Natürlich wird auch im türkischen Fernsehen über den Staatsbesuch in Almanya berichtet. Cumhurbaskan Erdogan, Canselor Merkel – diese Worte sind immer wieder zu hören. Doch auch den Türken ist der deutsche Streit über Staatsbesuch mit Bankett und rotem Teppich nicht entgangen. Unter anderem deshalb ist von einem kritik ziyaret – einem kritischen Besuch die Rede.
Während Deutschland über den richtigen Umgang mit Erdogan streitet, meint Enes Bayrakli, Direktor des Thinktanks Seta mit Sitz in Ankara, mit dem einen Besuch sei die tiefe Verletzung in den deutsch-türkischen Beziehungen noch nicht zu heilen:
"Unser Staatspräsident und die Türkei wurden so sehr dämonisiert – das lässt sich nicht einfach zurückdrehen. Ich denke, das braucht noch etwas mehr Zeit."
Und so fragen türkische Medien: Ist mit dem Besuch ein neues Kapitel aufgeschlagen? Werden die Beziehungen jetzt wieder normal? Wer Bundeskanzlerin Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan hörte, konnte daran zweifeln.
"Es ist ja auch niemandem verborgen geblieben, dass es in unserem Verhältnis gerade in den letzten Jahren auch tief greifende Differenzen gab und es sie heute auch noch gibt."
Forderungen und Gegenforderungen
Während Merkel beklagte, dass nach wie vor fünf Bundesbürger aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen sitzen, verwies Erdogan auf den Rechtsstaat. Die Politik könne da wenig tun. Enes Bayrakli vom Thinktank Seta gibt Erdogan recht:
"Man kann beklagen, dass die Ermittlungen lange dauern, dass die Anklageschriften sehr spät vorgelegt werden - das sind Dinge, über die man sprechen kann. Aber zu sagen, diese Person ist deutscher Staatsbürger und muss deshalb automatisch frei gelassen werden, ist meiner Meinung nach falsch."
Dass Erdogan seinerseits Forderungen stellte, passt ins Bild. Anfang der Woche hatte die Türkei von der Bundesregierung verlangt, 69 Verdächtige an die Türkei auszuliefern. Darunter auch der wohl prominenteste Dissident, Can Dündar. Über den ehemaligen Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet" sagte Erdogan in der Pressekonferenz mit Merkel:
"Can Dündar, ein Agent, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat, wurde wie sie wissen, zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Er hat eine Lücke genutzt und ist nach Deutschland geflohen. Dabei müsste er eigentlich in Haft sein, weil er Staatsgeheimnisse verraten hat."
Roter Teppich und Staatsbankett
Enes Bayrakli vom Thinktank Seta stimmt Erdogan zu. Was Dündar getan habe, hätte er sich auch nirgends anders auf der Welt leisten können. Allerdings sagt Bayrakli auch, es gebe wichtigere Probleme zwischen der Türkei und Deutschland. Die Frage von rotem Teppich und Staatsbankett gehört wahrscheinlich nicht dazu, aber sie bewegt auch die Menschen in der Türkei:
"Der Empfang wurde für die Türkei gegeben, nicht für Recep Tayyip Erdogan. Er ist unser Staatspräsident und als solcher stellvertretend für und da hingegangen. Wir konnten ja nicht alle persönlich kommen."
"Aus Sicht von Erdogan könnte das ein Akt der Ehre sein, nicht aber für das türkische Volk. Erdogan repräsentiert ja nicht die ganze türkische Bevölkerung. Dass Deutschland ihn so empfängt, ist okay. Das ist das Problem des deutschen Staates. Aber es ist keine Ehre für das türkische Volk."
"Wenn Merkel hier herkommt, dann legen wird auch den roten Teppich aus, oder?
Das wird sich zeigen. Es könnte aber noch etwas dauern. Der letzte Besuch war vor sieben Jahren. Wenn es wieder so lange dauert, ist es fraglich, wer von den beiden dann noch im Amt ist.