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Erdogans neue Regierung
"Es wird nicht mehr die alte Türkei sein"

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist erneut im Amt vereidigt worden. Nun laufe alles darauf hinaus, dass die Türkei zu einer islamischen Großmacht werde, sagte der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul, Hans-Georg Fleck, im Dlf.

Hans-Georg Fleck im Gespräch mit Philipp May |
    Ankara: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, bei seiner Vereidigung im Parlament
    Ankara: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, bei seiner Vereidigung im Parlament. (dpa/Picture Alliance/ Lefteris Pitarakis)
    Philipp May: Wir schauen noch einmal genauer auf das, was Erdogan in seinem Amtseid geschworen hat. Er wolle dem Rechtsstaat gegenüber loyal bleiben, die demokratische und säkuläre Republik schützen und sein Amt unparteiisch ausüben, und er werde nicht abweichen von dem Ideal, wonach Jedermann im Land grundlegende Freiheiten und Menschenrechte genieße. Darüber habe ich mit Hans-Georg Fleck gesprochen, Büroleiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul. Meine erste Frage an ihn: Kann man jetzt schon sagen, Erdogan hat bei seinem Amtseid gelogen?
    Hans-Georg Fleck: So würde ich es sicher nicht sagen. Man weiß ja nie. Politik ist ja eine bewegliche Sache und Politiker sind geschickte und sich entwickelnde Menschen im Regelfalle. Man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass das gelogen ist. Aber es ist natürlich, konfrontiert mit der Realität der Türkei, ein sehr, sehr hehrer Anspruch, und das Problem ist, dass man sagen kann, in der Verfassung, in der die Türkei sich im Moment befindet, gibt es eigentlich niemanden, der ihn wirklich an diesen hehren Äußerungen messen kann. Nur die ganz schwache Opposition, die Medien, die ja zum großen Teil auch gleichgeschaltet sind, werden das sicher nicht tun. Er kann sozusagen erklären, was er möchte; es wird kaum jemanden geben, der hinterher das einfordert, was er jetzt versprochen hat.
    May: Kann man sagen, die Türkei unter Erdogan ist kein klassischer Rechtsstaat mehr?
    Fleck: Ganz sicher. Das kann man, das muss man leider so sagen. Und insofern: Im Lichte dieser Aussage sind die Äußerungen des Präsidenten von heute natürlich mit einem gewissen Kopfschütteln zu hören. Er hat natürlich vor allen Dingen aber auch gesagt, dass alles besser wird mit dem heutigen Tage, und er hat gesagt, dass eine neue Ära beginnt. Das ist ganz wichtig. Die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan tritt jetzt in eine neue Ära ein. Es wird nicht mehr die alte Türkei sein. Insofern ist es ein absoluter Widerspruch zu sagen, er bekennt sich zu den Grundsätzen der bisherigen zum Beispiel säkularen Ordnung der Türkei, wenn er gleichzeitig immer wieder darauf Wert legt, dass eine neue Türkei ins Leben tritt, dass eine neue Ära der türkischen Republik begonnen habe.
    May: Das heißt, wie wird diese Ära aussehen, Ihrer Meinung nach?
    Fleck: Die Ära wird so aussehen, dass die Entwicklungstendenzen der Türkei in den letzten fünf, sechs Jahren, sehr starke Dominanz der politischen Entscheidungen in einer Hand, Ausschaltung aller oppositionellen Kräfte, Ausschaltung der Medien, Rückdämmung der Zivilgesellschaft, die man zum Teil mit Strafandrohungen verfolgt, jetzt wieder in den letzten Tagen Demonstranten von der Odtü, der großen Ankaraer Universität, wurden Demonstranten festgenommen, weil sie Plakate entfaltet hatten – überall wird bisher noch mit den Mitteln des Ausnahmezustandes agiert.
    "Erdogan kann jetzt per Dekret regieren"
    May: Den kann er jetzt ja theoretisch …
    Fleck: Ja! Das hat Erdogan ja mehrfach angekündigt, dass er das tun wird in den nächsten Tagen, und das hört sich natürlich auf den ersten Blick ganz super an. Aber de facto ist es ja so, dass ihm die neue Verfassung mit den Möglichkeiten, per Dekret zu regieren, all die Möglichkeiten in die Hand gibt, die ihm in der alten Ordnung nur deshalb zugewachsen waren, weil er den Ausnahmezustand verhängt hatte.
    May: Ein institutionalisierter Ausnahmezustand?
    Fleck: In gewisser Weise ja. Alle diese Äußerungen, die man jetzt hier und da hört, der Präsident ist jetzt fest im Sattel und das wird ihn dazu bewegen, eine moderatere Politik zu machen, nach innen und nach außen, das ist aus meiner Sicht alles kalter Kaffee. Er wird seine Linie, seine ganz klare Linie – das kann man ihm ja nicht absprechen – fortsetzen, und die läuft darauf hinaus, dass die Türkei zu einer islamischen Großmacht wird, und diese Politik verfolgt er ganz konsequent weiter. Alles, was dieser Konzeption im Wege steht, das wird zur Seite gekehrt und weggewischt.
    May: Jetzt war heute bei der Vereidigung dieses lupenreinen Autokraten wie auch schon bei Putin der Altkanzler Gerhard Schröder als Ehrengast zugegen. Ist er jetzt der heimliche Autokratenbeauftragte der Bundesregierung? Kann man das so sagen?
    Fleck: Ja gut, das ist eine schöne Formulierung. Der habe ich jetzt eigentlich im Moment nichts hinzuzufügen. Es ist schon auffällig, dass er sich in diesen Kreisen offensichtlich besonders wohl fühlt.
    May: Aber ist ja auch durchaus ein Pragmatismus. Kann man ja auch so sehen. Irgendjemand muss ja den Kontakt halten.
    Fleck: Er soll ja auch schon, sage ich mal, gewirkt haben im deutsch-türkischen Verhältnis, und es ist auf jeden Fall gut – nehmen wir mal die positive Seite, nicht immer nur das Kritische -, dass es jemanden gibt, der offensichtlich in der Lage ist, mit Herrn Erdogan mehr oder weniger, wie man Neudeutsch sagt, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Ob das nun unbedingt der Altkanzler sein müsste, oder jemand aus der momentan agierenden Regierung, das ist eine andere Frage. Aber das, würde ich sagen, ist ein Vorteil, dass es offensichtlich jemanden gibt, auf den man da vielleicht im Ernstfall noch zurückgreifen kann.
    "Richtig, dass die EU-Verhandlungen auf Eis liegen"
    May: Er scheint sich auf jeden Fall für die Drecksarbeit nicht zu schade zu sein. Sein Spitzname im Fußball war ja auch "Acker". Passt ja irgendwie.
    Fleck: Ja.
    May: Spaß beiseite: Was heißt das für Deutschland? Die Türkei ist ja viel mehr noch als Russland ein Verbündeter – Stichwort NATO, Stichwort Flüchtlingsdeal. Wie umgehen mit Erdogan?
    Fleck: Ich denke, man wird das relativ pragmatisch sehen müssen. Da bleibt nichts anderes übrig. Es wäre vollkommen fahrlässig, wenn man jetzt die Beziehungen aufkündigen würde. Es wäre auch fahrlässig, wenn man jetzt sagen würde, die Türkei kann in der Zukunft kein Partner der europäischen Integration werden, und man würde deshalb die Verhandlungen abbrechen. Es ist richtig, dass man die Verhandlungen auf Eis gelegt hat, mit der Aussage, dass die gegenwärtige Türkei in ihrer Verfassung und ihrer politischen Ordnung sicher nicht geeignet ist, um Mitglied der Europäischen Union zu werden, aber das heißt ja nicht, dass es in der Zukunft mal anders werden könnte. Deswegen lege ich immer großen Wert darauf, dass man da eine ganz feine Unterscheidung macht im Umgang mit der Türkei, was ist die kurzfristige Perspektive, sicher keine Konzessionen, sicher keine Zollunion zum Beispiel oder Erweiterung der Zollunion, aber nicht langfristig die Tür zur Türkei zuschlagen.
    "Wir brauchen die Türkei als Partner"
    Was das deutsch-türkische Verhältnis im Speziellen anbelangt – ich denke, es ist im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei beidseitig in vollem Umfang erfüllt wird, und ich denke auch, man wird eine Regelung finden müssen für die Zukunft. Daran geht leider kein Weg vorbei. Wir brauchen die Türkei in bestimmtem Maße als Partner. Die Türkei braucht uns noch sehr viel mehr, weil die Dimension der Ökonomie da hineinkommt, die schwierige wirtschaftliche Situation der Türkei, und es ist nicht abzusehen, dass das sich in den nächsten 12 bis 18 Monaten wesentlich verbessern wird. Die führt dazu, dass die Türkei natürlich sehr darauf angewiesen ist, dass dieser wichtige Handelspartner, Wirtschaftspartner Deutschland weiter auf Linie bleibt. Ich glaube, diese Abhängigkeit auf dieser Schiene, die wird für das deutsch-türkische Verhältnis sehr wichtig sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.