Wie soll Deutschland mit Recep Tayyip Erdoğan umgehen? Diese Frage wird angesichts der am Freitag anstehenden Besuchs des türkischen Staatspräsidenten diskutiert. Einerseits pflegt Berlin nicht nur wegen der großen türkeistämmigen Community hierzulande enge Kontakte mit Ankara. Anderseits steht Erdoğan wegen seiner autoritären Regierung und jüngsten Äußerungen zu Israel in der Kritik. Genug Gesprächsstoff für das geplante Abendessen mit Kanzler Olaf Scholz.
Warum kommt Erdoğan nach Deutschland?
Der Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan erfolgt auf eine Einladung des deutschen Bundeskanzlers. Diese hatte Olaf Scholz nach der Wiederwahl Erdoğans im Mai ausgesprochen. Es ist der erste offizielle Deutschlandbesuch des türkischen Staatschefs seit fünf Jahren.
Geplant sei ein gemeinsames Abendessen mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundeskanzleramt. Zuvor soll der Staatsgast von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßt werden.
Ein Gesprächsthema wird laut Scholz der Krieg im Nahen Osten sein. Darüber hinaus wolle man sich über das EU-Türkei-Abkommen zur Unterbringung von Geflüchteten und über den NATO-Beitritt Schwedens austauschen. Weitere Details sind noch nicht bekannt. Ob es eine gemeinsame Pressekonferenz geben wird, ist ebenfalls offen.
Warum steht der Besuch in der Kritik?
Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober auf Israel bezeichnete Recep Tayyip Erdoğan die Hamas als Befreiungsorganisation. Für ihn ist die Hamas eine politische Partei und somit eine legitime Vertretung der Palästinenser.
Die israelischen Reaktionen auf den Terrorangriff, die Bombardierung militärischer Stützpunkte im Gazastreifen, bewertete Erdoğan als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu will er kein Wort mehr sprechen.
Am Sonntag forderte Erdoğan zudem einen Waffenstillstand. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich gegen eine Waffenruhe ausgesprochen. Sie würde vor allem der Hamas dienen, sich zu erholen und mit neuen Raketen auszurüsten.
Dass Erdoğans Staatsbesuch vor dem Hintergrund seiner israelfeindlichen Äußerungen nicht abgesagt werde, sei falsch, sagt die parteilose Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen. Die Bundesregierung dürfe "Erdoğan nicht den roten Teppich ausrollen, während der türkische Staatschef die Terrororganisation Hamas schönredet und Israel das Existenzrecht abspricht".
Auch der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, kritisiert eine fehlende Absage. Der CDU-Politiker wirft der Bundesregierung einen „zutiefst bedenklichen Zweckpragmatismus“ vor.
Erdoğan schaffe die Demokratie in der Türkei ab und destabilisiere den Nahen Osten. "Er greift völkerrechtswidrig immer wieder die Kurden in Syrien und im Irak an. Erdogan schafft immer wieder neue Fluchtursachen“, so Toprak.
Warum hält Olaf Scholz an einem Treffen fest?
Deutschland pflegt enge wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei und ist in der Flüchtlingspolitik von der Türkei abhängig. Das Land nimmt Geflüchtete auf und verhindert so, dass sie nach Europa weiterziehen.
Laut der UNO-Flüchtlingshilfe ist die Türkei das Land, das weltweit die meisten Geflüchteten aufnimmt: Dort leben knapp vier Millionen Geflüchtete, darunter überwiegend Menschen aus Syrien.
Im aktuellen Krieg im Nahen Osten nehmen Berlin und Ankara gegensätzliche Positionen ein. Doch sei es richtig, "sich auch mit denjenigen an einen Tisch zu setzen, deren Auffassung man nicht teilt", sagte Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. „Wenn wir uns mit solchen autoritären Herrschern treffen, machen wir uns weder mit deren Regierungsform noch mit deren Aussagen gemein", unterstreicht der SPD-Politiker. "Es ist für uns eine Chance, ihm deutlich zu widersprechen."
CDU-Chef Friedrich Merz hält Erdoğans Haltung gegenüber den Terroranschlägen in Israel für "inakzeptabel". Doch sei es richtig, dass der Besuch stattfinde. Scholz solle Erdoğan daran erinnern, dass sich die Türkei als NATO-Mitglied dazu bekennen müsse, Frieden und Freiheit zu verteidigen.
rey, nm