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Erdbebenopfer am Hindukusch
Angst vor Nachbeben

Das volle Ausmaß des gestrigen Erdbebens ist noch nicht überschaubar. In Afghanistan und Pakistan wurden bislang rund 300 Tote gezählt. Doch die Zahl könnte steigen, denn Informationen aus den betroffenen Regionen sind bisher rar.

Von Jürgen Webermann |
    Menschen stehen um eine Rikscha, die von herabfallenden Steinen beschädigt wurde.
    Erdbebenschäden in der pakistanischen Stadt Peschawar (picture alliance / dpa / Arshad Arbab)
    Im Lady-Reading-Krankenhaus in Peschawar fahren minütlich Krankenwagen vor. Verletzte, herausgezogen aus den Trümmern ihrer Häuser. Peschawar ist eine dicht besiedelte Großstadt im Nordwesten Pakistans, und liegt nicht weit entfernt vom Epizentrum des schweren Erdbebens. In den ersten Stunden nach dem Beben suchten alleine im Lady-Reading-Krankenhaus Hunderte Menschen Hilfe. "Wenn uns ein solches Ereignis trifft, müssen wir rasch unsere Notfallpläne umsetzen", sagt ein Krankenhaus-Mitarbeiter. "Derzeit sind alle Mitarbeiter im Einsatz, mit allem, was wir haben. Bislang sind wir in der Lage, alle Verletzten zu behandeln."
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    Auch in Peschawar hat es mehrere Tote gegeben, aber nicht so viele, wie zunächst befürchtet – die Stadt ist für ein schweres Erdbeben eigentlich nicht gerüstet. Hier wohnen seit vielen Jahren Tausende sehr arme Flüchtlingsfamilien aus Afghanistan, gerade ihre Häuser sind nicht erdbebensicher. Doch dieses Erdbeben ereignete sich in 200 Kilometern Tiefe, so tief, dass es nicht die verheerende Wirkung entfalten konnte wie zum Beispiel das Beben in Nepal vor einem halben Jahr.
    Dennoch ist das volle Ausmaß der gestrigen Katastrophe noch nicht überschaubar. Auch nicht in Pakistan. Die Regierung geht davon aus, dass vor allem der sehr gebirgige und entlegene Nordwesten des Landes getroffen wurde. Informationsminister Pervez Rashid: "Unseren jüngsten Informationen gibt es besonders viele Opfer in der Provinz Chitral. Wir haben Hubschrauber und Flugzeuge dorthin geschickt, um aus der Luft eine erste Einschätzung vorzunehmen." Chitral ist die pakistanische Stadt, die dem Epizentrum auf der afghanischen Seite der Grenze am nächsten liegt, dort wohnen rund 30.000 Menschen. Chitral zu erreichen könnte schwierig werden, denn es hat in der Region vor dem Beben außergewöhnlich stark geregnet – die Erdstöße lösten heftige Erdrutsche aus. "Die Gebirgsdörfer zu erreichen, ist sehr schwer", sagt ein Offizieller in Peschawar. "Die Verletzten, die am späten Abend in die Krankenhäuser der Stadt eingeliefert wurden, stammen allesamt aus den näher gelegenen Bergregionen."
    Menschen in der afghanischen Hauptstadt Kabul nach dem Erdbeben
    Menschen in der afghanischen Hauptstadt Kabul nach dem Erdbeben (dpa / picture-alliance / Jawad Jalali)
    In Afghanistan scheint die Regierung zum Teil überhaupt keinen Kontakt zu einigen Städten rund um das Epizentrum im Nordosten und Osten des Landes zu haben. In einigen Provinzen tobten in den vergangenen Wochen und Monaten heftige Kämpfe mit den Taliban und Kämpfern des Islamischen Staats, der in Ostafghanistan Fuß fassen will. Mehrere Distrikts-Zentren sind in der Hand der Extremisten. Das dürfte es der ohnehin überforderten Regierung in Kabul erschweren, schnell und umfassend zu helfen.
    Indien hat bereits Unterstützung angeboten, auch die US-Regierung sicherte Soforthilfe zu. Die Opfer sind auf schnelle Rettungsmaßnahmen angewiesen, auf Zelte, Decken und Trinkwasser. Denn in den Bergen Afghanistans und Pakistans ist es bereits sehr kalt geworden - nachts sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Und viele Menschen haben Angst, in den stehen gebliebenen Häusern zu übernachten. Insgesamt vibrierte die Erde seit gestern sieben Mal, zuletzt am frühen Morgen. Aber immerhin blieben die Erdbebenopfer von schweren Nachbeben bislang verschont.