Die USA sei ein Rechtsstaat, sagte Präsident Barack Obama. Das gelte für die Bürger ebenso wie für die Sicherheitskräfte. Und deshalb sei es geboten, Wunden zu heilen, statt zu schlagen.
Ausgewogen, staatstragend, politisch korrekt und beinahe blutleer kam das Statement des amerikanischen Präsidenten zu den Ausschreitungen in Ferguson im Bundesstaat Missouri daher - und stand in scharfem Kontrast zu den lauten Bildern und Berichten, die seit zwei Wochen aus der Kleinstadt im Ausnahmezustand in alle Welt schwappen.
Bilder von Gewalt zwischen Demonstranten und Polizei: Molotowcocktails explodierten, es wurde geplündert und geprügelt, die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, der Gouverneur ließ die Nationalgarde aufmarschieren.
Viele Demonstranten hatten erwartet, dass Obama - immerhin der erste schwarze Präsident der USA - seine Solidarität mit der afroamerikanischen Gemeinschaft der Stadt bekunden und persönlich nach Ferguson kommen würde.
Doch er schickte seinen Justizminister Eric Holder, der eine Untersuchung der Ereignisse einleitete. Und tat damit das einzig politisch Richtige, findet Andra Gillespie, afroamerikanische Politikwissenschaftlerin an der Emory-Universität in Atlanta:
"Für Präsident Obama ist das eine heikle Situation. Solange die Umstände der Tat noch unklar und umstritten sind, solange die Ermittlungen andauern, kann er sich nur zurückhalten."
In jedem Fall befindet sich Obama in einem schweren politischen Dilemma - und in einer Lage, in der er eigentlich nur verlieren kann.
"Würde er die Lage jetzt kommentieren, dann bekäme er Feuer von zwei Flanken. Die einen würden sagen: Er unterstützt die Demonstranten. Die anderen würden ihm vorwerfen, mit der Polizei zu paktieren."
Fall Trayvon Martin
Hinzu kommt: Obama ist ein gebranntes Kind. Die aktuellen Ereignisse von Ferguson spielen den Fall von Trayvon Martin wie ein düsteres Echo zurück ins kollektive Gedächtnis: Der junge Afroamerikaner war 2012 in Florida von einem Nachbarschaftswächter niedergeschossen worden. Obama hatte sich dazu damals so geäußert:
"Trayvon Martin könnte mein Sohn sein. Trayvon Martin hätte ich selbst gewesen sein können, vor 35 Jahren."
Ein Sturm der Entrüstung, vor allem aus dem Lager der Republikaner und ultrakonservativer Medien, brach über den Präsidenten herein. Der Vorwurf: Obama wolle billige Sympathiepunkte bei der schwarzen Minderheit sammeln.
Der Präsident und die Afroamerikaner: Das Verhältnis gleicht einem politischen Balanceakt, den Obama meist behutsam, manchmal befangen absolviert.
Obama hatte immer wieder betont, dass er zwar Amerikas erster schwarzer Präsident sei, keineswegs aber nur der Präsident der Schwarzen. Bereits 2004 entwarf der damalige Senator die Vision einer Gesellschaft jenseits der Rassenschranken: Es gebe kein schwarzes, weißes, hispanisches oder asiatisches Amerika, sondern nur die Vereinigten Staaten von Amerika, verkündete er damals mit noch unbefangenem Pathos.
Politische Baustellen Obamas
Heute ist der Ton des Präsidenten nüchterner, ganz so wie die Realität in Amerika, fünfeinhalb Jahre nach Obamas Amtsantritt. Die Armutsrate bei schwarzen Amerikanern bewegt sich mit knapp 26 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt von 14 Prozent. Und auch die Arbeitslosigkeit unter Schwarzen ist doppelt so hoch wie unter Weißen. Andra Gillespie:
"Es gibt noch viele politische Baustellen. Bei den wichtigen strukturellen Fragen - Armut, Arbeitslosigkeit, Bildung - hat sich die Situation der Schwarzen in Amerika kaum verändert."
Viele Afroamerikaner sind enttäuscht, dass Obama sich nicht deutlicher gegen soziale Ungleichheit, gegen latenten und offenen Rassismus ausspricht. Dabei hat Obama immer wieder erklärt, dass er die Wut der Schwarzen in Amerika über die alltägliche Diskriminierung nicht nur abstrakt verstehen, sondern auch ganz persönlich nachvollziehen könne.
"Es gibt nur wenige afroamerikanische Männer, die nicht erfahren haben, dass ihnen die Detektive im Kaufhaus folgen. Ich habe es selbst erlebt. Es gibt wenige afroamerikanische Männer, die nicht über eine Straße gegangen sind und das automatische Klicken der Autoschlösser gehört haben. Auch das habe ich selbst erlebt."
Initiativen für junge Afroamerikaner
In seiner zweiten Amtszeit hat Obama eine Reihe konkreter Initiativen für junge Afroamerikaner ins Leben gerufen. So wie "My Brother's Keeper" - ein Projekt, das Kommunen, Stiftungen und Unternehmen zu Netzwerken verknüpfen will, um gefährdete Jugendliche aufzufangen und zu motivieren. Zu spät, zu wenig, zu belanglos, finde seine Kritiker. Andra Gillespie plädiert dagegen für ein pragmatisches Urteil - auch über Obamas Strategie in Ferguson:
"Die Tatsache, dass die Regierung bei den Ermittlungen hilft, ist ganz wichtig. Diese Art der Politik ist vielleicht nicht so spektakulär. Aber am Ende wird sie der Aufklärung mehr dienen als eine vollmundige Erklärung - oder eine symbolische Stippvisite in der Stadt."