Nanda liegt regungslos im Bett. Das Atmen strengt ihn an, er klagt über Druck im Brustkorb. Es fällt ihm schwer, zu begreifen, dass das Erdbeben sein Leben für immer verändert hat.
"Ich weiß nicht, ob ich meine Beine zurückkomme. Ich weiß nicht, was hier mit mir passiert. Manchmal zittern meine Beine. Dann ist es so, als ob ich was fühle. Dann sehe ich, dass sich meine Beine bewegen können. Und das macht mich glücklich."
Doch Nanda wird seine Beine nicht zurückbekommen. Seine Muskelzuckungen sind unkontrolliert. Spastisch. Er ist seit dem Erdbeben am 25. April querschnittsgelähmt. Sein Haus brach über ihm zusammen, ein Stützbalken traf seinen Nacken und schädigte das Rückenmark im Bereich der Halswirbel C6 und C7.
"Ich liege hier rum und frage mich, wie es weitergehen soll. Wenn ich gesund wäre, würde ich zurück in mein Dorf gehen und auf meinem Feld arbeiten."
Es ist Regenzeit in Nepal. Zeit für den Reisanbau. Nanda kennt nichts anderes. Der Bauer stammt aus einem kleinen Bergdorf mit 200 Familien. Als sein Haus über ihm einstürzte, zogen ihn Nachbarn aus den Trümmern. Sie trugen ihn einen Tag lang bergab zur nächsten Straße. Die gefährliche Busreise nach Kathmandu dauerte weitere zwei Tage. Nandas Frau Hasti und seine zweijährige Tochter Hira sind bei ihm. Seine anderen drei Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren sind bei den Großeltern im Bergdorf zurückgeblieben. Es gab ein zweites schweres Erdbeben am 12. Mai. Und unzählige Nachbeben.
Nanda: "Ich habe Angst um meine Kinder. Aber ohne Beine kann ich ihnen nicht helfen. Wir haben keinen Kontakt nach Hause. Ich vermisse die Kinder sehr."
Der Distrikt Dolakha, aus dem Nanda stammt, gehört zu den am schwersten zerstörten Gebieten in Nepal. Viele Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnitten. Nandas Dorf gehört dazu. Seine Frau Hasti drängt auf eine schnelle Rückkehr. Auch ihr fällt es schwer, zu begreifen, dass die Lähmung ihres Mannes für immer sein wird. Das Paar ist nie zur Schule gegangen.
Hasti: "Ich vermisse einfach alles zu Hause. Am meisten die Kinder. Ich sorge mich auch um unsere beiden Ochsen, um unsere Kuh und die Ziege. Die Kuh war trächtig."
Die beiden sind zum ersten Mal in der Hauptstadt. Nanda wurde nach seiner Ankunft in Kathmandu im nationalen Traumazentrum operiert, um seine Nackenwirbelsäule zu stabilisieren. Jetzt liegt er im einzigen Wirbelsäulenrehabilitationszentrum des Landes, das sich über Spenden finanziert. Chanda Rana ist für seine Physiotherapie verantwortlich. Er bräuchte eine intensive Therapie, doch die überfüllte Klinik kann nur 15 Minuten am Tag pro Patient leisten.
Nanda versucht, sich zu orientieren und seine Querschnittslähmung zu verstehen. Er ist zurzeit in seiner eigenen Welt verloren. Wir versuchen, seiner Frau Hasti beizubringen, was es bedeutet, einen Querschnittsgelähmten zu pflegen. Sie muss ihm mit seinem Urin und Kot helfen, Infektionen und Wund liegen vermeiden, die Zeichen einer Komplikation frühzeitig erkennen. Es ist sehr wichtig, dass sie ihre Rolle versteht.
Nanda soll lernen, sich im Bett selber zu drehen und aufzusetzen. Vielleicht wird er sich auch mal selbstständig im Rollstuhl bewegen können, obwohl auch seine Arme und Hände bewegungseingeschränkt sind.
"Meine Hände tun sehr weh. Meine Hände und meine Arme werden kleiner. Der Rollstuhl ist anstrengend. Als ob sich die Erde um mich dreht. Es fällt mir schwer, zu sitzen. In meinem Dorf ist so ein Rollstuhl nutzlos."
Dennoch klammern sich Nanda und Hasti an die Rückkehr. Wie sich die Familie langfristig versorgen will, ist unklar. Die Shanti-Hilfe aus Dortmund, die sich seit über 20 Jahren um behinderte Menschen in Nepal kümmert, hat ihre Hilfe angeboten. Heiko Grosspietsch ist gelernter Physiotherapeut und kennt das Risiko.
"Selbst wenn man ihn in sein Dorf tragen würde, wäre er in einer Umgebung eingesperrt, auf engstem Raum, wo er sich nicht fortbewegen könnte, wo er keine Chance auf irgendwelche Hilfe hat, zum Beispiel für einen Katheter-Wechsel. Eine Katheter-Versorgung bringt auch eine Infektionsgefahr mit sich. Man kann einen Katheter nur eine gewisse Zeit lang tragen. Der Katheter muss dann gewechselt werden. Alleine an den Katheter-Beutel zu kommen, dürfte dort unmöglich sein. Wenn er dorthin zurückkehren sollte, sehe ich für ihn keine Überlebenschance."
Das trifft auf viele der mehr als 22.000 Verletzten zu, denen das große Himalaya-Beben ihr altes Leben unwiederbringlich geraubt hat. Nur für die wenigsten gibt es professionelle Hilfe.