Annen wies Forderungen zurück, wonach sich die Bundesregierung deutlicher gegen den türkischen Versuch wehren müsse, die Erdogan-Satire zu stoppen. Das Auswärtige Amt habe über den Kurznachrichtendienst Twitter die eindeutige Haltung der Regierung klargestellt, dass die Medien in Deutschland unabhängig seien, meinte Annen. Auch alle im Bundestag vertretenen Parteien hätten sich hierzu deutlich geäußert. Es gebe also eine klare Haltung der deutschen Politik.
Mit seinem Vorgehen gegen die Erdogan-Satire des NDR hat die türkische Regierung nach Einschätzung von Niels Annen "ein klassisches Eigentor geschossen", sagte der SPD-Obmann im Auswärtigen Auschuss des Parlaments. Denn nun finde der Film erst recht Beachtung, und dem Ruf der Türkei habe es geschadet. Dass die türkische Regierung wegen der Satire den deutschen Botschafter einbestellt habe, sei eine außergewöhnliche und völlig unangemessene Entscheidung gewesen, meinte Annen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf den Wunsch der Türkei nach einer EU-Mitgliedschaft. Man müsse im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit Ankara noch einmal über die Themen Meinungs- und Pressefreiheit sprechen.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Und mitgehört hat Niels Annen, Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Guten Morgen!
Niels Annen: Schönen guten Morgen!
Schulz: Dass der Botschafter einbestellt wurde, liegt ja nun schon eine gute Woche zurück. Warum hat die deutsche Öffentlichkeit davon bis zu dem Bericht von "Spiegel online" nichts erfahren?
Annen: Es gab durchaus vor dem Bericht von "Spiegel online" auch schon Informationen darüber, aber ich glaube, es ist in der Tat eine außerordentlich ungewöhnliche Entscheidung der türkischen Seite. Ich halte sie auch für völlig unangemessen, und Sie haben ja in Ihrem Bericht selbst darauf hingewiesen: Das Ergebnis ist ja genau das Gegenteil von dem, was sich Präsident Erdogan und die türkische Regierung erhofft haben. Es ist eigentlich ein klassisches Eigentor, und anstatt sozusagen das Ansehen und die Ehre des Präsidenten zu schützen, ist das Gegenteil passiert. Über 2,6 Millionen Menschen haben sich dieses Video angeschaut, und ich glaube, dass es dem Ruf der Türkei nicht gerade geholfen hat.
"Botschafter Erdmann setzt sich für seine Sache ein"
Schulz: Bevor wir auf den Teil kommen, würde ich gern noch mal fragen, weil Sie das eingangs jetzt so ein bisschen offengelassen haben. Sie sagen, es habe darüber durchaus Informationen gegeben. So, wie ich die Zeitungsartikel von heute Morgen lese, haben sich alle Kollegen, die das Thema recherchieren wollten, mehr oder weniger die Zähne ausgebissen. Von welchen Informationen sprechen Sie da jetzt?
Annen: Nein, es gab öffentliche Berichte darüber. Nur manchmal ist es in der Medienlandschaft ja so, dass es dann sozusagen erst von einem größeren Teil der Öffentlichkeit aufgegriffen wird, wenn es ein Medium wie "Spiegel online" berichtet. Aber auch der deutsche Botschafter hat ja gestern und in der letzten Woche Gespräche geführt mit dem türkischen Außenministerium und hat dabei natürlich darauf hingewiesen, dass in Deutschland die Justiz unabhängig ist und dass die Presse unabhängig ist, und dass es ein großes Missverständnis gibt aufseiten der türkischen Seite, überhaupt auf die Idee zu kommen, dass die Bundesregierung Einfluss nehmen könnte und auch möglicherweise Einfluss nehmen wolle auf die freie Presse, dass das völlig inakzeptabel ist. Und Botschafter Erdmann, ich kenne ihn seit vielen Jahren, ist jemand, der wirklich kein schüchterner Mensch ist, sondern der sich für seine Sache einsetzt, der übrigens auch bei dem aus meiner Sicht skandalösen Prozess gegen die beiden Redakteure der Zeitung "Cum Hürriyet" als einziger Botschafter anwesend gewesen ist. Das zeigt auch, dass die Bundesregierung an dieser Stelle sich nicht zurückhält, sondern für Medien- und Meinungsfreiheit einsteht, in der Türkei und auch in Deutschland. Und er hat auch gestern über seine Gespräche auch in der Öffentlichkeit berichtet, beispielsweise über den Twitter-Feed des Auswärtigen Amtes.
Schulz: Ja, Herr Annen, aber wenn die Bundesregierung, wenn das so ist, wie Sie sagen, dass die sich nicht zurückhält, warum sagt sie dann nichts?
"Die deutsche Öffentlichkeit lässt sich ein solches Verhalten nicht gefallen"
Annen: Sie hat sich ja gestern geäußert. Wie gesagt, der Twitter-Feed des Auswärtigen Amtes hat ja den Botschafter zitiert, hat darüber berichtet, hat klargestellt, dass es eine eindeutige Haltung der Bundesregierung gibt. Und auch alle, wenn ich das richtig in Erinnerung habe von der gestrigen Debatte, alle Parteien der Kanzlerin, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, auch die beiden Koalitionsparteien haben sich eindeutig geäußert. Das heißt, es gibt eine klare Haltung der deutschen Politik. Es ist, glaube ich, auch wichtig, dass man den türkischen Freunden in einer solchen ja doch durchaus zugespitzten Situation deutlich macht, dass die gesamte politische Szene in Deutschland, dass die deutsche Öffentlichkeit sich ein solches Verhalten nicht gefallen lässt.
Schulz: Wenn man das so deutlich machen will, Herr Annen, ist es dann nicht auf ein Fall für den Außenminister oder für den Regierungssprecher oder für die Kanzlerin?
Annen: Gut, wissen Sie, ich bin Abgeordneter, und ich bin nicht Sprecher der Kanzlerin. Es gibt ja heute eine Regierungspressekonferenz, da wird es ganz sicherlich die Gelegenheit geben für die Bundesregierung, sich zu äußern. Aber ich finde wichtig, dass wir in dieser Situation deutlich machen, wo wir stehen, für welche Werte wir einstehen. Und die Türkei, das muss man ja in den Gesprächen auch sagen, und das wird Botschafter Erdmann in seinen Gesprächen auch angesprochen haben, ist ja ein Land, das perspektivisch Mitglied werden möchte der Europäischen Union. Und wir haben ja in den Gesprächen mit der türkischen Regierung über die schwierigen Fragen der Flüchtlingslage und der Migration ja auch über die Eröffnung neuer Kapitel miteinander diskutiert. Da ist ja auch Einigung hergestellt worden. Und deswegen muss man und kann man gerade in einer solchen Lage natürlich auch mit den türkischen Partnern noch einmal darüber reden, dass ein Land, das Mitglied der EU werden möchte, sich solche Fragen auch gefallen lassen muss. Das, was Präsident Erdogan als Einmischung in innere Angelegenheiten versteht, wird irgendwann auch für die Türkei zu einem Normalfall werden müssen, wenn sie denn Mitglied der Europäischen Union werden möchte. Sehen Sie, ich bin Sozialdemokrat. "extra 3" hat letzte Woche einen Film über meinen Parteivorsitzenden veröffentlicht. Ich weiß nicht, ob Sigmar Gabriel den lustig fand, jedenfalls hat er sich nicht darüber beschwert. Das ist bei uns politischer Alltag, und so soll es auch bleiben.
Schulz: Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen heute hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch!
Annen: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.