
Der gelbe Bagger sucht fast behutsam in den Trümmern des eingestürzten Mehrfamilienhauses in Thumana. Hier sollen noch elf Menschen liegen, darunter auch Kinder. Die Ambulanz steht sprungbereit und Polizisten haben den Rettungsort mit einem roten Band abgesperrt. Dahinter warten die Menschen auf ein Wunder. Kadife Koci hofft hier, dass Adelinda lebend gefunden wird, ihre verschüttete Cousine
"Sie haben geschlafen und kamen nicht raus. Mein Onkel und seine Frau sind verletzt im Krankenhaus, aber sie liegt hier unter den Trümmern hier. Man sucht, aber man hat sie bis jetzt noch nicht gefunden."
Wir alle gehören zur Familie, sagt Kadife Koci leise und schaut in die große Frauenrunde. Genauso müde und blass wie sie sitzen sie an einen schwarzen Zaun gelehnt und schauen Stunde um Stunde den Rettungsarbeiten zu. Eine wischt sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht, eine andere mustert abwesend ihre Umgebung, tiefe Ringe unter den Augen. Sie leben, aber sie wirken im Innern erschüttert.
Die Nerven liegen blank
Auf dem Sportplatz von Thumana stehen Zelte für rund 700 Menschen, deren Wohnungen und Häuser eingestürzt oder nicht mehr bewohnbar sind. Teilweise liegen die Nerven blank. Diese Frau möchte eine Decke.
Ehrenamtliche in neongelben Western schwirren durch die Menge. Geben Wasser, Essen, Medikamente und Toilettenpapier aus, Spenden Trost und vermitteln bereitstehende Psychologen. Auch Hauptstadtvertreter lassen sich sehen und eine Dame stöckelt im schwarzen Samtanzug mit weißer Bluse durch die matschigen Wege. Eglantina Gjermeni hingegen hat feste Schuhe an. Sie ist Abgeordnete der regierenden Sozialisten im albanischen Parlament.
"Die Situation ist sehr schlimm und das Gebäude dort hinten bekommt die größte Aufmerksamkeit, weil dort noch Menschen unter den Trümmern liegen. Die Toten haben nicht nur die Familienangehörigen traumatisiert, sondern die gesamte Region."
Lebensgrundlagen wurden vernichtet
Auch das backsteinrote Mehrfamilienhaus in dem Sokol und seine Familie wohnen ist einsturzgefährdet, und sie hausen deswegen in einem der Zelte. Der schwarzhaarige Mann wirkt gestresst. Er atmet schwer und zittert immer wieder am ganzen Körper.
"Wir haben die Hölle mit eigenen Augen gesehen. Es hat uns erschreckt. Ich kann das gar nicht beschreiben. Ich kann nicht weiter reden. Unsere Freunde, unsere geliebten Menschen sind tot. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
Er könne sich gar nicht genau erinnern wie er und seine Familie sich gerettet hätten, so schrecklich sei alles, hastet sich Sokol durch seine Sätze und knetet seine nervösen Finger. Was soll er den drei Kindern sagen. Wann kommen die Beerdigungen, fragt er sich aufgeregt und zeigt ein zerstörtes kleines Haus - die Brotbäckerei die eben noch seine Lebensgrundlage war, vernichtet.
Vermisste Angehörige
Nur ein paar Säcke Mehl liegen unversehrt in den Trümmern in denen sich auch ein großer Hund verkrochen hat.
"Ich stehe auf meinen Beinen, aber habe den Eindruck, als ob der Boden weiter bebt, als würde ich in Wasser schwimmen. Wir sind noch gar nicht bei Sinnen. Wir und die Kinder stehen unter Schock. Es ist ein so Schrecken."
Auch Kadife Koci wirkt wie ein Mensch der Ruhe braucht und doch sie will sitzen bleiben bis Adelinda gefunden wird – ihre Cousine
"Eine Belastung. Wir wissen nicht, wie das Ende aussieht. Nur mit Hoffnung und Gottes Hilfe werden wir sie lebend sehen. Tote bergen sie immer wieder."