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Erdbeben in Italien
Vor einem schwierigen Wiederaufbau

Nach dem katastrophalen Erdbeben in Zentral-Italien plant das Land den Wiederaufbau. Dabei geht es nicht nur um die zerstörten Häuser, sondern auch darum, wie die Städteplanung in Zukunft aussieht. Die Apennin-Region gilt als stark erdbebengefährdet und wird immer wieder von Katastrophen heimgesucht.

    Von einem Haus in Amatrice ist nur noch eine Mauer mit einem Fenster geblieben; das Fenster ist nur noch links und unten von Mauerwerk umgeben.
    Ein Haus im italienischen Ort Amatrice ist nach dem Erdbeben komplett zerstört. (picture alliance / dpa / Massimo Percossi)
    In den erdbebengefährdeten Regionen sei "ohne Vernunft und Voraussicht" gebaut worden, kritisierte der frühere italienische Regierungschef und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Er forderte nach der Erdbebenkatastrophe einen 30-Jahr-Plan für sein Land, außerdem konkrete Regeln für Programme und Finanzmittel und klare Zuständigkeiten von Staat, Regionen und Kommunen. Das Ziel dürfe nicht mehr sein, Städte und Dörfer um jeden Preis zu erweitern, verlangte Prodi in der Zeitung Il Messaggero. Wichtiger sei das, was bereits existiere, sicher zu machen.
    Pescara del Tronto - beim Erdbeben fast völlig zerstört (24. August 2016).
    Pescara del Tronto - beim Erdbeben fast völlig zerstört. (dpa / picture alliance / Ansa)
    Damit spricht Prodi Fragen an, die schon kurz nach dem Erdbeben aufgetaucht waren und auf die die italienische Regierung bisher keine zufriedenstellenden Antworten gegeben hat: Wie kann es sein, dass im Jahr 2016 ganze Ortschaften durch ein Beben in Schutt und Asche gelegt werden. Warum stürzte in Amatrice eine Schule ein, die gerade erst gebaut wurde? Warum wird Erdbebenschutz in Gebäuden zwar gesetzlich gefordert, von den Behörden aber nicht durchgesetzt?
    Pfusch am Bau?
    Die Staatsanwaltschaft hat in den verwüsteten Regionen inzwischen Ermittlungen wegen möglicher Schlamperei am Bau eingeleitet. Es geht darum, herauszufinden, ob Pfusch für die hohe Zahl an Toten mitverantwortlich sein könnte. Die Tragödie könne nicht nur als Werk des Schicksals betrachtet werden, sagte Giuseppe Saieva, Staatsanwalt in Rieti. Bei einigen der zerstörten Häuser sei "mit mehr Sand als Zement" gebaut worden.
    Ein starkes Erdbeben in Mittelitalien am 24.08.2016 forderte zahlreiche Menschenleben. Rettungskräfte suchen am 24.08.2016 in Amatrice (Provinz Rieti) in den Trümmern nach Opfern.
    Nach einem Erdbeben in Italien suchen Rettungskräfte in Amatrice/Provinz Rieti nach Opfern in den Trümmern. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Rieti ist die Hauptstadt der Provinz, in der die beiden verwüsteten Ortschaften Amatrice und Accumoli liegen. Die Untersuchung soll sich den Angaben zufolge auf einige Gebäude konzentrieren. Darunter ist die Grundschule in Amatrice. Sie war 2012 für 700.000 Euro renoviert worden, um Erdbeben standzuhalten. Auch die Staatsanwaltschaft in der Provinz Ascoli Piceno hat Ermittlungen eingeleitet. Untersucht werden soll unter anderem, wer für den Bau, Wiederaufbau oder die Erdbebensicherung der Wohngebäude in Arquata und Pescara del Tronto zuständig war. Ein Teil des betroffenen Gebiets war bereits 1997 bei einem Beben in Mitleidenschaft gezogen worden.
    Milliardensummen nötig
    Nach Angaben von Forschern muss in Mittelitalien im Schnitt alle zehn Jahre mit einem Erdbeben der Stärke 6 und mehr gerechnet werden. Mehr als die Hälfte der Privatwohnungen in Italien entsprechen nach Berechnungen des Nationalen Ingenieurrats aber nicht den Sicherheitsbestimmungen. Allein die Erdbebensicherung von Wohngebäuden in den am meisten gefährdeten Gegenden könnte demnach bis zu 36 Milliarden Euro kosten. Weitere drei Millionen Gebäude, die vor 1919 errichtet wurden, müssten ebenfalls dringend gegen Erdbeben gerüstet werden.
    Die oft Jahrhunderte alten Häuser erdbebensicher zu machen, wäre zwar teuer, würde sich aber lohnen. Man könne das für zehn Prozent der Kosten machen, die ein Wiederaufbau koste, sagte der Professor und Erdbebenexperte Paolo Bazzurro von der Universität IUSS in Padua der Zeitung La Stampa. Das technische Know-how gebe es zur Erdbebenvorsorge in Italien, es fehle aber an politischem Willen und finanzielle Hilfen. "Oft wehren sich auch die Gemeinden, weil sie negative Auswirkungen auf den Tourismus fürchten".
    Rettungskräfte in den Trümmern eines zerstörten Hauses im Zentrum der italienischen Stadt Amatrice am 26. August 2016, zwei Tage nach dem schweren Erdbeben.
    Rettungskräfte in den Trümmern zerstörter Häuser in Amatrice/Italien nach dem Erdbeben. (AFP PHOTO / ANDREAS SOLARO)
    Experten zufolge wird der Wiederaufbau in den Erdbebengebieten Milliarden kosten und Jahre dauern. Kopmpliziert werde vor allem die Rekonstruktion der vielen Hundert zerstörten historischen Gebäude, sagte Architekturhistoriker Marco de Michelis im Deutschlandradio Kultur.
    Italiens Regierung bittet EU um Lockerung der Defizitregeln
    Die Regierung in Rom forderte von der EU eine Lockerung der EU-Defizitregeln. Dort gibt es zwar bereits Ausnahmen bei Naturkatastrophen und Wiederaufbau. Rom will aber um eine Ausweitung der Regeln auf die präventive Erdbebensicherung bitten. Es gehe nicht darum, willkürlich Geld auszugeben, sagte der stellvertretende Wirtschaftsminister Enrico Zanetti der Zeitung La Stampa. Vielmehr wolle man mit notwendigen Investitionen auf die Erdbebengefahr reagieren.
    Durch das Beben der Stärke 6,2 in der Nacht zum Mittwoch waren mindestens 290 Menschen getötet worden. Nach etwa zehn Vermissten wird in den Schuttbergen weiter gesucht. Etwa 2500 Menschen wurden obdachlos. Fast 400 Menschen wurden in Krankenhäusern behandelt. Am Wochenende hat Italien innegehalten und mit einer Zeremonie im Erdbebengebiet sowie einem landesweiten Trauertag der Opfer der Katastrophe gedacht.
    (rm/tj)