Das Interview in voller Länge:
Monika Seynsche: Und wie funktioniert diese App?
Richard Allen: Das Neue an der App ist, dass wir ein kleines Programm in die App hineingebaut haben, das Erdbeben erkennen kann. Ein Smartphone bewegt sich ständig, es wird den ganzen Tag durch die Gegend getragen und wir müssen die Erschütterungen, die das Telefon im Alltag durchmacht von jenen unterscheiden können, die durch ein Erdbeben ausgelöst werden. Deshalb haben wir dieses Programm entwickelt, das Erdbeben-Erschütterungen von normalen Erschütterungen unterscheiden kann. Wenn also die App ein Erdbeben-Schütteln wahrnimmt, sendet sie ein Signal an unseren zentralen Prozessor. Hier haben wir ein zweites Netzwerk von Detektoren, um zu bestätigen, dass ein Erdbeben auf dem Weg ist.
Seynsche: Aber wie unterscheidet es zwischen Erdbeben und anderen Bewegungen?
Allen: Wir haben eine Klassifizierungsanalyse entwickelt, in die wir eine ganze Reihe verschiedener Charakteristika von seismischen Wellen eingespeist haben. Die Bewegungen des Untergrunds zeichen wir auf, indem wir den Beschleunigungsmesser benutzen, der sich in jedem Smartphone befindet. Daraus filtern wir die drei wichtigsten Charakteristika, die es uns erlauben, Erdbeben von anderen Bewegungen zu unterscheiden. Und diese drei Charakteristika sind in das Erdbebendetektionsprogramm eingebaut.
Seynsche: Und was passiert dann wenn ein Smartphone ein Erdbeben detektiert?
Allen: Diese Information, diese Trigger- Information wird zu unserem zentralen Server geschickt, so dass, wenn da wirklich ein Erdbeben ist, wir Signale von sehr vielen Telefonen gleichzeitig bekommen sollten. Das ist für uns dann eine weitere Bestätigung, dass wirklich ein Erdbeben stattfindet. Und im Moment ist das alles. Im Moment sammeln wir einfach diese Informationen in unserem zentralen Server und analysieren sie. Aber unsere Hoffnung ist es, dass wir in der nahen Zukunft in der Lage sein werden, nachdem wir das Erdbeben detektiert haben, an das Smartphone eine Warnung zurückschicken zu können, dass Erdbebenwellen unterwegs sind. Aber so weit sind wir noch nicht, das wäre dann die nächste Version der App.
Seynsche: Aber welchen Nutzen hat der Benutzer dieser App dann im Moment?
Allen: Die App bietet jede Menge Informationen über Erdbeben. Ähnlich wie viele andere Erdbeben-Apps können Sie Informationen und über Erdbeben der letzten Zeit erhalten, sowie Karten die mit weiteren Informationen über diese Erdbeben verlinkt sind. Was besonders an unserer App ist, es gibt auch eine Karte der großen Erdbeben der Vergangenheit. Die Erdbeben der letzten 100 Jahre, die weltweit die meisten Schäden angerichtet haben. Und die Nutzer können diese Erdbeben auswählen, mehr über sie erfahren und das wirklich spannend ist: sie können sehen, wie stark die Erschütterungen an genau dem Ort waren, an dem sie gerade stehen. Ich zum Beispiel lebe in Berkeley. Und wenn ich jetzt das Erdbeben von 1906 auswähle, das große San Francisco Beben, dann zeigt mir die App, dass die Intensität der Erschütterungen in Berkeley während dieses Erdbebens Stärke 9 auf der Richter Skala entsprachen. Dann kann ich mir ein Video ansehen, das zeigt, was Stärke 9 bedeutet. Ich kann also wirklich sehen, was Berkeley während dieses Erdbebens 1906 durchgemacht hat. Und das ist natürlich ein toller Weg, Leuten Wissen über die Auswirkungen von Erdbeben zu vermitteln. Und es ist eine sehr starke Motivation für uns alle, uns auf das nächste große Erdbeben vorzubereiten.
Seynsche: Ich kann nachvollziehen, dass Menschen sich für diese App interessieren, wenn sie irgendwann vor Erdbeben warnen kann, aber solange sie nur Informationen vermittelt, glauben Sie wirklich dass die Leute sich für diese App interessieren?
Allen: Nun, das ist ein Citizen Science Projekt, bei dem interessierte Laien uns Wissenschaftlern helfen. Das Ziel ist es, die Menschen warnen zu können. Aber dafür müssen wir die App zuerst großflächig testen. Also brauchen wir tausende von Menschen, die diese App herunterladen und sie auf ihrem Smartphone im Hintergrund laufen lassen, so dass sie Daten sammeln kann. Und wenn wir dann Daten von ein paar Erdbeben gesammelt haben, können wir unsere Analysis verifizieren und dann können wir Warnungen an die Leute ausgeben. Das ist das Ziel und die Motivation für Leute diese App herunterzuladen. Aber wir müssen eben diesen Extraschritt machen, wir brauchen Citizen science um dieses Ziel erreichen zu können.
Seynsche: Und wie viele Smartphones brauchen Sie dafür, die diese App benutzen?
Allen: Nun in unseren Simulationen sehen wir, dass der Erdbebenerkennungsalgorithmus den wir heute nutzen funktioniert, wenn wir 300 Telefone in einem Gebiet von 100 mal 100 Kilometern haben. Das ist also keine riesige Anzahl von Telefonen. In der realen Welt werden wir vermutlich mehr Smartphones brauchen, vielleicht um einen Faktor zehn mehr. Wir brauchen also zehntausende von Leuten, die die App herunterladen, die dann still und leise im Hintergrund läuft. Sie werden gar nicht merken, dass sie da ist. Dann können wir mehr Daten sammeln, die Analyse vervollständigen und dann werden wir anfangen können, Warnungen auszugeben, hoffentlich, bevor sie von einem Erdbeben betroffen sind.
Seynsche: Und wie stellen Sie den Datenschutz sicher? Ich könnte mir vorstellen, dass die meisten Menschen nicht begeistert sind von einer App, die im Hintergrund läuft und Daten sammelt, ohne dass ich kontrollieren kann, was sie da eigentlich sammelt?
Allen: Absolut. Deshalb werden alle Daten, die mit dem Smartphone selbst zu tun haben, anonymisiert. Es gibt keine Möglichkeit, die Daten, die diese App sammelt, mit der Person, der das Smartphone gehört in Verbindung zu bringen. Wir haben das gesamte System vollständig anonymisiert. Auf vielerlei Weise ähnelt diese App den Fitness-Apps, die viele Leute auf ihrem Smartphone haben. Die laufen auch still im Hintergrund, erkennen ihre Schritte und zählen sie. Während unsere App still im Hintergrund läuft, erkennt es, wenn da ein Erdbeben stattfindet. Und nur dann sendet es eine sehr kleine Menge Trigger-Daten, so dass wir das Erdbeben auf einem regionalen Maßstab erkennen können.
Seynsche: Und wann denken Sie, wird diese App so weit sein, dass sie vor Erdbeben warnen kann?
Allen: Nun, wenn wir genug Leute dazu bekommen, die App herunter zu laden, sind wir vielleicht schon in einem Jahr so weit, dass wir Warnungen ausgeben können. Aber wir brauchen eben wirklich viele Leute, die die App herunterladen, und je mehr Leute das tun, desto schneller gelangen wir an diesen Punkt.
Die App können Sie hier herunterladen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.