Sein Geschichtsbild ist ziemlich unerfreulich. Denn obwohl er wegen seiner hohen diplomatischen Kunst allseits bewundert wurde, hat es Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord niemals vermocht, sich von dem Ruch zu befreien, dass sein Handeln vornehmlich von Geldgier und Genusssucht geleitet war. Talleyrand – das ist der Opportunist wie er im Buche steht. Das ist der Ideenverräter, wie ihn Heinrich Heine sah. Als
Talleyrand unter der Juli-Monarchie zum Botschafter in London ernannt wurde, quittierte Heine das mit der vernichtenden Bemerkung:
Den Eid, den er jetzt geschworen hat, hält er gewiss; denn es ist sein dreizehnter.
Erst die jüngere Geschichtsschreibung hat es unternommen, den Nachweis zu führen, dass Talleyrand bei aller Wendigkeit bestimmten Grundüberzeugungen stets treu geblieben sei. Johannes Willms Biografie ordnet sich in diese Reihe ein. Willms geht es nicht um Reinwaschung, wohl aber um Differenzierung. Willms Ansatz ist allerdings irritierend. Die Anregung zu seinem Buch habe er durch die Lektüre eines Briefes von Metternich erhalten, schreibt er in der Einleitung. Der Brief ist bekannt. Metternich, damals österreichischer Botschafter in Paris, richtete ihn an seinen Außenminister Graf Stadion. Gerade hatte ihm Talleyrand eröffnet, dass er für eine Stange Geld gern bereit wäre, Österreich Einblick in die innersten Bezirke der französischen Politik zu verschaffen. Mit dem Brief wollte Metternich seinen Hof für das sinistre Geschäft gewinnen. Der Kernsatz lautet:
Man muss bei M. (Monsieur) de Talleyrand den moralischen vom politischen Menschen unterscheiden. Er könnte und würde nicht das sein, was er ist, wenn er moralisch wäre.
Willms will Metternichs Rat folgen. Er will das Politische vom Moralischen trennen und sich auf das Denken und Handeln Talleyrands konzentrieren. Zum Glück, muss man sagen, führt er den Vorsatz nicht streng aus. Tatsache ist, dass Talleyrand schon die Zeitgenossen durch seine über die Maßen große
Wendigkeit verblüffte. Die erste Kostprobe lieferte er mit seinem Erscheinen auf der öffentlichen Bühne im Januar 1789. Da ließ er sich zum Bischof von Autun weihen. Noch war die Welt geordnet. Doch bereits im Juli ertönten die Fanfaren der Revolution. Für Talleyrand war klar, dass aus der Karriere in der Kirche nichts werden würde. Also entschloss er sich, Karriere gegen die Kirche zu machen.
Zehn Monate also brauchte Talleyrand, mehr nicht, für die Verwandlung vom Bischof zum Revolutionär. Kaum länger brauchte er, um sich von der Revolution zu verabschieden. Rechtzeitig vor dem vollen Ausbruch der Terrorherrschaft setzte er sich nach England ab, dann nach Amerika. Auf diese Weise bewahrte er seinen Kopf oder anders: Er vermied es, für die Sünden der terreur in Anspruch genommen zu werden. Erst 1796 kehrte er nach Frankreich zurück. Inzwischen war dort das Direktorium an der Macht. Talleyrand wurde Außenminister. Er behielt das Amt bis Mitte 1799. Zu diesem Zeitpunkt war das directoire nur noch ein Schatten seiner selbst. Talleyrand hatte nicht vor, mit ihm unterzugehen. Und so ging es fort. Außenminister unter Napoleon, in dessen guter Zeit. Außenminister unter den restaurierten Bourbonen, nach des Kaisers Niederlage. Natürlich muss man die Umstände in Rechnung stellen. Frankreich führte in den fast fünfzig Jahren, in denen Talleyrand öffentlich wirkte, eine Existenz auf dem Vulkan. Paris stellte eine Wechselbühne dar, auf der die unterschiedlichsten Dramen aufgeführt wurden. Wer etwas erreichen wollte, musste sich anpassen. .Zu Recht weist Willms darauf hin. Im Schlusskapitel schreibt er:
Von den drei Möglichkeiten, die Talleyrand zwischen 1789 und 1814/15 aufgrund seiner aristokratischen Herkunft hatte, Emigration, Passivität oder die Bereitschaft, dem Staat, sprich dem jeweiligen Regime, zu dienen, entschied er sich immer wieder für das letztere. Die Entscheidung fällte er keineswegs nur deshalb, weil er sich davon die beste Gewähr für die eigenen Interessen versprechen konnte, sondern auch aus einer genau umrissenen Vorstellung von Frankreich und seiner Zukunft. Das eine wie das andere war in seinem Kalkül immer eng miteinander verbunden.
Indessen, und das ist eine Schwachstelle des Buches, wird nicht so recht klar, welche "genau umrissenen Vorstellungen von Frankreich" Talleyrand wirklich hatte. Gewiss, mit dem Konstitutionalismus Ludwigs XVIII. kam Talleyrand am Anfang gut zurecht, noch besser mit den Verhältnissen unter Louis Philippe. Sein Vorbild sei Englands Zweikammersystem gewesen, meint Willms, ohne das genauer zu erklären. War es nicht vielmehr so, dass Talleyrand immer das für vorbildlich hielt, was gerade angesagt war? Zweifellos war Talleyrand kein Zelot. Das sind Opportunisten nie. Deshalb ging ihm Napoleons schrankenlose Machtpolitik gegen den Strich. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, Napoleon, den er bewunderte, lange zu folgen. Erst nach dem Frieden von Tilsit ging er zum Kaiser auf Distanz. Hellsichtig spürte er, dass die dauernde Dehnung des französischen Machtbereichs letztlich zum Scheitern der Universalmonarchie führen werde. Konsolidierung war in dieser Phase das, was er für unbedingt geboten hielt. Aber so sehr Talleyrand mit seiner Warnung vor des Kaisers Überhebung Recht behielt, so wenig rechtfertigte seine Einsicht den Hochverrat, den er 1807, beim Erfurter Fürstentag, beging. Statt beim Zaren, wie es sein Auftrag war, um Rückendeckung für den verhängnisvollen Zug gegen Spanien zu werben, warnte er den Zaren vor Napoleon. Dabei war er selbst es gewesen, der ursprünglich dem Kaiser nahegelegt hatte, den spanischen Zweig der Bourbonen vom Thron zu stoßen; ein Fehler, den Napoleon später als große Dummheit erkannte. Stellt man in Rechnung, dass Talleyrand 1804 zu den Befürwortern der völkerrechtswidrigen Entführung des Herzogs von Enghien gehört hatte, kommt man zu dem Ergebnis, dass er an den beiden Fehlgriffen, die Napoleons Ruf der Schrankenlosigkeit begründeten, allerhöchsten Anteil hatte. Man kann also nicht sagen, dass Talleyrand prinzipiell zu Maß und Mitte neigte, noch dass sein politisches Denken eine nennenswerte Konsistenz besessen hätte. Auch die Gleichgewichtspolitik hatte in ihm nur einen sporadischen Anhänger, ein Punkt, in dem er sich etwa von Metternich unterschied. Willms beurteilt übrigens in seinem immer lesenswerten Buch Talleyrands Leistung auf dem Wiener Kongress weitaus zurückhaltender als dies gemeinhin geschieht. Er habe dort lediglich einen Achtungserfolg erzielt. Auch Willms Gesamturteil über den Politiker Talleyrand ist ohne Glanz. Zutreffend arbeitet er heraus, dass der ehemalige Bischof von Autun, dessen Traum war, einmal eine Rolle wie Richelieu zu spielen, stets im Hintergrund agierte. Das war seine Stärke und zugleich seine Begrenztheit. Zitat:
Auch das gehört zur Tragik seines Lebens, dass er trotz intellektueller Überlegenheit und des großen Aplombs immer nur die zweite Geige spielte.
Die Erklärung ist so schwierig nicht. Talleyrand war, wie es der Untertitel des Buches sagt, ein Virtuose der Macht. Seine Fähigkeiten wurden gern abgeschöpft. Die letzte Verantwortung wollte ihm, dem großen Opportunisten, aber niemand anvertrauen. Dazu wurde er zu sehr verachtet.
Johannes Willms: Talleyrand. Virtuose der Macht 1754-1838. Verlag C.H. Beck, 384 Seiten, 26,95 Euro
ISBN: 978-3-406-62145-1
Talleyrand unter der Juli-Monarchie zum Botschafter in London ernannt wurde, quittierte Heine das mit der vernichtenden Bemerkung:
Den Eid, den er jetzt geschworen hat, hält er gewiss; denn es ist sein dreizehnter.
Erst die jüngere Geschichtsschreibung hat es unternommen, den Nachweis zu führen, dass Talleyrand bei aller Wendigkeit bestimmten Grundüberzeugungen stets treu geblieben sei. Johannes Willms Biografie ordnet sich in diese Reihe ein. Willms geht es nicht um Reinwaschung, wohl aber um Differenzierung. Willms Ansatz ist allerdings irritierend. Die Anregung zu seinem Buch habe er durch die Lektüre eines Briefes von Metternich erhalten, schreibt er in der Einleitung. Der Brief ist bekannt. Metternich, damals österreichischer Botschafter in Paris, richtete ihn an seinen Außenminister Graf Stadion. Gerade hatte ihm Talleyrand eröffnet, dass er für eine Stange Geld gern bereit wäre, Österreich Einblick in die innersten Bezirke der französischen Politik zu verschaffen. Mit dem Brief wollte Metternich seinen Hof für das sinistre Geschäft gewinnen. Der Kernsatz lautet:
Man muss bei M. (Monsieur) de Talleyrand den moralischen vom politischen Menschen unterscheiden. Er könnte und würde nicht das sein, was er ist, wenn er moralisch wäre.
Willms will Metternichs Rat folgen. Er will das Politische vom Moralischen trennen und sich auf das Denken und Handeln Talleyrands konzentrieren. Zum Glück, muss man sagen, führt er den Vorsatz nicht streng aus. Tatsache ist, dass Talleyrand schon die Zeitgenossen durch seine über die Maßen große
Wendigkeit verblüffte. Die erste Kostprobe lieferte er mit seinem Erscheinen auf der öffentlichen Bühne im Januar 1789. Da ließ er sich zum Bischof von Autun weihen. Noch war die Welt geordnet. Doch bereits im Juli ertönten die Fanfaren der Revolution. Für Talleyrand war klar, dass aus der Karriere in der Kirche nichts werden würde. Also entschloss er sich, Karriere gegen die Kirche zu machen.
Zehn Monate also brauchte Talleyrand, mehr nicht, für die Verwandlung vom Bischof zum Revolutionär. Kaum länger brauchte er, um sich von der Revolution zu verabschieden. Rechtzeitig vor dem vollen Ausbruch der Terrorherrschaft setzte er sich nach England ab, dann nach Amerika. Auf diese Weise bewahrte er seinen Kopf oder anders: Er vermied es, für die Sünden der terreur in Anspruch genommen zu werden. Erst 1796 kehrte er nach Frankreich zurück. Inzwischen war dort das Direktorium an der Macht. Talleyrand wurde Außenminister. Er behielt das Amt bis Mitte 1799. Zu diesem Zeitpunkt war das directoire nur noch ein Schatten seiner selbst. Talleyrand hatte nicht vor, mit ihm unterzugehen. Und so ging es fort. Außenminister unter Napoleon, in dessen guter Zeit. Außenminister unter den restaurierten Bourbonen, nach des Kaisers Niederlage. Natürlich muss man die Umstände in Rechnung stellen. Frankreich führte in den fast fünfzig Jahren, in denen Talleyrand öffentlich wirkte, eine Existenz auf dem Vulkan. Paris stellte eine Wechselbühne dar, auf der die unterschiedlichsten Dramen aufgeführt wurden. Wer etwas erreichen wollte, musste sich anpassen. .Zu Recht weist Willms darauf hin. Im Schlusskapitel schreibt er:
Von den drei Möglichkeiten, die Talleyrand zwischen 1789 und 1814/15 aufgrund seiner aristokratischen Herkunft hatte, Emigration, Passivität oder die Bereitschaft, dem Staat, sprich dem jeweiligen Regime, zu dienen, entschied er sich immer wieder für das letztere. Die Entscheidung fällte er keineswegs nur deshalb, weil er sich davon die beste Gewähr für die eigenen Interessen versprechen konnte, sondern auch aus einer genau umrissenen Vorstellung von Frankreich und seiner Zukunft. Das eine wie das andere war in seinem Kalkül immer eng miteinander verbunden.
Indessen, und das ist eine Schwachstelle des Buches, wird nicht so recht klar, welche "genau umrissenen Vorstellungen von Frankreich" Talleyrand wirklich hatte. Gewiss, mit dem Konstitutionalismus Ludwigs XVIII. kam Talleyrand am Anfang gut zurecht, noch besser mit den Verhältnissen unter Louis Philippe. Sein Vorbild sei Englands Zweikammersystem gewesen, meint Willms, ohne das genauer zu erklären. War es nicht vielmehr so, dass Talleyrand immer das für vorbildlich hielt, was gerade angesagt war? Zweifellos war Talleyrand kein Zelot. Das sind Opportunisten nie. Deshalb ging ihm Napoleons schrankenlose Machtpolitik gegen den Strich. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, Napoleon, den er bewunderte, lange zu folgen. Erst nach dem Frieden von Tilsit ging er zum Kaiser auf Distanz. Hellsichtig spürte er, dass die dauernde Dehnung des französischen Machtbereichs letztlich zum Scheitern der Universalmonarchie führen werde. Konsolidierung war in dieser Phase das, was er für unbedingt geboten hielt. Aber so sehr Talleyrand mit seiner Warnung vor des Kaisers Überhebung Recht behielt, so wenig rechtfertigte seine Einsicht den Hochverrat, den er 1807, beim Erfurter Fürstentag, beging. Statt beim Zaren, wie es sein Auftrag war, um Rückendeckung für den verhängnisvollen Zug gegen Spanien zu werben, warnte er den Zaren vor Napoleon. Dabei war er selbst es gewesen, der ursprünglich dem Kaiser nahegelegt hatte, den spanischen Zweig der Bourbonen vom Thron zu stoßen; ein Fehler, den Napoleon später als große Dummheit erkannte. Stellt man in Rechnung, dass Talleyrand 1804 zu den Befürwortern der völkerrechtswidrigen Entführung des Herzogs von Enghien gehört hatte, kommt man zu dem Ergebnis, dass er an den beiden Fehlgriffen, die Napoleons Ruf der Schrankenlosigkeit begründeten, allerhöchsten Anteil hatte. Man kann also nicht sagen, dass Talleyrand prinzipiell zu Maß und Mitte neigte, noch dass sein politisches Denken eine nennenswerte Konsistenz besessen hätte. Auch die Gleichgewichtspolitik hatte in ihm nur einen sporadischen Anhänger, ein Punkt, in dem er sich etwa von Metternich unterschied. Willms beurteilt übrigens in seinem immer lesenswerten Buch Talleyrands Leistung auf dem Wiener Kongress weitaus zurückhaltender als dies gemeinhin geschieht. Er habe dort lediglich einen Achtungserfolg erzielt. Auch Willms Gesamturteil über den Politiker Talleyrand ist ohne Glanz. Zutreffend arbeitet er heraus, dass der ehemalige Bischof von Autun, dessen Traum war, einmal eine Rolle wie Richelieu zu spielen, stets im Hintergrund agierte. Das war seine Stärke und zugleich seine Begrenztheit. Zitat:
Auch das gehört zur Tragik seines Lebens, dass er trotz intellektueller Überlegenheit und des großen Aplombs immer nur die zweite Geige spielte.
Die Erklärung ist so schwierig nicht. Talleyrand war, wie es der Untertitel des Buches sagt, ein Virtuose der Macht. Seine Fähigkeiten wurden gern abgeschöpft. Die letzte Verantwortung wollte ihm, dem großen Opportunisten, aber niemand anvertrauen. Dazu wurde er zu sehr verachtet.
Johannes Willms: Talleyrand. Virtuose der Macht 1754-1838. Verlag C.H. Beck, 384 Seiten, 26,95 Euro
ISBN: 978-3-406-62145-1