Am 28. November wird es wieder laut in Schwerin. Am Rand der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern beginnt eine Bohrkrone, sich in die Tiefe vorzuarbeiten. Eine erste Bohrung hatte 1300 Meter tief bereits 56 Grad warmes Thermalwasser erschlossen, das schon bald in ein Heizkraftwerk geleitet werden soll. Über die neue zweite Bohrung soll das abgekühlte Wasser zurück in die Tiefe und so den Kreislauf schließen. Oberbürgermeister Rico Badenschier freut sich. Dem Fernsehsender TV Schwerin sagt er: "Wir können mit dem Geothermieprojekt 15 Prozent unserer Fernwärme mit einer echten erneuerbaren Energie decken - also ohne Ressourcenverbrauch. Das ist gerade in der heutigen Zeit genau der richtige Schritt."
Erdwärme wurde stiefmütterlich behandelt
Zwischen Wind-, Bio- und Solarenergie spielt die Erdwärme bis heute eine Nebenrolle. Zwar ließen Kommunen und Unternehmen in den letzten zehn Jahren kräftig bohren – aber etliche Vorhaben scheiterten. Mal verstopfte ein Bohrloch, mal fand man in der Tiefe zu wenig Thermalwasser und mal sorgten Erdbeben für einen öffentlichen Aufschrei. Nur ganz im Süden, rund um München, fanden Bohrmannschaften zuverlässig viel heißes Tiefenwasser.
"Die Temperatur nimmt mit der Tiefe um 30 Grad pro Kilometer zu", erklärt Inga Moeck von der Universität Göttingen: "Wenn man ein Wärmenetz einer Kommune oder einer Stadt speisen will, dann braucht man auf jeden Fall 90 Grad Celsius geothermischer Temperatur." Bis vor wenigen Jahren galt deshalb die einfache Formel: Ohne kochendes Wasser lohnt sich die Erdwärmenutzung kaum.
Bohrungen im Norden waren lange kein Thema
Norddeutschland schien deshalb lange wenig attraktiv für die Technik. Schon die DDR ließ zwar in Waren an der Müritz oder Neubrandenburg bohren. Doch in größeren Tiefen, in denen das Gestein heiß genug wäre, ist es dort zu dicht. In Schwerin bohrte man nun aber gar nicht sonderlich tief. In 1300 Metern ist das Wasser nur 50-60 Grad warm. Doch neuerdings reiche das aus, um ganze Stadtteile zu beheizen, sagt Inga Moeck.
"Nun sind wir aber bei der Technologieentwicklung dahin gekommen, dass wir auch geringere Temperaturen nutzen können, nämlich über das Hinzuziehen von Wärmepumpen. Da können wir die geothermische Temperatur, die wir fördern, auch heben. Und somit werden jetzt auf einmal auch Gesteinsschichten interessant, die wir uns vorher gar nicht angeguckt haben."
Effiziente Wärmepumpen steigern das Potenzial
Eine neue Generation von Wärmepumpen kann nun das eher lauwarme Wasser aus der Tiefe effizient auf 90 Grad Celsius erhitzen, ohne die Heizkosten stark zu erhöhen. Theoretisch ließe sich damit zwischen Usedom und Hannover noch viel erneuerbare Heizwärme erschließen. Zuvor müssten Geologen allerdings den Untergrund noch besser verstehen: Unter Schwerin gelang es, wasserführende Sandsteine eines 200 Millionen Jahre alten Flussbetts aufzuspüren und dann direkt hineinzubohren. Inga Moeck arbeitet an einem Forschungsprojekt, das vergleichbare Gesteinsschichten auch unter anderen Städten aufspüren soll: "Wir haben ausgerechnet, dass allein für diese eine Formation, die sogenannte Unterkreide in Niedersachsen, eine Gigawattstunde hebbare Wärme liegt."
Erdwärme könnte die Hälfte der Heizenergie liefern
Die in Fernwärmenetze eingespeiste Heizenergie kommt heute noch immer zu 80 Prozent aus fossilen Rohstoffen. Laut einer aktuellen Studie von Prognos, Ökoinstitut und Wuppertal-Institut könnte die Erdwärme gemeinsam mit Wärmepumpen langfristig beinahe die Hälfte der Heizenergie in Deutschland liefern. Mit einem kleinen Nachteil: Bei so niedrigen Temperaturen auch noch Strom zu erzeugen, lohnt sich nicht. Inga Moeck: "Da kann man schon sagen, mit einem Windrad kann man nicht heizen, damit kann man Strom erzeugen. Und mit der Geothermieanlage kann man keinen Strom erzeugen, damit kann man heizen. Das ist eine sinnvolle Ergänzung."