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Erdbeben
Hatte die Erdölförderung etwas mit den Erdbeben in der Emilia-Romagna zu tun?

Geophysik. - Im Mai 2012 erschütterten zwei schwere Erdbeben mit Magnituden von 5,9 und 5,8 Norditalien. Das Epizentrum lag in der Poebene, 27 Menschen starben, viele Bauten, auch kunsthistorische bedeutende, wurden schwer beschädigt. Eine international besetzte Expertenkommission hat untersucht, ob diese Beben mit der Erdölförderung in der Emilia-Romagna zusammenhängen. Der Bericht wurde jetzt veröffentlicht, nachdem er zuvor unter der Hand bekannt geworden war. Professor Ernst Hünges vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam war Mitglieder der Untersuchungskommission. Im Gespräch mit Ralf Krauter berichtet er über die Ergebnisse.

Informationen von Dagmar Röhrlich; Ernst Hünges im Gespräch mit Ralf Krauter |
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    Nach einem Beben der Stärke 5,9 stürzten am 20. Mai 2012 zahlreiche Gebäude in der italienischen Poebene ein, so auch diese Fertigungshalle in Sant'Agostino. (DPA/Nicolas Armer)
    "L'attività sismica immediatamente precedente il 20 maggio e l'evento del 20 maggio sono statisticamente correlate con l'aumento dell'attività ..."
    Die seismische Aktivität unmittelbar vor dem 20. Mai 2012 und dem Ereignis vom 20. Mai sei statistisch mit dem Anstieg der Fördertätigkeit in Cavone verknüpft, zitiert Paola Gazzolo, Zivilschutzleiterin der Emilia Romagna, aus dem Untersuchungsbericht (PDF):
    "... non è possibile escludere ma neanche provare che le azioni di sfruttamento del sottosuolo possano aver contribuito ad innescare l'attività sismica."
    Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Förderung und seismischer Aktivität kann allerdings weder ausgeschlossen, noch bestätigt werden. Bei anderen Beben konnte eine solche Verbindung bereits hergestellt werden erklärt Shemin Ge von der University of Colorado in Boulder:
    "Eine mögliche Ursache ist das Verpressen von Flüssigkeit in den Untergrund. Dadurch steigt der Druck im Gestein, und die Spannungsänderungen können an geologischen Verwerfungen Erdbeben auslösen."
    Meist sind solche Beben schwach und nicht weiter gefährlich. Im November 2011 entstand jedoch durch das Verpressen von Abwässern in der Nähe von El Reno in Oklahoma ein Beben der Stärke 5,7. Ge:
    "Erdbeben können auch durch die Förderung von Öl und Gas ausgelöst werden. Dadurch schrumpft sozusagen das Reservoir, und auch das erzeugt in der Umgebung Spannungen, die zu Erdbeben führen können."
    Ein Beispiel dafür sind die zwei starken Beben, die sich im Mai 1951 im norditalienischen Caviaga ereignet haben. Doch zurück zum Cavone-Feld in der Emilia-Romagna. Dort war im April 2011 die Ölförderung gesteigert worden und seitdem nahm die seismische Aktivität zu. Deshalb wollen die Geologen einen Zusammenhang mit dem schweren Erdbeben vom 20. Mai 2012 nicht ausschließen. Ob nun durch Verpressen oder Fördern: Damit solche vom Menschen ausgelösten Erdbeben entstehen, müssen die tektonischen Spannungen so hoch sein, dass vergleichsweise kleine Änderungen im Stressfeld das System kippen lassen.
    Ge: "Ob sich ein Beben ereignet und wie stark es ist, hängt dabei von vielen Faktoren ab: Einmal vom Stressfeld in dem betroffenen Gebiet, aber eben auch davon, wie die geologischen Störungszonen darin orientiert sind und wie schnell oder langsam Flüssigkeiten eingepresst oder herausgeholt werden. Um ein mögliches Risiko abzuschätzen, müssen in der Umgebung spezifische Untersuchungen durchgeführt werden."
    Und zwar nicht nur direkt an der Bohrung, sondern im Umkreis von einigen Kilometern: Anscheinend wirken sich diese Spannungsveränderungen im Untergrund großräumiger aus als noch vor zehn Jahren gedacht.
    Interview mit Professor Ernst Hünges, Leiter Reservoirtechnologien am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam
    Krauter: Im Prinzip wäre es also denkbar, dass die Ölbohrungen im Cavone-Feld bei Mirandola das schwere Erdbeben vom 20. Mai getriggert haben könnten. Und das, obwohl sie rund 20 km vom Epizentrum entfernt war. Ob man das Verdikt der Wissenschaftler so zusammenfassen kann, das habe ich vorhin Professor Ernst Hünges vom Geoforschungszentrum Potsdam gefragt, der an dem Expertengutachten mitgeschrieben hat.
    Hünges: Angesichts der aktuellen Literatur kann es nicht ausgeschlossen werden, obwohl, wenn wir genau diese Signale verfolgen, das doch sehr unwahrscheinlich ist, dass es so einen Zusammenhang gibt. Aber wir müssen auf der anderen Seite auch sehen, durch die Nutzung des Untergrundes gibt es eine Veränderung der Volumenbilanz insbesondere bei Kohlenwasserstoff-Ausbeutung des Untergrundes, so dass wir da durchaus auch eine mechanische Quelle sehen, die dann auch eine Wirkung haben kann über eine größere Strecke.
    Krauter: Das heißt, eine Bohrung an einer bestimmten Stelle könnte 10, 20 oder vielleicht sogar 30 Kilometer entfernt ein Beben getigert haben, das wäre denkbar?
    Hünges: Das wäre denkbar. 20 oder 30 Kilometer ist schon ziemlich viel, aber drei oder vier Kilometer ist sicherlich möglich.
    Krauter: Wenn man den Bericht liest, fällt auf, dass da nicht so wahnsinnig konkrete Aussagen drin stehen. Waren das wissenschaftliche Unsicherheiten oder vielleicht politische Gründe, dass man sich da nicht genauer festlegen wollte, weil das Terrain ja so ein bisschen vermint ist, weil da auch handfeste wirtschaftliche Interessen mit im Spiel sind?
    Hünges: Also da kann ich glasklar sagen, wir sind völlig unabhängig, wir haben bis auf Reisespesen keinerlei Gelder bekommen von der Kommission, wir waren völlig frei in der Aussage. Also das war definitiv nicht der Fall, das kann ich ausschließen.
    Krauter: Blicken wir nach vorne. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie und Ihre Kollegen aus den jetzigen Analysen?
    Hünges: Ich siehe eine glasklare Schlussfolgerung, dass wir da einen gigantischen Forschungsbedarf haben, wenn wir die Nutzung des Untergrunds weiter haben wollen. Ich will vielleicht zu bedenken geben, dass 90 Prozent unserer Energieressourcen aus der Geosphäre kommen. Also, 90 Prozent unseres Wohlstands und unserer Energie kommt daher, das wird sich auch nicht so schnell ändern in den nächsten Jahren. Das heißt, wir müssen den Untergrund nutzen, wir müssen aber auch noch mehr verstehen, was da so passiert, und bisher ist die Forschung doch zu sehr auf den konkreten Nutzungsraum beschränkt und man berücksichtigt leider noch viel zu wenig, dass die Wirkung auch über diesen Raum hinausgehen kann. Wir haben diese aktuelle Diskussion bei dem Schiefergas ...
    Krauter: Wo es um das Fracking geht ...
    Hünges: ... wo es um das Fracking geht. Wir haben ähnliche Diskussionen in den Gasfeldern und so weiter und so fort. Es gibt ganz viele Diskussionen, die eigentlich nach Forschung schreit, und da müssen wir eigentlich noch investieren.
    Krauter: Kann man denn jetzt schon sagen, dass man einfach definitiv besseres Monitoring bei solchen Bohraktivitäten bräuchte und vielleicht auch größere Sicherheitsabstände, wenn man in seismisch aktiven Regionen bohrt, was ja in Italien der Fall war?
    Hünges: Auch da muss und kann man drüber reden. Das ist eine Entscheidung jetzt von den lokalen Behörden, was sie da erlauben oder nicht erlauben werden, das ist ja nicht klar. Definitiv ist Monitoring ein Muss, auch seismisches Monitoring, was übrigens da auch gemacht worden ist. Das ist nicht so, als sei im Blindflug ausgebeutet worden. Aber man muss auch die Untersuchung in größerem Feld und auch mit größerem Aufwand durchführen, übrigens auch nicht nur seismisch beobachtend sondern auch mit anderen Methoden beobachtend. Und das muss ich aus der Kommissionsarbeit jetzt sagen, das ist etwas, was wir selbst auch in Deutschland noch gut gebrauchen könnten. Wir müssen die rechtlichen Voraussetzungen dafür bieten, dass wir der Transparenz einfach herstellen können. Nämlich nur die Offenlegung der Daten, die wissenschaftliche Beleuchtung der Daten ganz wertfrei, die hilft, dass wir da auch mal zu, na ich sag mal, vertretbaren Sicherheit hinkommen. Wir brauchen die Untergrundnutzung, das ist völlig klar. Also brauchen wir auch die Monitoring-Methoden.
    Krauter: Das heißt aber schon, wenn ich Sie recht verstehe, das Ereignis in Italien ist schon so ein bisschen ein Warnsignal genauer hinzuschauen?
    Hünges: Nicht nur Italien, es gibt zum Beispiel in den USA, in Oklahoma, es gibt eigentlich auch Lernpunkte, die wir in Deutschland schon haben aus dem Bergbau, Bergschäden, die haben wir ja auch handlen können, es gibt da genügend Ansätze, wo man anfangen kann, das noch weiter auszubauen und sicherer zu machen.