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Erbgutforschung
Wissenschaftler entschlüsseln das Brotweizen-Genom

Brotweizen ist neben Reis die wichtigste Kulturart in der Welternährung. Forschern haben dessen Genom nun vollständig entschlüsselt. Diese Einsichten ins Erbgut könnten auch Allergikern nutzen, so Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung im Dlf.

Nils Stein im Gespräch mit Lennart Pyritz |
    Ein Mähdrescher erntet in Garching (Bayern) ein Weizenfeld.
    Brotweizen gehört zu einem der wichtigsten Faktoren in der Welternährung (dpa-Bildfunk / Lino Mirgeler)
    Lennart Pyritz: Weich- oder Brotweizen ist weltweit eines der Hauptnahrungsmittel. Seit Jahren arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, das Erbgut dieser Kulturpflanze zu entschlüsseln, denn detaillierte Informationen über die Gene könnten bei der Zucht verträglicher, ertragreicher und widerstandsfähiger Sorten helfen.
    Im Fachmagazin "Science" hat ein Forschungsteam jetzt das vollständig kartierte Weizenerbgut publiziert, flankiert von einer Reihe weiterer Studien zum Brotweizen. Mehr als 200 Forscher aus 20 Ländern waren daran beteiligt. Einer davon ist Nils Stein, Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Ich habe ihn vor der Sendung am Telefon gefragt, welche Bedeutung Brotweizen weltweit als Kulturpflanze spielt.
    Nils Stein: Brotweizen ist die wichtigste Kulturart neben Reis in der Welternährung, also wird auch in praktisch allen Teilen der Welt angebaut, ist also eine der Hauptkalorienquelle für die menschliche Ernährung, aber spielt auch eine Rolle in der Tierernährung.
    Ein Weizenfeld wird in East Lothian in Schottland gegen die Sonne aufgenommen. 
    Viele Menschen sind allergisch auf Gluten, das im Weizen enthalten ist. (imago / Westend61)
    Pyritz: Jetzt wurde ein Referenzgenom dieser Pflanze veröffentlicht. An der Studie sind Sie beteiligt. Was genau ist das, ein Referenzgenom, und wie aufwendig war es, das zu ermitteln und zusammenzustellen?
    Das Weizengenom: fünfmal größer als das menschliche Genom
    Stein: Also ein Referenzgenom bezeichnet eine vollständige, praktisch lückenlose Sequenz der Genominformation und zwar im logischen Zusammenhang, wie diese DNA oder die Erbinformation auch in der Zelle vorliegt. In Weizen ist die Erbinformation auf 21 Chromosomen verteilt, und in der Referenzsequenz ist diese gesamte Sequenzinformation auch in diesen 21 Sequenzportionen vollständig zusammengesetzt, das heißt, nicht nur die Sequenz, sondern auch die funktionellen Einheiten sind beschrieben. Das heißt, wir kennen die Bereiche auf dieser Sequenz, die Proteine kodieren und eben auch keine Proteine kodieren.
    Ein Genom eines höheren Organismus kann man nicht in einem Stück durchsequenzieren für jedes Chromosom, sondern man erzeugt viele kurze oder kleinere Sequenzstücke, die man dann mithilfe der Informatik wieder logisch in die Reihenfolge bringen muss, und das ist bei der Referenzsequenz der Fall. Die gesamte Sequenz wurde zusammengesetzt und repräsentiert, jetzt letztendlich zusammenhängend die Informationen, die in diesen 21 Weizenchromosomen enthalten ist.
    Das Weizengenom ist sehr groß. Das hat auch bedingt, dass die Arbeit relativ lang gedauert hat und hat auch erfordert, dass sehr viele Teams sich daran beteiligt haben. Das Weizengenom ist fünfmal größer als das menschliche Genom, 40-mal größer als das Reisgenom, aber es beinhaltet nicht wesentlich mehr Gene im diploiden Chromosomensatz im Vergleich zum Reis. Also der Hauptanteil des Weizengenoms besteht vornehmlich aus wiederholten, repetitiven Sequenzen, und das macht die Sequenzierung und vor allem dann das Zusammensetzen der Sequenz sehr viel aufwendiger beim Weizen.
    "Weizen im Vergleich zu Reis eher ein polyploider Organismus"
    Pyritz: Welche neuen Erkenntnisse zum Wachstum und zur Umweltanpassung, also zur Biologie der Weizenpflanze liefert denn dieses Referenzgenom?
    Stein: Weizen ist im Vergleich zu Reis eher ein polyploider Organismus, das heißt, es gibt drei sehr ähnliche Chromosomensätze, die auch alle fast den gleichen Satz an Proteinen codierenden Genen tragen, das heißt, wir haben eine hohe Redundanz für Genfunktionen im Weizengenom. Wenn wir jetzt also ein Enzym haben, das einen bestimmten Stoffwechselweg umsetzt, dann gibt es dafür im Weizengenom drei Kopien, während im Reisgenom in der Regel nur eine, und was bisher nur unzureichend geklärt ist, wie diese Redundanz jetzt in der Biologie der Pflanze reguliert wird, das heißt, sind diese drei Varianten immer alle gleichzeitig aktiv oder ist dort eine Spezialisierung für Weizen erfolgt, die es in anderen Organismen nicht gibt.
    Die Arbeiten, die jetzt publiziert wurden und vor allem auch das begleitende Manuskript, das in derselben Ausgabe in "Science" veröffentlicht wird, guckt genau da drauf. Wir haben also einen umfassenden, sogenannten Genexpressionsablass für Weizen erstellen können, der für die beschriebenen Gene, die das Genom enthält, jetzt sagt, welche Gene sind zu welchem Zeitpunkt in der pflanzlichen Entwicklung aktiv oder unter welchem Einfluss zum Beispiel durch Pathogenen-Befall oder durch Temperatur.
    Neue Erkenntnisse könnten Weizen-Allergikern helfen
    Pyritz: Weizen kann bei Menschen ja auch zu allergischen Reaktionen führen. Könnten die neuen Einsichten ins Erbgut auch helfen, Gene zu identifizieren und eventuell zu verändern, die für so eine Allergie verantwortlich sind?
    Stein: Ja, das, denke ich, kann man schon mit Ja beantworten. Die Gene, die Allergie auslösen beim Weizen, die sind eigentlich bekannt. Das sind im Wesentlichen Gene oder Proteine, die in die Gruppe der Speicherproteine stammen. Das sind Proteine, die oftmals auch einen Einfluss haben auf die Backqualität. Das ist ja eine ganz wichtige Eigenschaft von Weizen, die man eigentlich immer möchte, aber nicht jeder verträgt - all diese Eiweiße und diese Gene gehören zu sehr umfangreichen Genfamilien. Also es gibt nicht nur ein Speicherprotein-Gen, sondern es gibt vielleicht eine Genfamilie mit 100 Kopien und nicht alle diese Kopien tragen notwendigerweise auch dann die allergieauslösenden Epitope.
    Mit der Referenzsequenz haben wir jetzt erstmals wirklich die Möglichkeit, diese komplexe Genfamilie vollständig zu beschreiben, ihre einzelnen Mitglieder zu identifizieren, Unterschiede auszumachen und die auch eventuell experimentell dann zu überprüfen, beziehungsweise identifizierte Kandidaten, von denen man sicher weiß, dass sie Allergie auslösen, dann durch züchterische Ansätze gezielt durch Kreuzung zu eliminieren. Da gibt es dann gezielte Möglichkeiten mithilfe der Referenzsequenz.
    "Die richtigen genetischen Grundlagen im Detail verstehen"
    Pyritz: Wenn wir jetzt auf das Thema Ernährung oder Welternährung schauen, inwiefern könnten die jetzt veröffentlichten Informationen auch zur gezielteren Zucht neuer Weizensorten, denen zum Beispiel ertragreichere Sorten oder solche, die besser mit Hitze und Wassermangel, also zu erwartenden Folgen des Klimawandels zurechtkommen?
    Stein: Ja, eine Referenzsequenz ist absolut erforderlich, wenn man überhaupt in die Nähe kommen möchte, Merkmale zu verstehen, die Sie gerade genannt haben. Ertrag und Toleranz gegenüber abiotischen Faktoren beziehungsweise die Anpassung an extreme Umwelten und trotzdem Ertrag zu liefern, das sind oftmals Merkmale, die sich direkt widersprechen und sehr schwer züchterisch zu bearbeiten sind, und hier ist es wirklich erforderlich, dass wir die Biologie verstehen, wie werden diese Merkmale wirklich beeinflusst. Wir müssen also die richtigen genetischen Grundlagen im Detail verstehen, und da sind wir auch noch einen guten Schritt von entfernt. Also das ist eher naiv, anzunehmen, dass wir sehr große Fortschritte erreichen, indem wir ein einzelnes Gen verändern. Es gibt zwar diese Berichte, dass man ein einzelnes Gen einkreuzt, und man kriegt einen Mehrwert unter Trockenstress, aber das sind doch eher Ausnahmen, und man muss hier eher davon ausgehen, dass es sich um sehr komplexe Merkmale handelt, und ohne diese Grundlagen, ohne diese Sequenzinformation könnte man diese Merkmale gar nicht im Detail bearbeiten.
    Das heißt, hier wird mittel-, langfristig der Zugang zu der Referenzsequenz erst mal diese Forschung sehr viel erleichtern und verbessern und Fortschritte erlauben. Für andere Merkmale, wie zum Beispiel Pilzresistenz, die oftmals durch einzelne Gene gesteuert wird, da liefert die Referenzsequenz in sehr viel kürzeren Zeiträumen tatsächlich die Möglichkeit zu sehr schnellen züchterischen Fortschritten. Wenn also ein Resistenzgen identifiziert worden ist, dann kann man gezielt diese Resistenzgene dann in so ein Hochleistungsweizen einkreuzen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.