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ERC-Stipendien auf dem Prüfstand
Positive Bilanz

Der 2007 gegründete Europäische Forschungsrat ERC soll der Spitzenforschung in Europa auf die Sprünge zu helfen. Allein in Deutschland haben seitdem 917 Forscher eines der begehrten ERC-Stipendien ergattert, 6.000 waren es insgesamt. Aber waren die geförderten Projekte ihr Geld auch wirklich wert? Jean-Pierre Bourguignon, französischer Mathematiker und Präsident des Europäischen Forschungsrates stellte Mitte der Woche auf einer Konferenz in Manchester erste Daten vor.

Jean-Pierre Bourguignon im Gespräch mit Ralf Krauter | 29.07.2016
    Formeln stehen auf einer schlecht gewischten Tafel am 29.10.2012 in Berlin in einer Vorlesung "Mathematik für Chemiker" im Walter-Nernst-Haus auf dem Campus Adlershof der Humboldt-Universität.
    Laut dem ERC bestünde ein "wissenschaftlicher Durchbruch" unter anderem darin, das eine Arbeit häufig zitiert wird. (picture-allicance / dpa / Jens Kalaene)
    Ralf Krauter: Wie beurteilen Sie die wissenschaftlichen Auswirkungen?
    Jean-Pierre Bourguignon: Wir wollten einen Überblick bekommen, wie erfolgreich die ersten 200 Projekte sind, die der ERC gefördert hat und welche Bedeutung sie auf globaler Ebene hatten. Dazu haben wir 75 Gutachter gebeten, diese 200 Projekte, zu denen sowohl Starting Grants für junge Wissenschaftler als auch Advanced Grants für erfahrenere Forscher zählten, zu evaluieren. Die Gutachter waren renommierte Wissenschaftler, die je nach Fachgebiet in 2er- oder 3er-Teams arbeiteten, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Ihre Aufgabe war es, die Projekte in vier Kategorien zu klassifizieren: Wissenschaftlicher Durchbruch, großer Fortschritt, kleiner Fortschritt, oder kein brauchbares Ergebnis.
    Krauter: Was war das Ergebnis dieser Analyse?
    Bourguignon: Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass 42 der 200 untersuchten Projekte ein wissenschaftlicher Durchbruch gelungen ist. Rund 100 Projekte haben große wissenschaftliche Fortschritte erzielt. Insgesamt waren also 71 Prozent der Projekte sehr erfolgreich, was im internationalen Vergleich eine sehr gute Quote ist.
    "Eine allgemeingültige Definition, was ein Durchbruch ist, ist schwierig"
    Krauter: Woran haben die Gutachter einen wissenschaftlichen Durchbruch fest gemacht?
    Bourguignon: Eine allgemeingültige Definition, was ein Durchbruch ist, ist definitiv schwierig. Was ist ein Durchbruch in den Geschichtswissenschaften? Was ist ein Durchbruch in der Mathematik? Was ist ein Durchbruch in den Neurowissenschaften? Da kann man natürlich nicht überall dieselben Kriterien anlegen. Wonach die Gutachter typischerweise geschaut haben: Haben die Ergebnisse eines Projektes die Forschungslandschaft verändert? Haben die Wissenschaftler ein Konzept, eine Methode oder eine Technik entwickelt, die inzwischen auch viele andere Forscher verwenden? Ein Durchbruch liegt vor, wenn Kollegen die Ergebnisse nicht nur zur Kenntnis genommen haben, sondern sie bei ihrer eigenen Arbeit berücksichtigen.
    Krauter: Können Sie konkrete Beispiele nennen?
    Bourguignon: Leider nein, denn wir haben uns aus Prinzip dagegen entschieden, einzelne Projekte hervorzuheben, denn das wäre ja so, als würden wir einzelnen Forschern Noten geben. In der Fachwelt sind Personen, denen Durchbrüche gelungen sind, natürlich bekannt. Aber wir als Forschungsförderorganisation wollen niemanden öffentlich auf ein Podest heben oder an den Pranger stellen.
    Krauter: Geht aus dem Bericht auch hervor, warum vier Prozent der ersten ERC-Projekte offenbar zu keinerlei brauchbaren Ergebnissen geführt haben?
    Bourguignon: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Manchmal waren die Forscher auf die Verfügbarkeit einer neuen Technik oder eines neuen Messinstrumentes angewiesen. Und wenn diese Apparatur, die eine 100-fach höhere Messgenauigkeit verspricht, dann nicht wie erwartet funktioniert oder nicht rechtzeitig angeschafft werden kann, wird es natürlich schwierig, die erhofften Einblicke zu gewinnen. Oft finden Forscher, die mit solchen Problemen konfrontiert sind, alternative Wege, um ihr Ziel zu erreichen. Wer zu spät anfängt, in andere Richtungen zu denken, dem läuft am Ende dann manchmal einfach die Zeit davon. Ich habe mir die betreffenden Fälle angeschaut und es gibt wirklich nur drei, wo ich sagen würde: Bei diesem Projekt ist wirklich gar nichts herausgekommen.
    "Gerade die jungen Wissenschaftler in Europa profitieren stark"
    Krauter: Was verrät dieser Bericht zur wissenschaftlichen Bedeutung der ersten 200 ERC-Projekte darüber, wie der Europäische Forschungsrat im internationalen Vergleich dasteht?
    Bourguignon: Diesen Bericht haben wir in Auftrag gegeben, weil wir uns verpflichtet fühlen, den Leuten zu sagen, wo wir stehen. Die Ergebnisse sind erfreulich und bestätigen eine bibliometrische Untersuchung, die wir bereits gemacht haben. Einer der Gründe für die Gründung des europäischen Forschungsrates war der Befund, dass Europa im Mittel ungefähr ein Drittel aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen produziert.
    Bei den Veröffentlichungen, die am häufigsten von anderen Forschern zitiert werden, war Europa aber deutlich weniger erfolgreich als die USA. Wenn man sich jetzt die Publikationen der ERC-Stipendiaten anschaut: Die machen sieben Prozent der meistzitierten Fachartikel aus. Das ist Weltspitze. Die Quote der US National Science Foundation zum Beispiel beträgt nur 2,5 Prozent. Das sieben Prozent der ERC-Publikationen zu jenem einen Prozent aller Artikel zählen, die weltweit am häufigsten zitierten werden, ist ein phantastischer Erfolg. Das ist auf jeden Fall ein klares Zeichen dafür, dass sich der ERC im internationalen Wettbewerb hervorragend positioniert hat.
    Krauter: Kürzlich gab’s eine weitere gute Nachricht. Das ERC-Budget wird wachsen. Auf welche Höhe?
    Bourguignon: Das ERC-Budget für den Zeitraum von 2014 bis 2020 sah vor, dass wir ab 2017 mehr Geld bekommen. Die gute Nachricht lautet: Es wird tatsächlich so kommen. Am Montag bekamen wir die offizielle Bestätigung. Für den ERC ist es das höchste Budget aller Zeiten: Ab 2017 haben wir jährlich 1,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Die werden wir ungefähr gleich auf die drei Förderlinien aufteilen. Das heißt: Bis 2020 werden jedes Jahr rund 600 Millionen Euro in ERC Starting Grants fließen, also an junge Nachwuchsforscher. Bereits heute sind zwei Drittel aller Forscher mit einem ERC-Stipendium zwischen 30 und 40 Jahre alt. Gerade die jungen Wissenschaftler in Europa profitieren also stark. Da sind wir sehr stolz darauf.