Dirk Müller: Niemand, keiner steht für den wirtschaftlichen Aufschwung so wie er und auch keiner so wie er bei der Frage nach Verfassungsreformen, nach der Demokratisierung dieses Gesetzeswerkes. Aber die politischen Gefangenen werden nicht weniger in den türkischen Gefängnissen. Die Türkei umgestalten in eine islamisch-konservative Republik, das sehen die Demonstranten als das vorrangige Ziel von Recep Tayyip Erdogan. Die Polizei hat in der Nacht erneut den Taksim-Platz geräumt.
Die Gewalt in der Türkei, darüber sprechen wir jetzt mit Nahost-Experte und Türkei-Kenner Michael Lüders. Guten Tag!
Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr Lüders, verliert Erdogan seine Legitimität?
Lüders: Nein, das tut er erst mal nicht. Er ist ja demokratisch legitimiert worden. Seine AK-Partei ist nach wie vor die stärkste politische Formation in der Türkei. Aber durch die Art und Weise, wie er hier agiert, hat er natürlich ein Legitimitätsproblem, das sich bei den nächsten Wahlen niederschlagen könnte, insoweit, als die AK-Partei möglicherweise einer krachenden Niederlage entgegensieht – unter der Voraussetzung, dass es die Opposition schafft, sich ihrerseits zu vereinen und ihrerseits ein Gegenprogramm zu Erdogan aufzubauen, der sich mehr und mehr als autokratischer Alleinherrscher, aber nicht als demokratisch legitimierter Premierminister versteht.
Müller: Und das hat sie angeblich oder bislang offenbar noch nicht geschafft, die Opposition?
Lüders: Nein, das hat sie bislang nicht geschafft. Bislang war die AK-Partei unangefochten die treibende Kraft in der türkischen Politik und viele Türken haben sie mit großer Begeisterung gewählt und unterstützt – ja auch zunächst einmal nicht zu Unrecht, denn der AK-Partei verdankt die Türkei einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg in den vergangenen zwölf Jahren. Die Türkei lag um das Jahr 2000 herum wirtschaftlich dort, wo sich Griechenland heute befindet, und es war die kluge Wirtschaftspolitik dieser Regierung unter Erdogan, die hier die Weichen richtig gestellt hat. Was aber Erdogan und mit ihm die weitesten, die größten Teile seiner eigenen AK-Partei unterschätzt haben, ist, dass durch diese wirtschaftliche Öffnung auch eine neue wirtschaftliche Dynamik entstanden ist. Es ist eine neue Mittelschicht entstanden vor allem in den Großstädten und hier insbesondere in Istanbul, und diese neue, überwiegend junge, urban geprägte Mittelschicht ist eher in Richtung Europa orientiert und nicht in Richtung auf die eher konservativ-religiöse Wählerschaft der AK-Partei.
Müller: Das heißt aber auf keinen Fall, dass diese Mittelschicht, diese Modernisierer die Mehrheit haben in der Türkei?
Die Gewalt in der Türkei, darüber sprechen wir jetzt mit Nahost-Experte und Türkei-Kenner Michael Lüders. Guten Tag!
Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr Lüders, verliert Erdogan seine Legitimität?
Lüders: Nein, das tut er erst mal nicht. Er ist ja demokratisch legitimiert worden. Seine AK-Partei ist nach wie vor die stärkste politische Formation in der Türkei. Aber durch die Art und Weise, wie er hier agiert, hat er natürlich ein Legitimitätsproblem, das sich bei den nächsten Wahlen niederschlagen könnte, insoweit, als die AK-Partei möglicherweise einer krachenden Niederlage entgegensieht – unter der Voraussetzung, dass es die Opposition schafft, sich ihrerseits zu vereinen und ihrerseits ein Gegenprogramm zu Erdogan aufzubauen, der sich mehr und mehr als autokratischer Alleinherrscher, aber nicht als demokratisch legitimierter Premierminister versteht.
Müller: Und das hat sie angeblich oder bislang offenbar noch nicht geschafft, die Opposition?
Lüders: Nein, das hat sie bislang nicht geschafft. Bislang war die AK-Partei unangefochten die treibende Kraft in der türkischen Politik und viele Türken haben sie mit großer Begeisterung gewählt und unterstützt – ja auch zunächst einmal nicht zu Unrecht, denn der AK-Partei verdankt die Türkei einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg in den vergangenen zwölf Jahren. Die Türkei lag um das Jahr 2000 herum wirtschaftlich dort, wo sich Griechenland heute befindet, und es war die kluge Wirtschaftspolitik dieser Regierung unter Erdogan, die hier die Weichen richtig gestellt hat. Was aber Erdogan und mit ihm die weitesten, die größten Teile seiner eigenen AK-Partei unterschätzt haben, ist, dass durch diese wirtschaftliche Öffnung auch eine neue wirtschaftliche Dynamik entstanden ist. Es ist eine neue Mittelschicht entstanden vor allem in den Großstädten und hier insbesondere in Istanbul, und diese neue, überwiegend junge, urban geprägte Mittelschicht ist eher in Richtung Europa orientiert und nicht in Richtung auf die eher konservativ-religiöse Wählerschaft der AK-Partei.
Müller: Das heißt aber auf keinen Fall, dass diese Mittelschicht, diese Modernisierer die Mehrheit haben in der Türkei?
"Die türkische Parteienlandschaft befindet sich in einem abzusehenden Umbruch"
Lüders: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl nicht. Die türkische Parteienlandschaft befindet sich in einem abzusehenden Umbruch. Die alten kemalistischen Parteien hatten ja im Grunde genommen völlig abgewirtschaftet, als dann 2000 der Siegeszug der AK-Partei begann. Dieses Versagen der kemalistischen Parteien, ihrerseits den gesellschaftlichen Herausforderungen nichts entgegengesetzt zu haben, hat die AK-Partei ihren Aufstieg verdankt und jetzt müsste es eigentlich neue Parteien geben, die wirklich, ich sage mal, in unserem, im westlichen Sinne sozialdemokratisch, liberal, konservativ modern aufgestellt wären, in denen die Religion weniger eine Rolle spielt, in denen es weniger um Ideologie oder um Machtansprüche einzelner geht, sondern um Pluralität. Und dieses Spektrum, das muss sich erst noch entwickeln, und hier ist sicherlich diese neue Mittelschicht, die wir jetzt am Taksim-Platz im Widerstand gesehen haben, gegen das Obrigkeitsdenken von Erdogan, sie ist jetzt gefordert, hier entsprechend in Vorleistung zu treten. Sonst läuft diese Protestbewegung in der Türkei Gefahr, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie die Protestbewegung in der arabischen Welt, die dann zwar eine Revolte erfolgreich durchgeführt hat, aber danach es nicht geschafft hat, die alten Kräfte wirklich politisch zu überwinden.
Müller: Schauen wir noch mal, Michael Lüders, auf die Dimension der Gewalt. Wir haben jetzt in den vergangenen Tagen auch einige Journalisten gehört, türkische Journalisten, die gerade mit dem Fingerzeig nach Deutschland gesagt haben, jetzt regt ihr euch auf über das Vorgehen dort, es gibt Gewalt, es gibt aber so etwas wie Gegengewalt, ihr habt auch Stuttgart 21. Ist das vergleichbar?
Lüders: Na ja, Vergleiche sind natürlich immer so eine Sache. Grundsätzlich muss man sagen, dass das deutsche politische System natürlich schon anders aufgestellt ist als in der Türkei – vergessen wir nicht, dass viele, die für Stuttgart 21 verantwortlich waren, heute in der Opposition sich befinden oder keine Rolle mehr spielen in der Politik.
Müller: Aber es geht vielleicht um das Vorgehen auch der Polizei. Da wurde auch Gewalt angewendet, es hat viele Verletzte gegeben. Da sind doch einige jetzt überrascht, zumindest aus türkischer Sicht, warum sich jetzt Deutschland, Europa, die EU so einmischt.
Lüders: Ich glaube, das ist ein sehr grundsätzliches Problem, das man auch mal klar benennen muss. Wir neigen in Deutschland, in den westeuropäischen Ländern sehr stark dazu, moralisierend mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen, anstatt sie in der Sache wirklich richtig zu kritisieren. Das betrifft Erdogan, das betrifft Putin in Russland. Man argumentiert häufig aus einer Perspektive einer erhöhten Moral. Das ändert aber nichts daran, dass natürlich das Vorgehen Erdogans indiskutabel ist, und ich glaube, dass es in Deutschland auch sicherlich Übergriffe gegeben hat von der Polizei. Es gab auch Leute, die verglichen haben die Art und Weise, wie die Polizei in Frankfurt gegen Blockupy vorgegangen ist. Und dennoch: Ich glaube, dass die Akzeptanz, die gesellschaftliche Akzeptanz und auch die politische, was Brutalität bei Polizeieinsätzen anbelangt, sehr viel geringer ist als in der Türkei. Es gibt dann im Zweifel bei uns Untersuchungskommissionen. Im besten aller Fälle rollen dann auch Köpfe, politisch gesehen. Aber das ist in der Türkei bislang jedenfalls nicht der Fall.
Müller: Gilt denn der Satz, "wenn ich ein Land als Partner brauche" – Sie haben Wladimir Putin, also Russland benannt, wir sind jetzt fokussiert auf die Türkei -, "wenn ich ein Land als Partner brauche", Beispiel Türkei, "dann darf dieses Land auch ziemlich viel machen, bevor ich Konsequenzen ziehe"?
Lüders: Es ist natürlich schwierig für Deutschland, für die Europäische Union, die Türkei nun uneingeschränkt in die Pflicht zu nehmen. Es gibt Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die seit Jahren stagnieren. Erdogan hat aus dieser Perspektive wenig Anlass, Rücksicht zu nehmen auf europäische Befindlichkeiten. Das rächt sich jetzt so ein bisschen und das ist auch der Grund, warum viele Protestierer am Taksim-Platz enttäuscht sind über Europa. Aber das ändert nichts daran, dass Veränderungen in der Türkei, insbesondere eine Begrenzung der Machtbefugnisse von Erdogan, eine innertürkische Angelegenheit ist. Hier müssen die Türken sich selber reformieren. Dieses Pascha-Denken, das Erdogan an den Tag legt, diese Überzeugung, ich bin eine Art Überherrscher und wer mich kritisiert, der begibt sich in den Bereich der Gotteslästerung, dieses Denken ist ja nicht nur bei der AK-Partei weit verbreitet, es war auch bei den Kemalisten sehr, sehr weit verbreitet. Es ist ein allgemeines Problem, dass in einer Gesellschaft, in der die bürgerlichen Mittelschichten noch nicht so stark sind wie bei uns in Westeuropa, ...
Müller: Also das ist keine religiöse Interpretation, sondern eine durchaus weltliche Ansicht, die er da von sich hat?
Lüders: Ja, in der Tat! Ich glaube, dass das Problem, das Erdogan hat, nicht ein Problem ist mit Blick auf Islam oder nicht Islam. Die Kemalisten werfen ihm vor, dass er das Land zu islamisieren versuche, aber bei aller berechtigten Kritik an ihm, die man in vielerlei Hinsicht haben muss, kann man ihm nicht vorwerfen, dass er in den letzten zehn Jahren versucht hätte, die Türkei in einen Gottesstaat zu verwandeln. Was er allerdings getan hat, ist, dass er seine Anhänger von der islamischen AK-Partei in alle Positionen gebracht hat, wo man sie überhaupt nur hinbringen konnte, im Beamtenapparat insbesondere, in der staatlichen Verwaltung. Das haben aber die kemalistischen Parteien vor ihm auch getan und dieses Klientel- und Vetternwirtschaft-Denken, das muss man in der Tat überwinden, ganz grundsätzlich in der Türkei und auch in den arabischen Ländern.
Müller: Zum Schluss möchte ich noch einmal die wichtige Partnersituation der Türkei ansprechen, wichtiger Bündnispartner, wichtiger NATO-Partner, Brückenpfeiler so ein bisschen da unten, auch im Nahen Osten, und immerhin ein demokratisch legitimiertes System. Können wir deshalb keine klare Sprache sprechen?
Lüders: Doch. Wir müssen eine klare Sprache sprechen. Ich finde es vollkommen richtig, dass man die demokratischen Defizite in der Türkei offen benennt. Aber man muss sich ehrlich machen: Die Politik der westlichen Staaten, der Europäer insbesondere, ist seit Jahrzehnten von Heuchelei geprägt. Man will die Türkei nicht wirklich in der Europäischen Union haben, nicht wegen der Demokratiedefizite, die es dort gibt, sondern vor allem, weil das Islamische uns Sorgen macht. Man ist mit der Türkei nie ehrlich gewesen und das spüren natürlich auch viele Türken und sind deswegen enttäuscht von Europa. Ich finde, wir Europäer sollten eine klare Sprache finden mit Blick auf Erdogan, die seine politischen Exzesse kritisiert, aber die Kirche im Dorf lässt und nicht den Islam insgesamt verteufelt, weil Erdogan eine unkluge und sehr kurzsichtige Politik betreibt.
Müller: Der Nahost-Experte und Türkei-Kenner Michael Lüders bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Müller: Schauen wir noch mal, Michael Lüders, auf die Dimension der Gewalt. Wir haben jetzt in den vergangenen Tagen auch einige Journalisten gehört, türkische Journalisten, die gerade mit dem Fingerzeig nach Deutschland gesagt haben, jetzt regt ihr euch auf über das Vorgehen dort, es gibt Gewalt, es gibt aber so etwas wie Gegengewalt, ihr habt auch Stuttgart 21. Ist das vergleichbar?
Lüders: Na ja, Vergleiche sind natürlich immer so eine Sache. Grundsätzlich muss man sagen, dass das deutsche politische System natürlich schon anders aufgestellt ist als in der Türkei – vergessen wir nicht, dass viele, die für Stuttgart 21 verantwortlich waren, heute in der Opposition sich befinden oder keine Rolle mehr spielen in der Politik.
Müller: Aber es geht vielleicht um das Vorgehen auch der Polizei. Da wurde auch Gewalt angewendet, es hat viele Verletzte gegeben. Da sind doch einige jetzt überrascht, zumindest aus türkischer Sicht, warum sich jetzt Deutschland, Europa, die EU so einmischt.
Lüders: Ich glaube, das ist ein sehr grundsätzliches Problem, das man auch mal klar benennen muss. Wir neigen in Deutschland, in den westeuropäischen Ländern sehr stark dazu, moralisierend mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen, anstatt sie in der Sache wirklich richtig zu kritisieren. Das betrifft Erdogan, das betrifft Putin in Russland. Man argumentiert häufig aus einer Perspektive einer erhöhten Moral. Das ändert aber nichts daran, dass natürlich das Vorgehen Erdogans indiskutabel ist, und ich glaube, dass es in Deutschland auch sicherlich Übergriffe gegeben hat von der Polizei. Es gab auch Leute, die verglichen haben die Art und Weise, wie die Polizei in Frankfurt gegen Blockupy vorgegangen ist. Und dennoch: Ich glaube, dass die Akzeptanz, die gesellschaftliche Akzeptanz und auch die politische, was Brutalität bei Polizeieinsätzen anbelangt, sehr viel geringer ist als in der Türkei. Es gibt dann im Zweifel bei uns Untersuchungskommissionen. Im besten aller Fälle rollen dann auch Köpfe, politisch gesehen. Aber das ist in der Türkei bislang jedenfalls nicht der Fall.
Müller: Gilt denn der Satz, "wenn ich ein Land als Partner brauche" – Sie haben Wladimir Putin, also Russland benannt, wir sind jetzt fokussiert auf die Türkei -, "wenn ich ein Land als Partner brauche", Beispiel Türkei, "dann darf dieses Land auch ziemlich viel machen, bevor ich Konsequenzen ziehe"?
Lüders: Es ist natürlich schwierig für Deutschland, für die Europäische Union, die Türkei nun uneingeschränkt in die Pflicht zu nehmen. Es gibt Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die seit Jahren stagnieren. Erdogan hat aus dieser Perspektive wenig Anlass, Rücksicht zu nehmen auf europäische Befindlichkeiten. Das rächt sich jetzt so ein bisschen und das ist auch der Grund, warum viele Protestierer am Taksim-Platz enttäuscht sind über Europa. Aber das ändert nichts daran, dass Veränderungen in der Türkei, insbesondere eine Begrenzung der Machtbefugnisse von Erdogan, eine innertürkische Angelegenheit ist. Hier müssen die Türken sich selber reformieren. Dieses Pascha-Denken, das Erdogan an den Tag legt, diese Überzeugung, ich bin eine Art Überherrscher und wer mich kritisiert, der begibt sich in den Bereich der Gotteslästerung, dieses Denken ist ja nicht nur bei der AK-Partei weit verbreitet, es war auch bei den Kemalisten sehr, sehr weit verbreitet. Es ist ein allgemeines Problem, dass in einer Gesellschaft, in der die bürgerlichen Mittelschichten noch nicht so stark sind wie bei uns in Westeuropa, ...
Müller: Also das ist keine religiöse Interpretation, sondern eine durchaus weltliche Ansicht, die er da von sich hat?
Lüders: Ja, in der Tat! Ich glaube, dass das Problem, das Erdogan hat, nicht ein Problem ist mit Blick auf Islam oder nicht Islam. Die Kemalisten werfen ihm vor, dass er das Land zu islamisieren versuche, aber bei aller berechtigten Kritik an ihm, die man in vielerlei Hinsicht haben muss, kann man ihm nicht vorwerfen, dass er in den letzten zehn Jahren versucht hätte, die Türkei in einen Gottesstaat zu verwandeln. Was er allerdings getan hat, ist, dass er seine Anhänger von der islamischen AK-Partei in alle Positionen gebracht hat, wo man sie überhaupt nur hinbringen konnte, im Beamtenapparat insbesondere, in der staatlichen Verwaltung. Das haben aber die kemalistischen Parteien vor ihm auch getan und dieses Klientel- und Vetternwirtschaft-Denken, das muss man in der Tat überwinden, ganz grundsätzlich in der Türkei und auch in den arabischen Ländern.
Müller: Zum Schluss möchte ich noch einmal die wichtige Partnersituation der Türkei ansprechen, wichtiger Bündnispartner, wichtiger NATO-Partner, Brückenpfeiler so ein bisschen da unten, auch im Nahen Osten, und immerhin ein demokratisch legitimiertes System. Können wir deshalb keine klare Sprache sprechen?
Lüders: Doch. Wir müssen eine klare Sprache sprechen. Ich finde es vollkommen richtig, dass man die demokratischen Defizite in der Türkei offen benennt. Aber man muss sich ehrlich machen: Die Politik der westlichen Staaten, der Europäer insbesondere, ist seit Jahrzehnten von Heuchelei geprägt. Man will die Türkei nicht wirklich in der Europäischen Union haben, nicht wegen der Demokratiedefizite, die es dort gibt, sondern vor allem, weil das Islamische uns Sorgen macht. Man ist mit der Türkei nie ehrlich gewesen und das spüren natürlich auch viele Türken und sind deswegen enttäuscht von Europa. Ich finde, wir Europäer sollten eine klare Sprache finden mit Blick auf Erdogan, die seine politischen Exzesse kritisiert, aber die Kirche im Dorf lässt und nicht den Islam insgesamt verteufelt, weil Erdogan eine unkluge und sehr kurzsichtige Politik betreibt.
Müller: Der Nahost-Experte und Türkei-Kenner Michael Lüders bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.