Christoph Heinemann: Dass man als EU-Mitglied nicht tun und lassen kann was man will, diese Erfahrung macht gerade Victor Ponta. Der Sozialdemokrat ist rumänischer Ministerpräsident und er trampelt zurzeit mit beiden Füßen auf der Verfassung seines Landes herum, um irgendwie den Staatspräsidenten los zu werden. Vom Amt suspendiert ist Trajan Basescu bereits, am 29. Juli sollen die Rumänen über seine Amtsenthebung abstimmen – mitten in den Ferien und ohne Quorum, das heißt ohne eine Vorgabe für eine Mindestbeteiligung an der Abstimmung. Auf juristisch höchst fragwürdige Weise hat der Ministerpräsident dies umgesetzt, und das finden die europäischen Partner überhaupt nicht witzig. Gestern wurde der rumänische Botschafter ins Kanzleramt einbestellt, das geschieht unter EU-Partnern höchst selten, und in Brüssel nahmen Kommissionschef Barroso und Ratspräsident van Rompuy den Sozialdemokraten ins Gebet, dessen europäische Parteifreunde nur mit angezogener Handbremse Kritik übten. Offenbar ist Ponta nun bereit, seine Politik, mit Eildekreten am Verfassungsgericht vorbeizuregieren, zu korrigieren. – Monica Macovei ist Abgeordnete des Europäischen Parlaments, sie gehört dort der EVP-Fraktion an. Als ehemalige rumänische Justizministerin hat sie der Korruption im Land den Kampf angesagt. Ich habe Frau Macovei vor der Sendung gefragt, was geschehen müsse, damit die rumänische Verfassung und das europäische Recht nicht verletzt werden.
Monica Macovei: Er muss sofort die Notverordnungen aufheben, die im Widerspruch stehen zu den Entscheidungen des Verfassungsgerichts. Eine ist die vom 4. Juli, die besagt, dass das Verfassungsgericht nicht mehr die Verfassungsmäßigkeit der vom Parlament getroffenen Entscheidungen überprüfen kann. Die andere ist die vom Abend des 5. Juli, womit das Verfahren der Amtsenthebung des Präsidenten verändert wurde. Die erforderliche Mehrheit wurde abgesenkt, oder tatsächlich sogar abgeschafft. Egal wie viele Menschen teilnehmen, tausend oder hundert, das Referendum ist gültig. Diesen beiden Notverordnungen widersprechen zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichts vom 9. und 10. Juli. Und überraschenderweise – oder eben auch nicht: Wenige Stunden nach dieser Entscheidung veröffentlichte das Innenministerium eine Presseerklärung, in der es hieß, trotz der Entscheidung des Verfassungsgerichtes, würde das Referendum zur Amtsenthebung des Präsidenten nach den Bestimmungen der Notverordnung stattfinden. Diese beiden Verordnungen kann er in einer Sekunde aufheben.
Heinemann: Ist Herr Ponta dazu bereit?
Macovei: Ich glaube nicht, dass er das will, aber er muss!
Heinemann: Führt er gerade einen Staatsstreich durch?
Macovei: Das hat er bereits getan, mit dem Ziel, den Präsidenten zu suspendieren. Das geschah innerhalb von zwei Tagen, am 5. und 6. Juli. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Präsident in einem normalen Land innerhalb von zwei Tagen suspendiert wird.
Heinemann: Erwarten Sie, dass Präsident Basescu Ende dieses Monates seines Amtes enthoben wird?
Macovei: Hauptsache ist, dass das Referendum am 29. Juli nach den Regeln stattfindet, die vor dem Beginn des Amtsenthebungsprozesses galten.
Heinemann: Und das Referendum, wird das stattfinden?
Macovei: Ja, es wird stattfinden.
Heinemann: Eine Umfrage hat ergeben, dass rund 65 Prozent der Rumänen für eine Amtsenthebung von Präsident Basescu stimmen würden. Wieso möchte eine Mehrheit das Staatsoberhaupt los werden?
Macovei: Das weiß ich nicht. Vielleicht, weil er 2009 die rigorose Sparpolitik mit Gehaltskürzungen angekündigt hat. Das ist es, was die Leute über ihn sagen: Er hat unsere Gehälter gekürzt.
Heinemann: Also hat er Fehler gemacht?
Macovei: Er war mutig. Er hätte diese Ankündigung auch dem Ministerpräsidenten überlassen können.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk – ein Gespräch mit der Europaabgeordneten und früheren rumänischen Justizministerin Monica Macovei. - Aus Rumänien wird gemeldet, dass Herrn Pontas sozialdemokratische Partei USL die Parlamentswahl im Herbst gewinnen könnte. Wieso ist er so beliebt?
Macovei: Ich glaube, dass diese Zeit vorbei ist. Wenn Sie nach Bukarest kommen, werden Sie Demonstrationen sehen, in denen die Köpfe der sozial-liberalen Koalition, etwa der des Chefs der liberalen Partei, der jetzt Interimspräsident ist, als Hitler porträtiert wird. Das habe ich selbst gesehen. Selbst die Leute, die Basescu nicht mögen, sagen 'Das geht so nicht, das zerstört die Demokratie'. Man kann nicht mal eben einfach so jemanden entlassen.
Heinemann: Befinden sich das politische und das Rechtssystem in Rumänien auf europäischem Niveau?
Macovei: Vor diesen Ereignissen ja, oder nahe daran. Jetzt wollen die Politiker verhindern, dass gegen sie Untersuchungen laufen und sie verurteilt werden. In Rumänien wurden Politiker erst nach 2005 verurteilt. Das war ein Schock für sie. Nur, Politiker verfügen über die Waffen, um sich selbst zu verteidigen: Sie ändern das Gesetz. Oder sie bauen eine Institution um.
Heinemann: In den letzten Monaten sorgte die ungarische Regierung in der Europäischen Union für Befürchtungen wegen des zunehmend autoritären Führungsstils. Sind die ehemaligen kommunistischen Staaten besonders anfällig für diese Art Politik?
Macovei: Ich würde beides nicht miteinander vergleichen. In Rumänien geht es um das Justizsystem. Das war in Ungarn nicht der Fall. Die Lage in Rumänien ist wesentlich ernster. In Rumänien wacht man morgens auf und es gibt eine neue Notverordnung, die irgendetwas regelt, ohne dass darüber debattiert worden wäre. Rückschritte gab es auch in anderen Staaten: in Slowenien nach dem EU-Beitritt den Versuch, die Antikorruptions-Behörde abzubauen. In einem der baltischen Staaten versuchte der Ministerpräsident, den Antikorruptions-Staatsanwalt loszuwerden. Ja, solche Vorgänge lassen sich beobachten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Heinemann: Ist Herr Ponta dazu bereit?
Macovei: Ich glaube nicht, dass er das will, aber er muss!
Heinemann: Führt er gerade einen Staatsstreich durch?
Macovei: Das hat er bereits getan, mit dem Ziel, den Präsidenten zu suspendieren. Das geschah innerhalb von zwei Tagen, am 5. und 6. Juli. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Präsident in einem normalen Land innerhalb von zwei Tagen suspendiert wird.
Heinemann: Erwarten Sie, dass Präsident Basescu Ende dieses Monates seines Amtes enthoben wird?
Macovei: Hauptsache ist, dass das Referendum am 29. Juli nach den Regeln stattfindet, die vor dem Beginn des Amtsenthebungsprozesses galten.
Heinemann: Und das Referendum, wird das stattfinden?
Macovei: Ja, es wird stattfinden.
Heinemann: Eine Umfrage hat ergeben, dass rund 65 Prozent der Rumänen für eine Amtsenthebung von Präsident Basescu stimmen würden. Wieso möchte eine Mehrheit das Staatsoberhaupt los werden?
Macovei: Das weiß ich nicht. Vielleicht, weil er 2009 die rigorose Sparpolitik mit Gehaltskürzungen angekündigt hat. Das ist es, was die Leute über ihn sagen: Er hat unsere Gehälter gekürzt.
Heinemann: Also hat er Fehler gemacht?
Macovei: Er war mutig. Er hätte diese Ankündigung auch dem Ministerpräsidenten überlassen können.
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Macovei: Ich glaube, dass diese Zeit vorbei ist. Wenn Sie nach Bukarest kommen, werden Sie Demonstrationen sehen, in denen die Köpfe der sozial-liberalen Koalition, etwa der des Chefs der liberalen Partei, der jetzt Interimspräsident ist, als Hitler porträtiert wird. Das habe ich selbst gesehen. Selbst die Leute, die Basescu nicht mögen, sagen 'Das geht so nicht, das zerstört die Demokratie'. Man kann nicht mal eben einfach so jemanden entlassen.
Heinemann: Befinden sich das politische und das Rechtssystem in Rumänien auf europäischem Niveau?
Macovei: Vor diesen Ereignissen ja, oder nahe daran. Jetzt wollen die Politiker verhindern, dass gegen sie Untersuchungen laufen und sie verurteilt werden. In Rumänien wurden Politiker erst nach 2005 verurteilt. Das war ein Schock für sie. Nur, Politiker verfügen über die Waffen, um sich selbst zu verteidigen: Sie ändern das Gesetz. Oder sie bauen eine Institution um.
Heinemann: In den letzten Monaten sorgte die ungarische Regierung in der Europäischen Union für Befürchtungen wegen des zunehmend autoritären Führungsstils. Sind die ehemaligen kommunistischen Staaten besonders anfällig für diese Art Politik?
Macovei: Ich würde beides nicht miteinander vergleichen. In Rumänien geht es um das Justizsystem. Das war in Ungarn nicht der Fall. Die Lage in Rumänien ist wesentlich ernster. In Rumänien wacht man morgens auf und es gibt eine neue Notverordnung, die irgendetwas regelt, ohne dass darüber debattiert worden wäre. Rückschritte gab es auch in anderen Staaten: in Slowenien nach dem EU-Beitritt den Versuch, die Antikorruptions-Behörde abzubauen. In einem der baltischen Staaten versuchte der Ministerpräsident, den Antikorruptions-Staatsanwalt loszuwerden. Ja, solche Vorgänge lassen sich beobachten.
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