter Mensch, völlig bescheiden, und wenn man immer wieder hört, er will über seine Bilder nicht sprechen, dann liegt das nicht daran, dass er arrogant wäre oder so etwas; er kann es schlicht nicht. Er sagt selbst, wenn ich im Atelier stehe und anfange zu malen, dann weiß ich nicht, was werden wird, und wenn das Bild fertig ist, dann kann ich sehen, ob es gut ist oder nicht. Aber warum das so ist, da müssen andere drüber entscheiden.
Barenberg: Der Maler Gerhard Richter feiert heute seinen 80. Geburtstag. Vielen Dank für den Besuch im Studio, Stefan Koldehoff.