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Erdogan greift durch
Junge türkische Kulturmacher unter Druck

Der Putschversuch in der Türkei lässt auch die dortige Kulturszene nicht unberührt. Nach dem harten Eingreifen der AKP-Regierung gegen die Gülen-Bewegung befürchten viele Kulturschaffende, noch mehr ins Visier des Staates zu geraten.

Von Luise Sammann |
    Vom Wind verwickelte Türkeiflagge im Künstlerviertel Beyoglu
    Die kulturelle Spaltung der Türkei ist in den letzten Jahren zunehmend stärker geworden (dpa / Matthias Tödt)
    In Istanbuls Straßen herrscht Ausnahmezustand. Alles wie immer also: Eine gefühlt endlose Blechlawine quält sich hupend durch die Sommerhitze, Sesamkringel- und Wasserverkäufer bieten dazwischen schreiend ihre Ware an, und die Tatsache, dass öffentliche Verkehrsmittel seit dem Putschversuch kostenlos sind, sorgt für noch mehr Gedränge in Bussen und Bahnen als ohnehin schon.
    Ob sie ansonsten etwas vom Ausnahmezustand merke? Wachsenden Druck auf Leute wie sie zum Beispiel? Tuluhan Tekelioglu ist Dokumentarfilmerin und bekennende Regierungskritikerin. Mit ihren Filmen zum wachsenden Druck auf Presse und Kultur in der Türkei hat sie in den vergangenen Jahren selbst den Ärger von Erdogan persönlich auf sich gezogen. Scheinbar entspannt pellt sie ihr Frühstücksei.
    "Eigentlich ist es doch nichts Neues, dass diese Regierung Druck auf Leute wie uns ausübt. Besonders seit den Gezi-Protesten vor drei Jahren spüren wir das ständig. Die Unterstützung für private Theater wurde gestrichen, Leute wurden angegriffen oder entlassen, wenn sie kritisch waren."
    Sorge vor "Hexenjagd"
    Tekelioglu selbst verlor damals ihren Job bei der regierungsnahen Zeitung Sabah weil sie die Proteste um den Gezi-Park per Twitter unterstützt hatte. Die Frage, wann es einen selbst treffen könnte, ist für sie also alles andere als neu - wohl aber die Zerrissenheit, mit der viele Regierungskritiker seit dem Putschversuch kämpfen.
    "Als laizistisch denkende Person bin ich natürlich dagegen, wenn sich in unserem Staatswesen irgendeine religiöse Bewegung ausbreitet und plant, das ganze Land zu beherrschen. In diesem Sinne bin ich froh, dass diese Gülen-Leute endlich entfernt werden. Aber natürlich ist da gleichzeitig die Sorge, dass sich das Ganze zu einer Hexenjagd gegen alle Kritiker ausweiten könnte."
    In den mal hippen mal heruntergekommenen Gassen von Beyoglu - Istanbuls Ausgeh- und Shoppingviertel in der Nähe vom Taksim-Platz - leben und arbeiten viele Kreative wie Tuluhan. In kleinen Hinterhofredaktionen entstehen hier die traditionsreichen Istanbuler Satiremagazine, auf Bühnen und Bürgersteigen spielen Straßenmusiker genauso wie Popstars. Früher war die Lage hier herrlich einfach: Erdogan und die Regierungspartei AKP waren böse. Und jeder, der gegen sie kämpfte, war gut. Diese Logik führte dazu, dass im Gezi-Park selbst verfeindete Gruppen wie Kurden und Kemalisten gemeinsam demonstrierten. Doch seit dem Putschversuch steht das alte System Kopf.
    Angst vor eigenen Landsleuten
    "Ob es uns gefällt oder nicht, dieses Land hat eine Regierung. Und wenn die Mehrheit der Leute sie wählt, dann darf weder die Gülen-Bewegung noch das Militär sie stürzen", meint Ege, Jazz-Musiker und - wie er selbst sagt - hauptberuflicher AKP-Hasser.
    "Solange sie die aktuelle Situation nicht ausnutzt, stehe ich also in diesem Fall hinter der Regierung."
    Ege wischt sich mit der Hand die langen Locken aus dem Gesicht. Auch er ist im Zwiespalt. "Das nenne ich Ausnahmezustand", fügt er hinzu. "Wenn Leute wie ich anfangen, Erdogan zu verteidigen." Wenn sich in diesen Tagen allabendlich Tausende AKP-Anhänger am Taksim-Platz zu sogenannten Demokratiewachen versammeln und im Chor Allahu-Akbar schreien, verrammelt Ege die Tür seiner kleinen Jazz-Bar und dreht die Musik auf. Denn immer öfter sind es gar nicht unbedingt die Maßnahmen der Regierung, die ihm Angst machten, sondern viel mehr seine eigenen Landsleute.
    "Es ist, als ob sie da jetzt Rache für die Gezi-Proteste vor drei Jahren nehmen wollten, bei denen wir auf den Straßen waren und nicht sie. Es ist dieses ständige Wir und Die, Ihr gegen Uns, was mich beängstigt."
    "Kunst braucht ein gewisses Maß an Freiheit"
    Die kulturelle Spaltung der Türkei in AKP-Fans und AKP-Gegner, in Bier- und Ayrantrinker, in Marx- und Koranleser hatte sich seit Jahren hochgeschraubt. In diesen Tagen ist sie deutlich wie nie. Zu gewalttätigen Übergriffen zwischen beiden Gruppen kam es bisher zwar kaum, aber allein das allgegenwärtige Misstrauen sorgt für eine seltsame Ruhe im sonst so ruhelosen Beyoglu. Von der Furchtlosigkeit und auch der Kreativität aus Gezi-Tagen ist nichts mehr zu spüren. Keine Graffitis à la "Tränengas ist gut für die Haut", keine ausgefallenen Proteste wie damals, als der Choreograph Erdem Gunduz mit seinem stummen Protest als sogenannter "Stehender Mann" zur Kultfigur wurde. Kein Wunder, meint Graphikdesignerin Duygu, die in einer Seitenstraße in einem Ladenatelier sitzt und nervös Kette raucht.
    "Kunst braucht ein gewisses Maß an Freiheit. Aber im Moment weiß keiner, was mit ihm passiert, wenn er sich hervortraut. Nehmen Sie allein die sozialen Medien: Die waren wie eine kreative Quelle während Gezi. Die ganze sogenannte apolitische Jugend tummelte sich dort - die besten Witze, Collagen und Wortspiele sind entstanden. Heute haben viele, die ich kenne, ihre Accounts aufgegeben."
    Und dennoch: Noch habe die wahllose Hexenjagd nicht begonnen, glauben Kritiker wie die Dokumentarfilmerin Tekelioglu, die ihr Frühstück inzwischen beendet hat. Bei allem Hass, den sie in den letzten Monaten abwehren musste. Einen Zusammenhang zur Gülen-Bewegung -Totschlagargument in der heutigen Türkei - hat ihr bisher dennoch niemand vorgeworfen. Aber wer weiß schon, was morgen ist. Tekelioglu lacht bitter.
    "Ich fühle mich in diesen Tagen wie in der Serie Twilight-Zone. Das Szenario ist völlig offen, alles kann sich jeden Moment ändern und keiner von uns weiß, wie dieser Film am Ende ausgehen wird.