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Erdrutsche in Italien
Algorithmus als Frühwarnsystem

Geologie. - Italien ist dasjenige Land der EU mit den meisten Erdrutschen. Pro Jahr kommt es zu zirka 10.000 Erdrutschen zwischen Nord- und Süditalien. Um Erdrutsche voraussagen zu können, hat die geologische Fakultät in Florenz einen Frühwarnalgorithmus entwickelt, der in den vergangenen Monaten erfolgreich getestet wurde.

Von Thomas Migge | 24.07.2014
    Blick auf die an einem Berghang gelegene Ortschaft Baunei in der Ogliastra auf der italienischen Insel Sardinien (Aufnahme vom 20.05.2010).
    Viele an Steilhänge gebaute italienische Ortschaften wie hier Baunei auf Sardinien können von dem Erdrutsch-Algorithmus profitieren. (picture alliance / dpa / Roland Holschneider )
    "Ich wohne 200 Meter von dem Gebiet des Erdrutsches entfernt. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Hügel rutscht, aber niemand nahm sich dieses Problems an."
    Maria Vanetti lebt in dem kleinen süditalienischen Ort Pisciotta. Am 18. Januar verschüttete dort ein gewaltiger Erdrutsch die einzige Zufahrtsstrasse Der Ort war daraufhin Wochen lang von der Außenwelt abgeschlossen. Um Folgen wie diese künftig zu vermeiden, würde sich der italienische Zivilschutz gern verstärkt auf die Software Mhig verlassen. Mhig steht für Multi hazard information gateway, in etwa Multi-Risiko Informationsportal. Es handelt sich um einen Algorithmus, der Erdrutsche voraussehen hilft und dem Zivilschutz Informationen zuliefert, um rechtzeitig eingreifen zu können, erklärt der an der Universität Florenz forschende Geologe und Entwickler des Portals Nicola Casagli:
    "Das Mhig ist ein Multi-Risiko-System, das landesweit Erdrutschprognosen liefert. Es basiert auf vier Komponenten: zum einen auf meteorologischen Daten vom staatlichen Wetteramt die uns Aufschluss darüber geben, wo es zu Erdrutschen komme könnte."
    Die zweite Komponente des Algorithmus Mhig betrifft die möglichen Effekte der erwarteten Regenmengen in einem bestimmten Gebiet. Aus den Niederschlagsdaten der jeweiligen Region liefert ein ComputerAlle 15 Minuten Erdrutschprognosen für das entsprechende Gebiet. Der Rechner unterscheidet dabei verschiedene Erdrutschgefahrengrade, gekennzeichnet durch unterschiedliche Farben - von grün für leichte Gefahr über gelb für mittler Gefahr bis rot für aktuelle Gefahr. Auf diese Weise soll die Vielzahl falscher Alarme reduziert werden.
    Nicola Casagli: "Die dritte Informationskomponente betrifft Satellitendaten. Die ESA übermittelt uns Daten von geographisch eng umrissenen Gebieten, die es uns erlauben, präzise Prognosen auch für einzelne Hänge, Ortschaften und Städte zu ermitteln."
    In besonders gefährdeten Hanggebieten setzen Casagli und seine Mitarbeiter von der geologischen Fakultät Florenz als vierte Algorithmuskomponente Bodenradare ein. Diese Radare werden vor und auf erdrutschgefährdeten Hügeln oder auch an historischen Mauern, die aufgrund starker Regenfälle in Italien immer wieder einstürzen, installiert. Sie messen Störungen in den oberen Schichten des Erdbodens oder Mauerwerks durch Reflexion der vom Radar gesendeten elektromagnetischen Strahlen. Sie werden in Impulsen von wenigen Pikosekunden Länge abgestrahlt und ermöglichen präzise Entfernungsbestimmungen. So können selbst kleinste Erd- und Mauerbewegungen registriert werden.
    Die Informationen werden vom Zentralcomputer an der Uni Florenz im Stundenrhythmus an den Zivilschutz weitergeleitet, damit dieser Bewohner betroffener Gebiete rechtzeitig warnen kann. Das Zusammenspiel von meteorologischen Prognosen, die Hochrechnung der Folgen erwarteter Regenmengen, Satelliten- und Radardaten auf der Erde haben sich bei den Tests des Programms Multi hazard information gateway als erfolgreich erwiesen, berichtet Nicola Casagli:
    "Letzte Woche haben wir mit unserem Algorithmus auf der Insel Elba einen Erdrutsch voraussehen können. Die Provinzverwaltung sperrte rechtzeitig die betroffenen Straßen und nach einer Woche stellte sich der Erdrutsch tatsächlich ein."
    Der Zivilschutz würde nur zu gern das von den Florentiner Geologen entwickelte Kontroll- und Warnsystem in ganz Italien zum Einsatz bringen. Doch dass das Umweltministerium in Rom die dafür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen wird, ist angesichts chronisch leerer Staatskasse eher unwahrscheinlich.