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Erbgut im Doppelpack

Möglicherweise wissen Sie selbst noch nicht, was gleich noch machen werden. Sie könnten Sport treiben - hinaus, in den Wald, ein paar Runden drehen. Sie könnten eine Schachtel Zigaretten besorgen und in die Kneipe gehen. Vielleicht gehen Sie aber auch einfach zum Kühlschrank. Da könnte ja noch ein Stück Kuchen übrig geblieben sein.

Von Michael Lange |
    Was genau Sie tun werden, kann kein Wissenschaftler vorhersagen. Aber wenn er Ihre Gene kennt, und die Umwelt, die Sie geprägt hat und immer noch prägt, dann könnte er eine statistische Aussage wagen, wie diese: "Der Kuchen übt die größere Anziehungskraft auf Sie aus, und wird sich mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit durchsetzen. Der Lauf in den Wald ist mit 20 Prozent eher unwahrscheinlich."

    Das Erbgut des Menschen ist entziffert, inzwischen fast fehlerfrei. "Das Buch des Lebens liegt offen vor uns", sagen einige Wissenschaftler. Das Dumme ist nur: niemand kann darin lesen. Und auch wenn die biochemischen Funktionen aller Erbanlagen in einigen Jahren bekannt sein sollten, lassen sich die wichtigsten Fragen, die wir an unser Erbgut stellen, immer noch nicht beantworten.

    Wodurch werden wir krank?
    Was ist Sucht?
    Und wie entstehen Freude, Liebe, Aggression?

    Um weiterzukommen, brauchen Wissenschaftler einfache, aber doch lebensnahe Versuchssysteme. Am besten weiße Mäuse.

    Die sehen alle gleich aus. Durch Inzucht haben alle die gleichen Gene. Sie leben in gleichen Käfigen und bekommen das gleiche Futter. An ihnen lässt sich zum Beispiel untersuchen, wie Übergewicht entsteht.

    Ich kann natürlich anfangen im Tierversuch, in dem man dicke und dünne Mäuse züchtet, und dann nachsieht: Wo sind die Unterschiede zwischen diesen Mäusestämmen?

    Andreas Busjahn, Wissenschaftler in Berlin. Er arbeitete als Zwillingsforscher zunächst am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin und an der Charité, heute leitet er eine eigene kleine Firma namens HealthTwist.

    Jetzt muss man aber irgendwann fragen: Sind denn diese Gene auch für den Menschen wichtig? Wir sind halt keine großen Mäuse. Unsere Umwelt ist etwas komplexer, Gott sei Dank. Und auch genetisch müssen nicht die gleichen Gene für uns eine Rolle spielen. Und was man jetzt tut, ist, dass man irgendwelche Kandidatengene bei Menschen untersuchen will. Das könnte ich zwischen uns beiden tun, indem ich mir ein Gen nehme und gucke: Welche Variante tragen Sie? Welche Variante trage ich? Wer von uns beiden ist der Dickere? Das gilt aber nicht nur für die eine Genvariante, sondern: wir sind unterschiedlich alt, wir wurden während der Schwangerschaft unterschiedlich ernährt. Wir haben einen sehr unterschiedlichen Lebensstil, und wir unterscheiden uns auch für die restlichen 200 bis 500 Gene, die das Körpergewicht beeinflussen. Das heißt: Der Effekt dieses einen Genes geht eigentlich unter in all diesen Unterschieden.

    Die Genforscher brauchen also Menschen, die einander weitgehend gleichen - wie menschliche Labormäuse. Die gibt es nicht. Aber so etwas ähnliches.

    Eineiige Zwillinge sind aus einer befruchteten Eizelle entstanden. Aus der Eizelle wurde ein kleiner Embryo - gerade einmal zwei oder vier Zellen groß. Dieser frühe Embryo teilte sich, und aus einem Embryo wurden zwei. Zwei Embryonen, und dann zwei Menschen. Genetisch vollkommen identisch.

    Die eineiigen Zwillinge sind besonders spannend, um heraus zu finden, welche Umweltfaktoren im Zusammenhang mit genetischen Risiken eine Rolle spielen. Hier kann ich gucken: Eineiige Zwillinge, einer ist dicker, einer ist dünner. Die Gene sind gleich. Welche Umweltfaktoren unterscheiden sich jetzt?

    HealthTwist, das ist ein Büro mit drei Räumen auf dem Klinikgelände in Berlin-Buch. Der Name steht für gesundheitsbezogene Zwillings-Studien. Hier wird das einzige deutsche Zwillingsregister betrieben, das auch für die Genforschung eingesetzt werden kann. Ein weiteres Register, hauptsächlich für psychologische Forschung, existiert in Bielefeld.

    Heute sind zwei Zwillingspärchen bei HealthTwist in Berlin Buch zu Gast.

    Zum einen Manfred und Erhard Schmeltz. 66 Jahre alt. Beide Brillenträger. Kurzer, gepflegter Vollbart, bei beiden völlig gleich aussehend, kurz geschnittene graue Haare. Mittelgroß. Beide mögen Jazz, treiben Sport und erzählen gerne Geschichten aus ihrem Zwillingsleben.

    Ich habe in Deutsch eine Drei bekommen, und mein Bruder eine Zwei. Ich war aber besser als mein Bruder. Da habe ich dann zur Lehrerin gesagt: Moment mal. Ich war doch immer besser. Sagt sie: Nein, der hier vorne gesessen hat, war immer besser. Das war aber ich, habe ich gesagt. Da wurde die Note bei mir geändert und bei mir ist sie geblieben. Haben wir also beide eine Zwei gehabt.

    Beide Schmeltz-Zwillinge sind verheiratet. Sie arbeiten als Bauhandwerker mit eigener Firma: Manfred als Elektriker, Erhard als Tischler. Unterschiede zwischen ihnen sind auf den ersten Blick kaum zu entdecken.

    Wir hatten auch mal Zwillinge als Freundinnen. Wir waren mal verschickt. Das war in den 50er Jahren so. Die eine hieß Gisela und die andere: Mettemarie. Aber die wussten nie, wer mit wem zusammen ist, und wir wussten es auch nicht. Das ist dann also nichts geworden.

    Noch ein Zwillingspaar ist nach Berlin-Buch gekommen: Tina und Elisa Bloch, 18 Jahre alt. Schülerinnen der 12. Klasse. Eineiige Zwillinge. Aber durch Unterschiede in Kleidung, Frisur, und Hautton schon äußerlich voneinander zu unterscheiden. Und manchmal auch im Verhalten.

    Uns wurde gesagt, ich habe das mal irgendwo gehört, dass der ältere Zwilling, also der zuerst geboren ist, dass der immer etwas ruhiger und vernünftiger ist als der andere. Also bei uns stimmt das irgendwo ein bisschen. - Aber jetzt hat es sich ausgeglichen. Früher habe ich wirklich etwas mehr auf die Kacke gehauen. Aber jetzt haben wir uns ausgeglichen. - Ja.

    Tina und Elisa Bloch sowie Manfred und Erhard Schmeltz sind zwei von über tausend Zwillingspaaren im Berliner Zwillingsregister. Andreas Busjahn hat es in über zehn Jahren Arbeit aufgebaut.

    Das Rekrutieren von Zwillingen geht in Deutschland nur durch Aufrufe über die Presse. Indem man seine Arbeit darstellt, und dann Zwillinge bittet, an solchen Studien teilzunehmen. Wir haben anders als in Skandinavien eben keine Populationsregister.

    In Dänemark, Schweden und Finnland müssen die Wissenschaftler nicht erst nach Zwillingen suchen. Jedes Paar ist von Geburt an im Zwillingsregister verzeichnet, zum Beispiel im dänischen Zwillingsregister. Mit diesen Daten forscht Kirsten Ohm Kyvik von der Universität von Süd-Dänemark in Odense.

    Seit 1972 werden Zwillinge in Dänemark registriert, sofort wenn sie in das medizinische Geburtsverzeichnis aufgenommen werden. Anfangs wissen sie nicht, dass sie registriert wurden. Sie erfahren es als Jugendliche, wenn sie von uns den ersten Fragebogen erhalten. Dann dürfen sie entscheiden, ob sie an unseren Studien mitmachen oder nicht. 95 Prozent machen mit. Insgesamt besitzen wir die Daten von 73 000 Zwillingen. Das sind zu viele, um alle genauer zu untersuchen. Wir suchen einzelne aus, zum Beispiel mit bestimmten Krankheiten, um sie in einzelnen Studien zu erforschen.

    Eine Bezahlung für die Studienteilnehmer gibt es nicht, weder in Dänemark noch in Berlin bei HealthTwist. Dabei müssen die Zwillinge für die verschiedensten medizinischen Untersuchungen mehrfach einige Stunden Zeit investieren. Dennoch - die Resonanz ist meist positiv.

    Das haben wir bis heute nicht bereut. Das hat alles Spaß gemacht. Und es sind sehr gute Untersuchungen gemacht worden. Die ganze Lunge wurde untersucht. Belastungs-EKG, Langzeit-EKG und, und, und.

    Da haben wir uns auch gleich gemeldet, haben dann so einen Fragebogen zugeschickt bekommen: Größe, Gewicht, ob wir Krankheiten hatten, alles eingetragen. Da stand ja auch: Damit kann man die Medizin unterstützen. Habe ich mir gesagt: Na ja. Gut. Wenn man so etwas für die Allgemeinheit tun kann, um so besser.

    Das war für uns auch eine Bestätigung, dass wir kernige Zwillinge sind. Zum Schluss im Warteraum kamen wir uns etwas dumm vor, weil wir die einzigen Gesunden waren die in der Klinik untersucht wurden. Denn auf den Gängen saßen ja nur kranke Leute.

    Die Zwillinge, die wir ansprechen, sind dann auch hoch motiviert, weil Zwillinge sich ihres Sonderstatus durchaus bewusst sind, oft auch sehr interessiert sind an genetischen Fragen. Bei der Motivation der Zwillinge gibt es zwei unterschiedliche Richtungen, die mich am Anfang sehr überrascht haben. Wir hatten einige eineiige Zwillinge, die von uns ihre Gemeinsamkeit bestätigt haben wollten, die sich freuen, wenn sie sehen, dass die Herzen gleich aussehen und sie den gleichen Blutdruck haben. Es gibt aber durchaus eineiige Zwillinge, die gesagt haben: Zeigt uns die Unterschiede, die von uns die Bestätigung haben wollten, dass sie wirklich zwei Individuen sind. Bei denen haben die Eltern sie immer als Paar behandelt. Ihr macht heute das. Und dieses "Ihr, Wir" war extrem verinnerlicht bei diesen Paaren.

    Um die Bedeutung der Gene und der Umwelt für unser Verhalten kennen zu lernen, setzen Psychologen schon seit Jahrzehnten auf Zwillingsstudien. Da das Erbgut bei eineiigen Zwillingen gleich ist, tritt die Wirkung der Umwelt deutlich hervor, sobald sie sich zwischen den beiden Zwillingen unterscheidet.

    Eines der neueren Ergebnisse stammt aus dem Labor von Dorret Boomsma von der freien Universität Amsterdam:

    Wir haben in Holland gerade eine sehr große Zwillingsstudie mit relativ jungen Zwillingen abgeschlossen. Im Alter zwischen 14 und 20 Jahren. Es ging darum, ob die Umwelt oder die genetische Veranlagung bestimmen, ob jemand Sport treibt oder nicht. Bei den Jüngeren etwa bis zum 16. Lebensjahr zeigte sich, dass das Umfeld einen sehr großen Einfluss ausübt, insbesondere die Familie. Die genetische Veranlagung zum Sport setzt sich erst später durch. Viele hören als junge Erwachsene auf mit dem Sport. Dann bestimmen immer stärker die Gene, ob jemand als Erwachsener weiter Sport treibt oder nicht.

    Die Statistiker können aus den Ergebnissen solcher Zwillingsstudien sogar Prozentwerte errechnen. Die Gene beeinflussen das Sportverhalten bis zum 16. Lebensjahr nur zu 0 bis 20 Prozent. Im Alter von 20 Jahren bestimmen es die Gene mit 60 bis 80 Prozent.

    Also für uns war "Zwilling sein" immer Segen und Fluch zugleich.

    Die 28jährige Susann Thürmann schaut im HealthTwist-Büro bei den anderen Zwillingen vorbei. Weil ihre Zwillingsschwester Mandy krank ist, ist sie allein nach Berlin-Buch gekommen.

    Einerseits ist es natürlich schön mit Verbundenheit und so. Aber irgendwann hat man so den Drang, eine eigenständige Persönlichkeiten zu sein, was wir natürlich immer waren. Aber dass andere das auch bemerken... Also Verbundenheit war immer da, und wird auch immer größer. Aber auch nur aufgrund dessen, dass wir uns räumlich getrennt haben.

    Heute soll sich Susann Thürmann einigen Tests unterziehen.

    Wieder Langzeit EKG, Belastungs-EKG. Dann im Computer-Tomographen drin liegen, in so einer schrecklichen Eisenröhre. Und Kontrastmittel gespritzt. Ging über drei Tage auch mit Blut abnehmen. Alles untersucht.

    So und dann im Liegen die Oberschenkel abgeschnürt. Da ist das Blut dann raus. Die Zehen sahen aus, wie von einer Leiche. Dann wurde plötzlich die Abschnürung gelöst, um dann festzustellen, wie schnell das Blut wieder durch die Venen marschiert.

    Wir haben hier die Blutdruckstudie mitgemacht, auch mit Langzeit-Blutdruckmessung. Bei der Studie war es wichtig, dass mein Bruder ein Präparat einnehmen musste. Ein Olivenblätter-Präparat. Mein Bruder, und ich nicht. Und weil unser Blutdruck annähernd gleich ist, wurde dann verglichen. Aber das Ergebnis kenne ich noch nicht. - Tina nimmt zwei Tabletten am Tag. Also morgens und abends, und ich nehme nur abends. Das machen wir acht Wochen lang. Jetzt schon drei. Und obwohl sie zwei Tabletten am Tag nimmt, ist ihr Blutdruck ein bisschen höher als meiner.

    Ungeprüfte starke Medikamente würden sie nicht testen. Da sind sich die Zwillinge einig. Bei dem Naturprodukt aus Olivenblättern haben sie aber keine Bedenken.

    Die Wirkung der Nahrungsergänzung auf den Blutdruck und den Cholesterinwert soll an mehreren Berliner Zwillingspaaren getestet werden. Genaueres oder gar Ergebnisse kann Andreas Busjahn noch nicht verraten.

    Der Nachweis der Wirkung solcher Lebensmittel ist relativ schwierig ... Hier ist die Idee, dass sie einem eineiigen Zwillingen zum Beispiel ein Naturprodukt geben und der andere Zwilling die Kontrollgruppe ist. Das heißt: Sie haben hier die Kontrolle und denjenigen der behandelt wird so extrem gut übereinstimmend, wie sie es sonst nie haben. Das heißt: Sie brauchen nicht Hunderte von Leuten, die einen solchen Joghurt trinken oder ein Pflanzenextrakt zu sich nehmen, sondern nur 20 bis 50 Paare eineiiger Zwillinge, um eine solche Aussage treffen zu können.

    Wenn Zwillinge an solchen klinischen Studien teilnehmen, dann deshalb, weil sie genetisch völlig identisch sind. Anders, wenn es darum geht, einzelne Gene oder einzelne Umweltfaktoren dingfest zu machen. Absolute Gleichheit nützt Forschern da nur wenig. Sie brauchen auch Unterschiede - am besten genau definierte Unterschiede.

    Wie bei Susann Thürmann. Sie wiegt sechs Kilo mehr als ihre Schwester Mandy. Beide sind zusammen aufgewachsen. Beide haben als eineiige Zwillinge die gleichen Gene. Dennoch unterscheiden sie sich.

    Also, wenn ich die Fotos hier sehe - ich will ja niemandem zu nahe treten. Aber ich finde das irgendwie ein bisschen traurig. Da sind zwei Menschen, die sehen total gleich aus und werden von ihrer Umwelt einfach in einen Topf geschmissen. Bei uns hieß es immer: Susi-Mandy. Da war nicht einmal ein und dazwischen. Unser Name gibt es auch her. Wir waren immer die Thürmänner oder Susi-Mandy. Ist ja egal wer. Da könnt ich ausflippen.

    Im Alter von 15 Jahren hat Susann Thürmann mit allen Mitteln versucht, sich von ihrer Zwillingsschwester zu unterscheiden.

    Da habe ich mir eine Glatze rasiert, mich tätowieren lassen, und Piercings und hast du nicht gesehen... Und meine Schwester: voll brav und gesittet.

    Aber welche Faktoren sind es, die die Unterschiede entstehen lassen? Am einzelnen Zwillingspaar lässt sich das oft nicht erklären.

    Deshalb brauchen Zwillingsforscher die Statistik. Sie vergleichen die genetisch "Gleichen" mit den "nicht ganz so Gleichen". Die eineiigen mit den zweieiigen Zwillingen.

    Zweieiige Zwillinge stammen aus zwei unterschiedlichen Eizellen, die etwa zur gleichen Zeit befruchtet wurden und sich deshalb nebeneinander zu zwei Embryonen entwickelten. Sie stammen aus zwei Befruchtungsvorgängen, aber sie haben die gleiche Mutter und den gleichen Vater. Daraus folgt: Sie sind genetisch nicht enger verwandt als andere Geschwister.

    Spielen Gene die Hauptrolle, unterscheiden sich eineiige Zwillinge gar nicht oder kaum. Bei zweieiigen Zwillingen treten dann verstärkt Unterschiede auf. Dominiert die Umwelt, dann gibt es diesen Unterschied nicht. Denn die Umweltfaktoren sind bei eineiigen und zweieiigen Zwillingen gleich. Erhard Schmeltz kennt auch das Beispiel "zweieiige Zwillinge" aus nächster Nähe.

    Ich habe das Werk meiner Eltern fortgesetzt. Also wir haben auch Zwillinge, aber keine eineiigen, sondern Junge und Mädel. Die sind zwei vollkommen verschiedene Menschen. Vom Wesen, vom Charakter her. Die Tochter hat mehr den Vaterwitz, und der Sohn ist eher der ruhige Typ, der mehr nach meiner Frau kommt. Der Junge ist auch dunkelhaarig, und das Mädchen ist blond. Und das Mädchen hat braune Augen, und der Junge hat blaue Augen. Wer sie beide kennt, sagt: Gut, das sind Geschwister. Auch wenn sie beide zusammen auftreten, ist kaum zu glauben, dass es Zwillinge sind.

    Was Erhard Schmeltz in seiner Familie beobachtet, haben Psychologen in vielen großen Studien untersucht.

    Größere Unterschiede zwischen den zweieiigen Zwillingen als bei den eineiigen sprechen dabei stets für einen starken genetischen Faktor.

    Wie bei Haar- und Augenfarbe der Kinder von Erhard Schmeltz. Aber auch bei einigen Charaktereigenschaften.

    Mit diesen Vergleichen haben Psychologen bereits in den siebziger Jahren begonnen, und immer noch liefern sie neue Ergebnisse. Dorret Boomsma von der freien Universität Amsterdam hat so untersucht, was einen Menschen zum Raucher macht.

    Am Anfang spielt die Genetik keine große Rolle. Die Familie, das Lebensumfeld, der Freundeskreis bestimmen sehr stark, ob jemand mit dem Rauchen anfängt oder nicht. Aber wenn die Schwelle einmal überschritten ist, wenn Sie eine bestimmte Anzahl von Zigaretten pro Tag erreicht haben, wird die Nikotinabhängigkeit zum entscheidenden Faktor. Und die Veranlagung zur Abhängigkeit, die ist hochgradig vererbbar. Zu 80 Prozent. Das ist einer der stärksten Einflüsse des Erbguts auf unser Verhalten, den wir kennen.

    Eineiige Zwillinge, von denen einer raucht und einer nicht raucht - so etwas gibt so gut wie gar nicht.
    Auch nicht bei den Berliner Zwillingen.

    Noch nie geraucht! - Ich hatte mal geraucht. Aber seit 30 Jahren auch nicht mehr. - Also mit 30 oder so will ich aufhören. - Also eine halbe Schachtel am Tag, was? - Wir rauchen seit wir 15 sind und haben auch gemeinsam angefangen. Wir rauchen auch gleich viel. Zu viel.

    Wer starke Rauchergene in sich trägt, wird leicht abhängig. Es fällt schwer, mit dem Rauchen aufzuhören.

    Ein Mensch mit "Rauchergenen" kann dennoch Nichtraucher sein. Leicht ist das aber nur dann, wenn er erst gar nicht mit dem Rauchen angefangen hat.

    Die Bestimmung von Prozentzahlen, die die Macht der Umwelt mit der Macht der Gene vergleichen, reicht den Wissenschaftlern heute nicht mehr aus. Sie wollen die einzelnen Gene finden. Wo liegen die Erbanlagen, die unser Verhalten steuern, oder besser: beeinflussen? Wie heißen die verantwortlichen Gene, wenn zum Beispiel Krebs entsteht? Darum geht es im neuen Zweig der Zwillingsforschung.

    Dazu muss zum einen das Erbgut untersucht werden. Und das macht Kirsten Ohm Kyvik von der Universität von Süd-Dänemark in Odense in großem Stil.

    Es ist heute ganz einfach, an das genetische Material eines Menschen heranzukommen. Wenn die Zwillinge ins Krankenhaus kommen, können wir eine Blutprobe nehmen. Wenn nicht, dann schicken wir den Teilnehmern an bestimmten Studien einfach eine kleine Zahnbürste. Damit bürsten sie das Innere ihrer Wange. Dort steckt genug genetisches Material für all unsere Untersuchungen. Denn einige Zellen bleiben an der Bürste haften. Anschließend schicken die Probanden einfach die Zahnbürste an uns zurück.

    Zum zweiten müssen Unterschiede in der Umwelt genau dokumentiert werden. Zum Beispiel die Ernährung. Meist geschieht das über Fragebögen.

    Es ist leider sehr viel schwieriger, die Umwelt oder das Verhalten zu erfassen, als die Gene. Bei den Genen reicht uns die Blutprobe, die wir im Kühlschrank haben. Das Verhalten, das Ernährungsverhalten, lebenslang zu erfassen, was eigentlich notwendig wäre, ist nicht machbar. Man kann nur aktuelles Ernährungsverhalten erfassen, und hoffen, dass das relativ stabil ist. Wir bräuchten eigentlich analog zum Human-Genom-Projekt ein Human-Umwelt und Verhaltens-Projekt. Nur dass da die Geldgeber viel zurückhaltender sind.

    In den siebziger Jahren glaubte man: Die Umwelt - das Überangebot an Nahrung - sei allein für Übergewicht verantwortlich. Später - in den achtziger und neunziger Jahren - zeigten Zwillingsstudien, dass die Erbanlagen eine Hauptrolle spielen. Erste Studien ergaben einen genetischen Anteil von 70 Prozent, spätere von 60 Prozent.

    Heute nun sieht die Wissenschaft den Zusammenhang differenzierter: Gene schaffen die Voraussetzung für Übergewicht; durch die Umstände im Alltag wird dann aus einer Veranlagung Realität. Nach der Entzifferung des menschlichen Erbguts liegt jetzt das Wissen vor, um die Bedeutung einzelner Übergewichts-Gene zu erforschen, meint Andreas Busjahn. Und es wird höchste Zeit.

    Also wenn man mal über den großen Teich guckt, in die USA, dann kriegt man so eine Vorstellung, was uns in zehn Jahren in Deutschland erwartet. Also dieses Übergewicht ist einfach ein riesiges Gesundheitsproblem. Da versuchen wir jetzt schon entsprechend Erkenntnisse zu gewinnen. Es geht nicht nur darum zu gucken: Ist Übergewicht erblich oder nicht? Das wissen wir ja lange. Welche Gene sind im Zusammenspiel mit welchen Umweltfaktoren hier die Risikofaktoren?

    In den letzten Jahren lieferten Wissenschaftler aus aller Welt unzählige Forschungsergebnisse zum Thema Übergewicht.

    Es gibt aus den Tieruntersuchungen und teilweise aus Untersuchungen von Menschen mehrere hundert Gene, von denen man weiß, dass sie irgendwie die Gewichtsregulation des Körpers beeinflussen. Welche wirklich wichtig für den Menschen sind, und welche eher akademisches Interesse verdienen, ist relativ schwer zu sagen. Also es ist wirklich ein mühsamer und langer Weg aus den vielen hundert Kandidatengenen die zehn oder fünfzehn für den Menschen wirklich wichtigen herauszufiltern.

    Vor allem die Untersuchung zweieiiger Zwillinge kann Hinweise geben, welche Region im menschlichen Erbgut das Körpergewicht beeinflusst. Die Umweltfaktoren, wie Ernährung während der Schwangerschaft, in der Kindheit und Jugend sind gleich bei zweieiigen Zwillingen. Auch Lebensstil und soziales Umfeld unterscheiden sich in der Regel kaum. Die Erbanlagen aber weisen bestimmte Unterschiede auf. Und wenn zweieiige Zwillinge sich im Körpergewicht unterscheiden, sind diese genetischen Unterschiede gute Kandidaten für Gene, die das Gewicht regulieren.

    Dann kommt der Blick auf die inzwischen fast fehlerfrei vorliegende Reihenfolge der Bausteine im menschlichen Erbgut: auf die Genom-Sequenz. Im Tierversuch schalten Wissenschaftler gezielt Gene in den verdächtigen Regionen aus. Knock-out-Mäuse entstehen: eine Möglichkeit, um die Bedeutung der einzelnen Kandidaten zu testen.

    So entsteht Wissen, das genutzt werden kann, um neue Behandlungsmethoden gegen Übergewicht zu entwickeln oder neue Medikamente. Besser aber: Man beginnt schon vorher, meint Andreas Busjahn.

    Meine Zukunftsvision wäre, dass man Eltern bei der Geburt sagen kann: dein Kind hat ein hohes Risiko, Gewicht zuzunehmen aufgrund dieser 20 Genvarianten. Das heißt: Für euch ist es besonders wichtig, dieses Kind bewusst zu ernähren. Dem Kind bestimmte Bewegungsmuster beizubringen. Dem Kind einen Lebensstil an zu erziehen, der dieses Risiko kompensiert.

    Und damit das möglich wird, müssen sich eine Menge Zwillingspaare bereit finden, an verschiedensten Studien teilzunehmen. Auch zweieiige Zwillinge. Doch bei denen ist die Resonanz noch gering.

    Vielleicht können sie sich ja nicht einig werden, ob sie mitmachen sollen oder doch lieber nicht.

    Wir kommen eben als Zwillinge trotzdem nicht auseinander. Wir sind im Sportverein zusammen. Wir treffen uns jede Woche beim Sport. Wir gehen zusammen in die gleiche Sauna, so dass wir uns in der Woche mindestens zwei bis dreimal sehen.

    Wir haben ausgemacht: Wenn wir mal mit der Schule fertig sind, wollen wir auch - Wir haben beide die gleichen Interessen, was uns beruflich interessiert. Dann wollen wir auf jeden Fall zusammen in eine Wohnung ziehen. - Also, das könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wenn ich jetzt nach München müsste. - Das wäre total schlimm. - Selbst wenn wir uns wirklich mal streiten sollten, was ja nicht so oft vorkommt, dann liegen wir uns zehn Minuten später wieder in den Armen und lachen drüber. - Wir hängen wirklich immer zusammen. - Wir gehen immer zusammen weg, haben auch viele gemeinsame Freunde. - Wenn wir uns streiten, da kann alles passieren, wir vertragen uns wieder.