In der vergangenen Woche hat sich etwas bewegt: Die geplante Erdgasförderung in der Nordsee vor Borkum ist ein Stück näher gerückt. Das Wirtschaftsministerium in Hannover und das niederländische Unternehmen One-Dyas haben sich auf Eckpunkte des Vorhabens verständigt.
Denn: „In der Nordsee 20 Kilometer vor Borkum befindet sich das offensichtlich größte Erdgasfeld seit 25 Jahren, dass die Niederlande dort erschließen will mit etwa 60 Milliarden Kubikmeter vermutetem Gesamtvolumen“, erklärt der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann in einem Zoom-Interview, das er aus terminlichen Gründen unterwegs führen musste.
Ab 2024 fünf Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr förderbar
Dieses Feld liegt im deutsch-niederländischen Grenzgebiet unter der Nordsee, ganz in Nähe des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Es soll von einer von Borkum aus sichtbaren Förderplattform über Horizontalbohrungen erschlossen werden. Falls alles genehmigt wird, könnten ab 2024 pro Jahr fünf Milliarden Kubikmeter Gas fließen – etwa so viel, wie Deutschland selbst pro Jahr fördert. Zum Vergleich: Der deutsche Bedarf liegt derzeit bei jährlich 90 Milliarden Kubikmetern im Jahr.
„Insofern ist es ein Mosaikstein in der Gesamtfrage der Energieversorgungssicherheit. Die Entscheidung für eine Förderung von Erdgas muss vor dem Hintergrund der neuen geostrategischen Lage neu bewertet werden, weil wir in eine Engpasssituation in den nächsten Monaten gerade mit Blick aufs Erdgas geraten können und wir uns immer unabhängiger und möglichst schnell von russischem Erdgas machen wollen.“
Die Hälfte des Gases soll in die Niederlande fließen
Während Umweltverbände und die Grünen im Landtag in Hannover die geplante Förderung immer noch ablehnen, hat die Regierungskoalition aus SPD und CDU ihre Meinung deshalb geändert, erklärt Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies: „Wir brauchen eigentlich mehr Gas aus den Niederlanden. Dann wird es schon schwierig, wenn wir auf der einen Seite sagen: ‚Liebe Niederländer, bitte liefert uns mehr Gas‘ und auf der anderen Seite sagen, ‚Liebe Niederländer, aber bitte fördert das nicht in der Nordsee‘, nur weil es eine Abgrenzung zum deutschen Hoheitsgebiet gibt. Das hat uns dazu veranlasst zu sagen: Lasst uns miteinander reden.“
Rund die Hälfte des Gases soll – wenn das Landeskabinett den Plänen zustimmt – nach Deutschland fließen – die andere in die Niederlande. „Mein Eindruck ist, dass es eine gute Chance für eine Verständigung gibt. Wir machen jetzt nicht Gasförderung, weil wir schon immer Gasförderung machen wollten. Wir machen es aus der Situation des Kriegs in der Ukraine und der Chance, unabhängig zu werden von russischem Gas.“
Nur fünf Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases stammen aus heimischer Förderung
Diese Unabhängigkeit sei lange nicht mehr als wichtig erachtet worden, weil die Versorgung mit Erdgas als gesichert galt, sagt Ludwig Möhring, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und GeoEnergie in Hannover. „Und auf einmal stellen wir fest, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir die Gasversorgungsstrategie für die Zukunft aufbauen.“
Noch vor 20 Jahren stammte rund ein Fünftel des in Deutschland verbrauchten Gases aus heimischer Förderung: „Das ist unter anderem wegen sich weiter entleerender Lagerstätten mittlerweile bei fünf Prozent angekommen.“ Schon diese niedrige Selbstversorgungsquote zu halten, sei nicht einfach, betont Möhring – und eine Suche nach neuen Lagerstätten nicht zu erwarten. Das bestätigt auch Eike Bruns, Pressesprecher des Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover. „Momentan ruht still der See.“
Neue Felder zu erschließen braucht viel Zeit
Dabei spielen – ebenso wie beim kontinuierlichen Rückgang der heimischen Förderung – auch gesellschaftliche Aspekte eine Rolle. Weil Gasförderprojekte oft auf Widerstand stießen, haben die Unternehmen ihr Engagement heruntergefahren. Bruns: „Wenn jetzt natürlich eine gewisse Kehrtwende zu sehen ist, auch in der Energiepolitik, dann müssten auch die Unternehmen sich darauf einstellen. Und die müssen natürlich erst mal auch wieder das Know-how und die Manpower entwickeln, um solche Projekte anzugehen. Das ist schon mal ein gewisser Zeitfaktor, der da sicherlich eine Rolle spielt.“
Binnen weniger Wochen die gesamte Energiewirtschaft umkrempeln, das funktioniere nicht, sagt Eike Bruns. Zumal größere neue Lagerstätten wohl nicht an Land, sondern am ehesten unter der Nordsee zu finden wären. Aber ob Deutschland dort jetzt selbst suchen sollte? Landesumweltminister Olaf Lies ist skeptisch.
„Wenn man mal an ganz neue Felder denkt, die man erschließen muss, dann redet man auch über relativ lange Zeiträume. Und das Ziel ist ja für Niedersachsen, so steht's auch im Gesetz, dass 2040 die gesamte Energieversorgung auf Erneuerbare umgestellt ist. Da wird es wenig Sinn machen, in acht Jahren oder in zehn Jahren mit einer Förderung zu beginnen, die man dann nur acht oder zehn Jahre vorhalten kann.“
Ausbaupotenzial der Erdgasförderung eher gering
Derzeit hofft Deutschland vor allem, dass die Nachbarn aushelfen. Norwegen hat die Gasförderquote erhöht – obwohl das bedeutet, dass das Land künftig weniger Öl fördern kann. Das Ausbaupotenzial der Erdgasförderung in Deutschland schätzt Ludwig Möhring als eher gering ein: Günstigstenfalls schaffe man es von fünf auf sechs Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Höhere Zuwächse ließen sich nur erzielen, wenn sogenannte unkonventionelle Lagerstätten erschlossen würden – also Schiefergas, das über Fracking angezapft wird.
Eine Methode, die in Deutschland nicht erlaubt ist. Und bei der nicht nur das Potenzial unklar sei, sondern im dicht besiedelten Deutschland ohnehin noch großer Forschungsbedarf bestehe, erklärt Charlotte Krawczyk, die Vorsitzende der Expertenkommission Fracking des Deutschen Bundestags. Dafür ist die Geowissenschaftlerin nicht überzeugt, dass die konventionellen Reserven wirklich schon ausgereizt werden:
„Haben wir denn unsere konventionellen Lagerstätten eigentlich schon ausreichend exploriert? Ich glaube, da kann auch noch eine neue Abschätzung erfolgen. Also dass wir sofort den Hahn aufdrehen im nächsten Winter und die Technologie da am Start haben, dass ist nicht wahrscheinlich. Aber in den nächsten wenigen Jahren, da ließe sich, glaube ich, eine ganze Menge machen.“ Es könnte sich lohnen, beispielsweise in Bayern zu suchen.