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Erdogan-Auftritt in Köln
"Konflikte werden nach Deutschland transportiert"

Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, nennt den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln "sehr problematisch". Mit dem Wahlkampf würden auch die innenpolitischen Konflikte der Türkei nach Deutschland transportiert, sagte Bosbach im Deutschlandfunk.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Bettina Klein |
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gestikuliert während eines Gesprächs.
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    "Ich halte die Auftritte für sehr problematisch", sagte Bosbach. Erdogan appelliere nicht nur an seine Landsleute, sondern auch an deutsche Staatsbürger - "denn es gibt immer mehr, die beide Staatsbürgerschaften haben". Erdogans Auftritt sei klar Wahlkampf. "Damit werden die innenpolitischen Konflikte nach Deutschland transportiert." Denn es gebe nicht nur die Großkundgebung, sondern auch eine Gegendemonstration. "Damit wird der Konflikt auf unseren Straßen und Plätzen ausgetragen", klagte Bosbach.
    Erdogan stehe in der Türkei für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und überhartes Vorgehen gegen Demonstranten. Unter ihm entferne sich die Türkei "mit Riesenschritten von europäischen Werten", so Bosbach. Es gebe zwar keine rechtliche Handhabe gegen die Veranstaltung, da sie nicht von öffentlichen Stellen genehmigt werden muss. "Aber man darf das in Deutschland kritisch sehen."

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Am Samstag wird also der türkische Regierungschef Erdogan ein weiteres Mal hier in Köln vor Tausenden Anhängern sprechen und auch vor einigen Gegendemonstranten, wie sich nun herausgestellt hat. Wegen seines Verhaltens nach dem Grubenunglück in Soma ist Erdogan erneut heftig in die Kritik geraten, auch hier in Deutschland. Seit dem Wochenende haben sich diverse Politiker geäußert, viele von ihnen kritisch mit Blick auf diesen Auftritt, der als Wahlkampfveranstaltung für die Wahl am 10. August genutzt werden könnte. Aber nicht alle sahen das so.
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "Ich glaube, unsere Demokratie hält es aus, wenn Herr Erdogan sich in Deutschland an seine Landsleute wendet und wir darüber eine Diskussion haben."
    Klein: Die Demokratie in Deutschland hält das aus, so sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gestern. Er rät also zur Gelassenheit bei diesem Thema. – Am Telefon bei uns ist jetzt Wolfgang Bosbach von der CDU, Vorsitzender vom Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Herr Bosbach, Sie haben gestern schon zu verstehen gegeben, Sie würden es gut finden, wenn dieser Auftritt von Erdogan hier in Köln nicht zustande käme. Halten Sie, anders als der Bundesaußenminister, unsere Demokratie nicht in der Weise für gefestigt?
    Bosbach: Dass wir das aushalten, das stelle ich nicht in Frage. Natürlich halten wir das aus! Aber nicht alles, was man aushalten kann oder aushalten muss, muss man auch begrüßen und für richtig halten. Ich halte die Auftritte von Herrn Erdogan in Deutschland für sehr problematisch, und was Herr Steinmeier gesagt hat ist ja nur die halbe Wahrheit. Herr Erdogan appelliert ja nicht nur an seine Landsleute. Damit meint er wahrscheinlich, also Herr Steinmeier, die türkischen Staatsangehörigen hier in Deutschland. Er appelliert auch an unsere Landsleute, denn es gibt immer mehr, die beide Staatsangehörigkeiten haben, die deutsche Staatsangehörigkeit und die türkische Staatsangehörigkeit, und auch sie sind ja zum ersten Mal am 10. August wahlberechtigt. Das ist eine Wahlkampfveranstaltung in Köln. Man soll auch gar nicht den Versuch unternehmen, der Veranstaltung einen anderen Charakter zu geben. Damit transportieren wir auch die innertürkischen Debatten und Konflikte zu uns nach Deutschland.
    Klein: Aber was im Kern, Herr Bosbach, ist das Problematische für Sie daran, dass Erdogan hier Wahlkampf betreibt, wenn doch nun mal die türkischen Staatsbürger hier in Deutschland – Sie haben es angedeutet – zum ersten Mal mitwählen können?
    Bosbach: Den einen Punkt habe ich gerade erwähnt, dass innertürkische Konflikte und Auseinandersetzungen jetzt nach Deutschland transportiert werden, und wir werden ja nicht nur eine Großkundgebung erleben, sondern auch eine große Gegendemonstration. Damit werden dann die Konflikte nicht nur in der Lanxess Arena selber, sondern auch noch auf unseren Straßen und Plätzen ausgetragen. Hinzu kommt, dass Herr Erdogan nicht für Demokratie und europäische Werte steht, sondern für einen sehr, sehr autoritären Führungsstil, für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, für überhastetes Vorgehen gegen Demonstranten, und sein Verhalten nach der Katastrophe des Grubenunglücks in Soma wird ja national, international scharf kritisiert.
    Klein: Wenn das so ernst ist, Herr Bosbach, welche Handhabe steht denn der deutschen Politik zur Verfügung, das zu verhindern?
    Bosbach: Rechtlich keine. Nicht die Bundesrepublik Deutschland hat Herrn Erdogan eingeladen, sondern die UETD, die, zurückhaltend formuliert, der AKP sehr nahe steht und offensichtlich über große Finanzmittel hier in Deutschland verfügen muss. Es handelt sich auch nicht um einen Staatsbesuch, sondern es handelt sich um eine private Veranstaltung. Es gibt auch keine rechtliche Handhabe, die Veranstaltung in der Kölner Arena zu verbieten. Sie muss auch nicht genehmigt werden von öffentlichen Stellen. Aber dessen ungeachtet, darf man sich in Deutschland auch ruhig kritisch äußern. Ich sehe diese Auftritte sehr, sehr kritisch, zumal ich befürchte, das wird nicht der erste Auftritt dieser Art sein. Wir werden in Zukunft in Deutschland noch mehr Wahlkampfauseinandersetzungen erleben, gerade weil ja am 10. August zum ersten Mal die türkischen Staatsbürger auch in Deutschland ein Wahlrecht haben. Wir werden auch sicherlich mit der Forderung konfrontiert werden, hier in Deutschland für die Wahlen in der Türkei Wahllokale einzurichten und zur Verfügung zu stellen.
    Ein Plakat wirbt für Erdogans Auftritt in Köln 2008.
    Zuletzt sprach Erdogan 2008 in Köln vor 20.000 Türken. (dpa/Felix Heyder)
    "Innertürkische Auseinandersetzungen verlagern sich nach Deutschland"
    Klein: Was spricht dagegen?
    Bosbach: Das was ich vor wenigen Minuten gesagt habe, dass dadurch natürlich in der Bundesrepublik Deutschland Auseinandersetzungen geführt werden, die innertürkischer Natur und Art sind. Denn das, was ich gerade erwähnt habe, auch der Übergang von einem eher demokratischen zu einem autoritären, wenn nicht gar totalitären Führungssystem und Führungsanspruch, ist eine innertürkische Problematik, keine, die ihre Ursachen, ihre Wurzeln hier bei uns in Deutschland hat.
    Klein: Herr Bosbach, so sehr man das kritisieren mag und so sehr man auch kritische Worte für Herrn Erdogan finden mag, wenn es nun aber diese große Anzahl von türkischen Mitbürgern hier gibt, ist es dann nicht eine normale Folge, dass wir dann auch diese Konflikte, diese Auseinandersetzungen hier in Deutschland auf unseren Straßen, wie Sie sagen, haben und das möglicherweise auch hinnehmen müssen?
    Bosbach: Ja, das fürchte ich ja, dass es eine "normale" Folge werden wird. Zu dieser "normalen" Folge kommen aber auch dann die Konflikte, die wir ja nicht nur zum Teil mit gewalttätiger Natur in der Türkei selbst erleben. Das findet dann auch bei uns hier in Deutschland statt. Wir alle können ja nur hoffen, dass die Konflikte, die Auseinandersetzungen, die Demonstrationen und Gegendemonstrationen friedlich verlaufen und nicht gewalttätig, dass die Konflikte am Ende nicht noch auf dem Rücken unserer Polizeieinsatzkräfte ausgetragen werden.
    Wolfgang Bosbach,

    geboren 1952 in Bergisch-Gladbach, Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker studierte Rechtswissenschaften an der Universität Köln und schloss dort 1992 mit dem zweiten Staatsexamen ab. Er ist seitdem auch als Rechtsanwalt tätig. Wolfgang Bosbach ist seit 1972 Mitglied der CDU, seit 1996 Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Dort war er stellvertretender Vorsitzender der Fraktion, seit 2009 ist er Vorsitzender des Innenausschusses.
    "Die Türkei entfernt sich mit Riesenschritten von europäischen Werten"
    Klein: Wenn man es nicht verhindern kann, wenn dies alles nach Recht und Gesetz abläuft, muss man es dann vielleicht einfach ertragen und nicht Erdogan und seinen Anhängern auch in der Türkei, ich sage mal, Munition im übertragenen Sinne liefern? Denn schon jetzt wird die kritische Reaktion in Deutschland ja wiederum in der Türkei sehr, sehr kritisch interpretiert.
    Bosbach: Ertragen ist wahrscheinlich der richtige Ausdruck. Ertragen! Aber das bedeutet doch im Umkehrschluss nicht, dass man es auch noch begrüßen muss, dass man es auch noch für richtig halten muss. Herr Erdogan ist – übrigens nicht erst seit dem Grubenunglück von Soma mit über 300 Toten – einer erheblichen Kritik ausgesetzt, in der Türkei, aber auch bei den Türkinnen und Türken hier bei uns, bei unseren türkischen Mitbürgern, und dazu kommen ja noch all die problematischen Entwicklungen, die ich eingangs erwähnt habe. Die Türkei entfernt sich mit Riesenschritten von europäischen Werten und es wäre schade, wenn diese Konflikte dann zu uns herüberschwappen würden und hier ausgetragen werden würden.
    Klein: Herr Bosbach, wir haben gestern Früh im Deutschlandfunk ein Interview gehabt mit dem Grünen-Chef Cem Özdemir, der seine Haltung erläutert hat, und wir hören mal kurz rein:
    O-Ton Cem Özdemir: "Sie selber haben, indem sie sich geweigert haben, das Staatsbürgerrecht über viele Jahre zu ändern, dazu beigetragen, dass Türken nicht Deutsche geworden sind, dass sie nicht zu unserem Land gehören sollten, und jetzt verhalten sie sich eben so, wie sie sich verhalten sollten laut Wunsch der CDU/CSU, nämlich als Ausländer. Sie richten ihre Antennen nach Ankara, sie gehen davon aus, dass Herr Erdogan ihr Ministerpräsident ist und Frau Merkel nicht ihre Kanzlerin ist."
    Klein: Cem Özdemir gestern bei uns im Deutschlandfunk. – Die türkischen Mitbürger verhalten sich so, wie die Union das gewollt habe, nämlich als Ausländer und nicht als deutsche Mitbürger. Sie orientieren sich nach Ankara und nicht nach Berlin. Was sagen Sie dazu?
    Bosbach: Es ist genau umgekehrt. Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht ist ein Recht, was damals von Rot-Grün geschaffen wurde, unter tatkräftiger Mitwirkung der FDP und von Herrn Özdemir und seiner Partei. Zweitens: Wieso glaubt eigentlich Herr Özdemir, dass es die Konflikte nicht gäbe, wenn wir bei uns in Deutschland möglichst viele doppelte Staatsangehörigkeiten hätten? Wer sagt eigentlich, dass diejenigen, die sowohl einen türkischen Pass haben als auch einen deutschen Pass haben, dann nicht diese Konflikte hätten, die Herr Özdemir gerade vermeiden will? Offensichtlich ist doch Herr Erdogan – und dafür sprechen ja auch die Reden, die er in der Vergangenheit in Deutschland gehalten hat – der Auffassung, dass die Türken, ganz gleich, ob sie nur türkische Staatsangehörige sind oder Doppelstaatler, dass sie auch die deutsche Staatsangehörigkeit hätten, sich als Türken fühlen müssten und dass sie eher der türkischen Politik und der türkischen Regierung verpflichtet sein müssten als der deutschen. Ich freue mich ja über jeden, der die deutsche Staatsangehörigkeit annimmt, der sagt, das ist mein neues Heimatland, hier möchte ich auf Dauer mit meiner Familie leben. Dann aber bitte ohne Wenn und Aber und dann allerdings mit voller, auch mit ungeteilter Zuwendung und Loyalität zu unserem Land, und das genau möchte Herr Özdemir nicht.
    "Selbst der SPD-Oberbürgermeister von Köln hat doch erhebliche Bedenken"
    Klein: Herr Bosbach, schauen wir noch mal auf die Regularien. Sie haben gesagt, man könnte den türkischen Regierungschef gar nicht ausladen, selbst wenn man es wollte. Er ist von einer Organisation eingeladen worden, darf also kommen. Heißt das, dass jede Organisation in Deutschland hier jeden Regierungschef eines anderen Staates einladen kann, dem dann auch eine Bühne für Wahlkampfauftritte gegeben wird?
    Bosbach: Solange man sich an Recht und Gesetz hält, ja. Man kann natürlich die Veranstaltung absagen, aber nicht der Staat. Er ist ja kein Staatsgast. Nicht die Bundesrepublik Deutschland hat ihn eingeladen, sondern die Union Europäisch-Türkischer Demokraten mit ihrem Sitz in Köln. Deswegen findet auch wohl in Köln die Veranstaltung statt, zumal es sich um die größte Arena in Deutschland handelt. Aber solange nicht gegen das Gesetz verstoßen wird, solange nicht die zuständigen Behörden konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass von der Veranstaltung selber erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, solange gibt es keine rechtliche Handhabe. Aber selbst der SPD-Oberbürgermeister von Köln hat doch erhebliche Bedenken gegen diese Veranstaltung, und nicht, weil er irgendwelche Ressentiments gegen unsere türkischen Mitbürger hätte.
    Klein: Jürgen Roters hat gestern auch noch mal gesagt, er sieht das sehr, sehr kritisch, diesen Auftritt. – Die Bundesregierung mahnt zur Zurückhaltung. Was heißt dann Zurückhaltung? Wann ist das gegeben? Haben Sie schon Signale in dieser Richtung bekommen aus der Türkei?
    Bosbach: Herr Erdogan wird das sagen, was er für richtig hält. So war es in der Vergangenheit und so wird es am kommenden Samstag in Köln auch sein. Wir erinnern uns noch an seine Rede 2008, als er ja unter anderem gesagt hat, Assimilation, die besondere Form der Integration, sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist das Gegenteil vom Werben um Integration in die Lebensverhältnisse bei uns in Deutschland. Bei der Eröffnung der türkischen Botschaft hat er erfreulicherweise gesagt, sie mögen sich doch, seine Landsleute, darum bemühen, hier in Deutschland sich nicht nur gut zu integrieren, sondern auch die deutsche Sprache zu lernen. Wenn er ein solches Signal aussenden würde, wäre es positiv.
    Klein: Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender vom Innenausschuss des Deutschen Bundestages, zum bevorstehenden Auftritt des türkischen Regierungschefs Erdogan hier in Köln. Haben Sie vielen Dank, Herr Bosbach, für dieses Gespräch.
    Bosbach: Ich danke Ihnen, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.