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Erbmaterial von drei Elternteilen
"Das Vorgehen muss kontrovers diskutiert werden"

Ärzte aus den USA haben in Mexiko in einem neuen Verfahren der künstlichen Befruchtung Erbmaterial von drei Elternteilen verwendet. Die Medizinethikerin Alena M. Buyx kritisierte die Vorgehensweise. Die Forschung sei noch nicht so weit gewesen, sagte sie im DLF. Sie finde es außerordentlich problematisch, dass die Technik im Verborgenen und absichtlich in einem Land mit lockeren Regeln angewendet worden sei.

Alena M. Buyx im Gespräch mit Dina Netz |
    Im Biologischen Labor des Zentrums für Reproduktionsmedizin an der Universitätsfrauenklinik in Leipzig ist eine 80- bis 100-fache Vergrößerung der Befruchtung einer Eizelle mit einer Injektionspipette und eine darüber liegende Injektionspipette
    Künstliche Befruchtung (dpa-Zentralbild)
    Dina Netz: Mutter plus Vater gleich Kind. So geht die Gleichung immer noch in den meisten Fällen auf. Es gibt natürlich auch Familien mit Vater, Vater und Kind oder Mutter, Mutter und Kind. Oder Patchwork-Familien mit mehreren Müttern und Vätern. Genetisch musste bisher allerdings doch die zuerst genannte Gleichung aufgehen, damit ein Kind auf die Welt kommt. Und jetzt habe ich bewusst gesagt: musste. Denn in Mexiko ist vor kurzem ein Kind geboren worden, das die DNA von drei Eltern hat. Eine Vater, Mutter, Mutter, Kind-Familie also.
    Die Mutter hat eine schwere Erbkrankheit, weshalb sie schon mehrere Fehlgeburten und zwei Kinder verloren hatte. Deshalb haben Ärzte einen Teil der Eizelle durch das Erbgut einer Spenderin ausgetauscht. Und im Labor kam dann noch der Samen des Vaters dazu. So hat der im April geborene Junge also genetisch zwei Mütter. Das kann ich jetzt nur laienhaft erklären und habe deshalb Alena M. Buyx, Professorin für Medizinethik in Kiel und Mitglied des Deutschen Ethikrates, um Hilfe gebeten. Frau Buyx: Wie genau ist dieses Baby in Mexiko nun zustande gekommen?
    "Von Muttersein zu sprechen, scheint mir etwas zu stark"
    Alena M. Buyx: Sie haben das schon sehr gut erklärt. Ich würde vielleicht noch hinzufügen, dass ich es ein ganz bisschen problematisch finde, von zwei Müttern zu sprechen. Das ist so eine griffige Formel, das Drei-Eltern-Baby. Tatsächlich ist es so, dass nur mitochondriale DNA einer Spenderin hier zum Einsatz kommt, und das bedeutet, es sind weniger als 0,1 Prozent der gesamten genetischen Ausstattung. Das ist ein wirklich geringer Teil und da von Elternschaft zu sprechen oder von Muttersein oder so scheint mir etwas zu stark.
    Praktisch ist das ganze so passiert, dass man eine Eizelle genommen hat dieser Spenderin und diese entkernt hat, so dass nur noch die Mitochondrien dort herumgeschwommen sind. Das nennt man auch die Kraftwerke der Zelle. Und die haben eine eigene DNA, nämlich die mitochondriale DNA. Und in diese entkernte Eizelle hat man dann den Zellkern der späteren Mutter eingebracht, wo die gesamte DNA ist, die uns so ausmacht als Menschen, und diese Eizelle wurde dann mit den Spermien des Mannes befruchtet.
    Netz: Frau Buyx, jetzt ist das offenbar das erste Kind, das nach so einem, wie es heißt, Kerntransfer geboren wurde, wenn auch nicht das erste, das das Erbgut dreier Menschen in sich trägt. Was ist denn daran jetzt so neu, dass sich die Meldungen übers Drei-Eltern-Baby überschlagen?
    "Mit diesem Verfahren ist bisher kein gesundes Kind geboren"
    Buyx: Es ist tatsächlich das erste Mal, dass es hier zu einer Geburt nach diesem Verfahren gekommen ist, und inzwischen ist es ja so, dass jeder der Fortschritte für Meldungen gut ist. Es ist richtig, dass wir schon früher Fälle hatten, in denen Mitochondrien einer Spenderin übertragen wurden. Die wurden dann einfach in eine Eizelle einer Frau hineingespritzt. Man dachte damals, das würde die Fruchtbarkeit verbessern. Das heißt, es hat Kinder gegeben, die Material, genetisches Material von drei Menschen hatten. Mit diesem spezifischen Verfahren ist bisher aber noch kein gesundes Kind geboren, und das ist jetzt in Mexiko zum ersten Mal passiert.
    Netz: Das ist nicht zufällig in Mexiko passiert. In Deutschland zum Beispiel und in fast allen anderen Ländern der Welt wäre so ein Eingriff ins Erbmaterial nach dem Embryonenschutzgesetz gar nicht erlaubt. Ihrer Meinung nach zurecht? Halten Sie diesen Eingriff auch moralisch für problematisch?
    Buyx: Lassen Sie mich zunächst damit beginnen, wie das in Mexiko passiert ist. Das halte ich für sehr problematisch, denn was dort passiert ist, ist, dass amerikanische Ärzte diesen Eingriff nur deswegen in Mexiko vorgenommen haben, weil dort keine Gesetze bestehen, die das verbieten.
    Netz: In den USA, wo die Ärzte sonst sind, wäre es verboten gewesen?
    Buyx: Genau. Bisher ist dieses Verfahren nur legal und explizit erlaubt in England. In England allerdings ist noch kein solcher Versuch gestartet worden, weil man zunächst sorgfältig und in kleinen Schritten die Sicherheit und die Risiken dieses Verfahrens erforschen möchte. Und was jetzt passiert ist, hat schon die eine oder andere Stufe übersprungen und das ist sicherlich etwas, was durchaus sehr kontrovers diskutiert werden muss und auch problematisch ist.
    Insgesamt bleibt aus meiner Sicht die Frage noch offen, ob dieser Eingriff als solcher ethisch zulässig ist oder nicht. Er wird ja vorgenommen, weil damit sehr schwere Erbkrankheiten vermieden werden können.
    Netz: Möglicherweise ist Leben gerettet worden dadurch, wollte ich gerade sagen.
    "So sorgfältig und vorsichtig wie möglich"
    Buyx: Im Fall dieser Familie sogar relativ sicher, denn diese Familie - das hatten Sie ja erwähnt - hat bereits Fehlgeburten und auch sterbende Kinder erleben müssen. Die Mutter hatte in ihrem Erbgut, in ihrem mitochondrialen Erbgut eine schwere genetische Veränderung und diese konnte, so sieht es im Moment aus, vollständig vermieden werden durch dieses Verfahren und es ist jetzt ein gesunder Junge geboren worden.
    Die mitochondrialen Erkrankungen sind vielfach sehr schwer. Das heißt, man würde diese Gruppe von Erkrankungen und auch nur diese Gruppe mit diesem Verfahren tatsächlich zukünftig eventuell vermeiden können. Das ist ein wichtiges medizinisches Ziel. Aber wir wollen natürlich sicherstellen, dass wir dieses Ziel erreichen und zugleich auch wissen, dass wir nicht zu große Risiken eingehen, denn immerhin geht es ja nun um geborene Kinder und da wollen wir sicherstellen, dass wir das so sorgfältig und vorsichtig wie möglich tun.
    Netz: Wenn ich Sie richtig verstehe, Frau Buyx, dann ist Ihr Einwand eher der, dass jetzt da zu schnell Ärzte Fakten geschaffen haben, als dass Sie grundsätzlich gegen diesen Eingriff etwas hätten?
    Buyx: Ja, ganz genau. Ich finde es problematisch, dass die Ärzte so vorgegangen sind, wie sie vorgegangen sind. Ich glaube auch, dass das dem Verfahren eher schadet, als dass es seiner Akzeptanz und seinem Ansehen nutzt. Wir waren wohl noch nicht so weit und da einfach so plötzlich und, wenn Sie so wollen, das auch so im Verborgenen und in einem Land, wo die Regeln relativ locker sind, zu machen, das finde ich außerordentlich problematisch.
    Netz: … sagt die Medizinethikerin Alena M. Buyx zum ersten Baby, das nach einem sogenannten Kerntransfer geboren wurde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.