Archiv


Erdogan, Öcalan und die Kurdenfrage

Auch wenn Abdullah Öcalan seit 1999 im Gefängnis sitzt, bleibt er der Anführer der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Inzwischen hungern mehr als 700 kurdische Gefangene in 66 türkischen Gefängnissen für Öcalan - und sie haben prominente Unterstützung.

Von Gunnar Köhne |
    Noch im Sommer dieses Jahres hatte Leyla Zana nach einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan diesem eine Lösung der Kurdenfrage zugetraut. Nun hat sich die prominente Politikerin der Kurdenpartei BDP ebenfalls dem landesweiten Hungerstreik kurdischer Häftlinge und Unterstützer angeschlossen.

    Seit gestern Mittag harrt Zana in ihrem Abgeordnetenbüro in Ankara aus und will solange keine Nahrung zu sich nehmen, bis die drei Hauptforderungen der Kurden erfüllt seien: Die Aufhebung der Isolationshaft für den PKK-Chef Abdullah Öcalan, kurdischsprachiger Regelunterricht an Schulen und Universitäten sowie das Recht, sich auf Kurdisch vor Gericht verteidigen zu dürfen. Außer Zana beteiligen sich nun insgesamt neun kurdische Parlamentsabgeordnete an dem Hungerstreik. Und in den Gefängnissen geht der Protest von rund 700 Häftlingen bereits in die neunte Woche. Der Gesundheitszustand etlicher Gefangener soll kritisch sein. Doch Ministerpräsident Erdogan zeigte sich in einer Rede vor seiner Fraktion unbeeindruckt:

    "Diese Terroristen sind es gewohnt, sich des Lebens anderer Menschen zu bedienen. Einige der Forderungen hatte unsere Regierung schon weit vor Beginn des Hungerstreiks auf die Tagesordnung gesetzt und die nötigen Schritte eingeleitet. Aber diese Kreise setzen auf solche Aktionen, um in der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen zu lassen, die Regierung mache Zugeständnisse."

    Kompromissbereit zeigte sich die Regierung bislang allein bei der Frage, ob sich Kurden vor Gericht künftig in ihrer Muttersprache verteidigen können. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird derzeit im Parlament diskutiert.

    Kurdischen Nationalisten reicht dieser Schritt allerdings nicht. Ihnen geht es insbesondere um das Schicksal Abdullah Öcalans. Seit 13 Jahren sitzt der Chef der militanten PKK auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer ein und konnte bislang auch von dort aus über seine Anwälte die Aktionen der PKK steuern. Dies haben die Behörden unterbunden, auch seine Familienangehörigen darf Öcalan derzeit nicht sehen. Dabei hatte die Regierung selbst noch bis vor einem Jahr geheime Gespräche mit Öcalan über eine Lösung der Kurdenfrage geführt. Der Istanbuler BDP-Politiker Ali Riza Bilgili fordert auch im Namen der Hungerstreikenden, dass die Regierung diese direkten Gespräche mit Öcalan wieder aufnimmt:

    "Öcalan hat sich zu Verhandlungen über die Kurdenfrage bereit erklärt, wenn diese auf gleichberechtigter Grundlage geführt werden. Darum geht es. Ob er künftig wieder seine Familie oder Anwälte sehen darf, spielt auch für ihn keine so große Rolle."

    Doch die Fronten scheinen verhärtet. Im Kampf gegen die PKK setzt Ankara wieder massiv auf eine militärische Lösung. Seit Tagen führt die türkische Armee in den Hochburgen der PKK im Südosten des Landes groß angelegte Operationen durch. Spezialeinheiten verfolgen die Guerilla-Kämpfer bis in den Irak hinein. Und Ministerpräsident Erdogan drohte militanten Kurden mit der Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe. In manchen Kulturkreisen sei die Todesstrafe für Terrorismus angemessen, sagte er bei einem Besuch in Südostasien. Die liberale Öffentlichkeit in der Türkei ist entsetzt, die EU machte deutlich, dass ein solcher Schritt das Ende der Beitrittsverhandlungen bedeuten würde. Beifall gab es nur vonseiten der rechtsnationalistischen Oppositionspartei MHP und deren Vorsitzenden Devlet Bahceli:

    "Wenn Ministerpräsident Erdogan die Diskussion schon einmal so weit vorangetrieben hat, dann soll seine Partei den nötigen Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Todesstrafe unverzüglich ins Parlament einbringen! Die MHP ist bereit, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu unterstützen."

    Ob die Regierung die Todesstrafe tatsächlich wieder einführen will, wird dennoch überwiegend bezweifelt. Der Istanbuler Politikwissenschaftler Cengiz Aktar meint, Erdogan wolle mit solchen nationalistischen Tönen davon ablenken, dass seine Kurdenpolitik gescheitert sei.

    "Das ist ein harter, zäher Prozess! Aber die Regierung dachte, so eine jahrhundertealte Frage könne man im Vorbeigehen lösen. Die Auseinandersetzung mit den Kurden entwickelt sich immer schneller in ein auswegloses Stadium."

    Der Vorsitzende der Kurdenpartei BDP, Selahattin Demirtas, forderte gestern Staatspräsident Abdullah Gül auf, in dem Hungerstreik zu vermitteln. Gül hat sich in letzter Zeit wiederholt von der Politik Erdogans distanziert.

    So bekräftigte er in mehreren Interviews, dass sein Land das Ziel einer EU-Mitgliedschaft nicht aufgeben solle, und er gab zu, dass es in der Türkei zu viele inhaftierte Schriftsteller und Journalisten gebe.