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Erasmus-Programm im Aufwind

Die Anzahl der Bachelor- und Masterstudenten in dem Programm sei in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, sagt Siegbert Wuttig, Leiter der nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit. Deutschland wird dabei als Ziel immer beliebter.

Siegbert Wuttig im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Eurokrise, ESM, OMT, Jugendarbeitslosigkeit – wenn wir über Europa reden, dann wird es seit ein paar Jahren eigentlich immer apokalyptisch, weshalb die Freunde des europäischen Gedankens immer gern pathetisch proklamieren: Europa ist mehr als der Euro und dessen Krise. Zum Beispiel der europäische Austausch. Und kein Programm verkörpert den so gut wie Erasmus. Heute und morgen treffen sich die Verantwortlichen für das Studierendenaustauschprogramm Erasmus aus ganz Europa in Bonn zur Erasmus-Jahrestagung. Gastgeber ist Siegbert Wuttig vom DAAD, er ist Leiter der nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit.

    Herr Wuttig, Spanien, Italien, Griechenland leiden an Rekord-Jugendarbeitslosigkeit, immer mehr junge Leute wandern nach Deutschland aus, um hier einen Job zu finden. Schlägt sich das auch im Erasmus-Programm nieder, ist Deutschland ein beliebteres Erasmus-Ziel geworden?

    Siegbert Wuttig: Ja, im Rahmen des Erasmus-Programms stellen wir fest, dass die spanischen Studierenden, aber auch aus anderen sogenannten Krisenländern sehr aktiv sind und in alle möglichen Länder auch stärker als bisher gehen. Und Deutschland hat in einer gewissen Weise natürlich auch als Gastland an Beliebtheit gewonnen, aber man darf nicht vergessen, dass die erste Präferenz zum Beispiel spanischer Studenten Italien und Frankreich sind.

    Götzke: Also da schlägt Sprache immer noch die Jobaussichten?

    Wuttig: Man kann zumindest sagen, dass Deutschland gefragter geworden ist, seitdem die Krise länger anhält, insbesondere wenn es um Praktika, praktische Arbeitserfahrungen geht, was ja die Studenten mit Erasmus auch machen können. Aber dass nach wie vor mit weitem Abstand das Zielland Nummer eins zum Beispiel von spanischen Studierenden Italien und Frankreich ist.

    Götzke: Immer mehr spanische Erasmus-Studenten versuchen, das Auslandssemester als direktes Sprungbrett in den deutschen Arbeitsmarkt zu nutzen, hören wir hier immer wieder, ohne ihr Studium zu Hause abzuschließen. Ist das aus Ihrer Sicht eher ein Problem, weil nicht im Sinne des Erfinders, oder eine Chance?

    Wuttig: Es ist eine Chance. Wir hatten heute gerade im Vorfeld der großen Erasmus-Tagung auch eine kleinere Expertenkonferenz mit Vertretern aus diesen Ländern, um die Situation miteinander zu besprechen. Und wir waren uns eigentlich einig, dass es im Moment gut ist, dass die Chancen einfach eröffnet werden, für eine bestimmte Zeit im Ausland zu arbeiten, auch zu studieren. Aber das dann möglicherweise hoffentlich die Leute auch wieder zurückkehren in ihre Länder, um dort die Qualifikation, die sie erworben haben, und das Know-how einzusetzen, um die eigene Volkswirtschaft und die eigene Gesellschaft wieder nach vorne zu bringen.

    Götzke: Im Jahr 2011/2012 sind 33.000 deutsche Studierende mit Erasmus ins Ausland gegangen, neuer Rekord – ist das Bachelor-Studium also doch nicht so mobilitätsfeindlich, wie so oft kritisiert wird?

    Wuttig: Vor einigen Jahren hatten wir mal eine kurze Stagnation. Es war eine gewisse Irritation bei den Studierenden festzustellen. Auch die Rahmenbedingungen waren nicht ganz ideal, weil viele Bachelor-Studiengänge zu eng gestrickt waren. Inzwischen hat sich das geändert. Und wir erleben eigentlich in den letzten Jahren einen kontinuierlichen und dieses Jahr sogar einen sprunghaften Anstieg auch der Bachelor- und Master-Studierenden in dem Programm. Und wir können nur feststellen, dass die Zahlen sehr stark gestiegen sind und gleichzeitig auch der Anteil von Bachelor- und Master-Studierenden an der Mobilität gestiegen ist. Also wir beobachten keine hemmende Wirkung mehr von Bachelor und Master.

    Götzke: Was hat sich denn da verändert an den Hochschulen?

    Wuttig: Ja, die Curricula wurden insbesondere mit Blick auf eine Reakkreditierung, auch wieder anders gestrickt, das heißt, man hat auch versucht, Mobilitätsfenster einzubauen, die Curricula insbesondere im fünften Semester auch dazu zu nutzen, den Studierenden Auslandsaufenthalt möglich zu machen. Das hat sich sicherlich geändert. Und wir sind der Meinung, da ist zwar noch eine ganze Wegstrecke vor uns, aber es ist auch viel getan worden von den Hochschulen, um die internationale Erfahrung für die Studierenden möglich zu machen.

    Götzke: Erasmus wird immer beliebter. Beim EU-Haushalt, der das Ganze ja finanziert, wird aber tendenziell eher gespart. Gestern haben sich das EU-Parlament und die Regierungen ja auf eine Haushaltsplanung bis 2020 geeinigt, auf knapp eine Billion Euro, weitaus weniger, als ursprünglich von der Kommission gefordert wurde. Werden Sie in Zukunft die Erasmus-Plätze wieder verknappen müssen?

    Wuttig: Das glaube ich nicht, im Gegenteil, weil Bildung und Forschung bei den Haushaltsverhandlungen des Parlaments und des Rates immer gut weggekommen sind, das heißt, weniger gekürzt worden sind gegenüber den ursprünglichen Wunschvorstellungen. Und das ist gut so. Die Kommission hatte ja im Vorfeld einen deutlich höheren Betrag für Bildung und auch für Forschung gefordert. Diese Wünsche sind nicht ganz erfüllt worden, aber der jetzige Stand, so, wie er jetzt sich darstellt, ist noch immer deutlich höher als für die aktuelle laufende Finanzperiode. Also wir rechnen eher damit, dass es vorwärtsgeht. Und nicht nur mit der Mobilität, sondern mit der akademischen Zusammenarbeit insgesamt.

    Götzke: Es gibt auch etwas Neues beim Erasmus-Programm, eine Art Fenster zur Welt, Mobilität auch mit Drittstaaten, also außerhalb der EU – was hat das mit dem eigentlichen Geist von Erasmus zu tun?

    Wuttig: Es ist in der Tat so, dass ein kleines Fenster zur Zusammenarbeit mit außereuropäischen Ländern geöffnet wird, auch in der Mobilität. Das hat natürlich damit zu tun, dass man mit dem Programm auch die Internationalisierungsstrategien der Hochschulen unterstützen will, nicht nur die individuelle Mobilität. Und Universitäten handeln und denken universell, wie der Name sagt, und global, sodass man hier die Möglichkeit hat, auch die Universitäten in ihren insgesamten Internationalisierungsstrategien besser zu unterstützen. Und das ist gut so. Die EU selbst hat übrigens auch eine ganze Reihe von Politiken entwickelt, die sich eben mit der Zusammenarbeit von Drittstaaten beschäftigen. Und hat diese Politiken auch mit Programmen unterlegt. Und das ist jetzt so der Versuch, sozusagen in diesem neuen Dachprogramm alles zusammenzuführen, um die Zusammenarbeit mit den Drittstaaten dann eben auch – in einem kleinen Maße zumindest – neben der innereuropäischen Zusammenarbeit zu ermöglichen.

    Götzke: Sagt Siegbert Wuttig vom DAAD. Heute treffen sich die Erasmus-Verantwortlichen aus verschiedenen EU-Ländern zu ihrem Jahrestreffen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.