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Erdoğan setzt auf Harmonie
Die AKP will einen Neustart

Präsident Recep Tayyip Erdoğan will unbedingt zum neuen alten Parteivorsitzenden der AKP gekürt werden. Geplant ist ein politisches Großevent. Manche glauben, es könnte der Anfang eines demokratischen Neuanfangs in der Türkei werden.

Von Luise Sammann |
    Der türkische Präsident Erdogan mit vorgestreckten und geöffneteten Händen, während er eine Rede in der Zentrale der AKP in Ankara hält, am 2. Mai 2017
    Den sogenannten Fahrplan für den Neuanfang der Partei will Präsident Erdoğan beim Parteikongress in Ankara am Sonntag vorstellen. Dort werden bis zu 150.000 AKP-Anhänger erwartet. (AFP/Adem Altan)
    Die Hymne, die die Rückkehr von Recep Tayyip Erdoğan an die Spitze der AK-Partei begleiten soll, appelliert an das Zusammenhörigkeitsgefühl der Türken:
    "Den gleichen Weg sind wir gekommen, das gleiche Wasser haben wir getrunken. Die gleichen Lieder, die gleichen Tänze - die gleichen Herzen, die gleichen Gebete. Auf geht’s, noch einmal: Alle zusammen!"
    Nicht zum ersten Mal dient der musikalische Aufruf zur Harmonie der AKP als Hymne: 49,9 Prozent der Stimmen erreichte Erdoğans Partei mit ihrem Aufruf zur Harmonie bei den Parlamentswahlen 2011. Das beste Ergebnis der Geschichte. Sechs Jahre und unzählige politische Grabenkämpfe später scheint man sich nun an das Erfolgsrezept von damals zu erinnern. Nicht nur musikalisch. "Die Zeit der Polarisierung ist vorbei", schreibt der AKP-nahe Journalist Abdulkadir Selvi in der Zeitung Hürriyet. Von Neuanfang, von Normalisierung und gar Demokratisierung ist in AKP-Kreisen die Rede.
    "Ich denke, die Regierungspartei muss etwas verändern. Sie kann unmöglich weitermachen wie bisher"
    glaubt auch Politikwissenschaftler Yunus Emre aus Istanbul. In Wahlkampfzeiten hat ihr die ständige Polarisierung genutzt. Denn die tiefe Spaltung hat den einen Teil der Gesellschaft noch stärker an sie gebunden. Aber nun stehen erstmal keine neuen Wahlen an, und so werden sie den Ton etwas herunterfahren.
    Erdogan sucht den Ausgleich
    Tatsächlich klingt gerade Präsident Erdoğan seit dem gewonnenen Referendum vor gut einem Monat ungewohnt versöhnlich. Nicht nur, dass die Nazi-Vergleiche an die Adresse der deutschen Regierung praktisch über Nacht aufgehört haben und die EU plötzlich wieder als geschätzter Partner gilt, mit dem man "eine neue Seite aufschlagen" wolle. Auch die polternden Reden, in denen Kritiker im eigenen Land zuletzt fast täglich als Terroristen oder Vaterlandsverräter verteufelt wurden, bleiben dieser Tage aus.
    "Wir werden uns jetzt vor allem denen besser erklären, die uns nicht richtig kennen",
    so Erdoğan stattdessen mit Blick auf all jene, die beim Referendum nicht für ihn gestimmt haben. "Denn auch diese Leute gehören zu uns," so der Präsident. Wir dürfen keinen Teil der Gesellschaft vernachlässigen. Vor allem an die Jugend und die Frauen werden wir uns wenden und uns als Partei ständig erneuern.
    Den sogenannten "Fahrplan" dafür will der Präsident beim Parteikongress am Sonntag vorstellen, wenn bis zu 150.000 Erdogan-Anhänger zur Krönung des neuen alten AKP-Chefs in Ankara erwartet werden. Ein "Manifest" versprechen parteinahe Beobachter wie Journalist Abdulkadir Selvi. Die Beziehungen zum Westen, zur Opposition, selbst zu den Kurden sollen ganz neu angegangen werden, wenn Erdogan erstmal wieder an die Spitze seiner Partei zurückgekehrt ist.
    Politikwissenschaftler Yunus Emre aus Istanbul gibt sich skeptisch.
    "Was sollte daran ein Neustart sein, wenn der Mann, der die Partei gegründet hat und jahrelang anführte - praktisch sogar während er Präsident war - jetzt auch offiziell an ihre Spitze zurückkehrt? Für mich ist das kein Neustart."
    Parteibasis will keine Konflikte mehr
    Und doch glaubt auch der Politikwissenschaftler, dass der Türkei ruhigere Zeiten bevorstehen könnten. Denn das Heraufbeschwören eines Neuanfangs in der Regierungspartei hat seinen Grund: Nicht nur das relativ schwache Referendumsergebnis, sondern auch die Atmosphäre bei Erdoğan-Auftritten und Partei-Meetings deuten seit längerem schon darauf hin, dass die Euphorie an der Basis bei vielen Anhängern nachlässt. Vor allem der sogenannte "Motor" der Partei, kleine und mittelständische Geschäftsleute also, sind unzufrieden, so Politikwissenschaftler Emre.
    Diese Leute, die so wichtig für die Partei sind, wollen die ständigen Konflikte mit dem Westen und die tiefe Spaltung der Gesellschaft nicht mehr. Als Wirtschaftsmenschen erwarten sie vor allem ein ruhiges, vorhersagbares Klima im Land.
    Ob der außerordentliche Parteikongress der AKP dafür tatsächlich den Boden bereitet, ja vielleicht sogar ein Ende des seit 10 Monaten anhaltenden Ausnahmezustandes einläutet, wie manche erwarten, wird sich am Sonntag zeigen. Gut zwei Jahre hätte die strapazierte türkische Gesellschaft dann Zeit für eine Verschnaufpause. Dann beginnt der nächste Wahlkampf.