"Dass ich die Eremitage wirklich gesehen habe, werde ich nie den Mut haben, zu behaupten: Ich bin nur in allen ihren Sälen gewesen. Denn sie wirklich sehen, forschend sehen, eindringlich betrachten, wer vermag das in einem Tage, wer vermag das in einer Woche?"
So beschreibt der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig seine Eindrücke von der Eremitage in St. Petersburg, das Leningrad hieß, als er 1928 die Sowjetunion bereiste. Betäubt von der Fülle der Bilder, bedeutete ihm schon das bloße Durchwandern der prachtvollen Säle "physische Arbeitsleistung" und durch vierzig oder fünfzig Säle ging er mit "geschlossenen Augen", nur, um zu den Rembrandt-Gemälden zu gelangen. Zweig sah nur einen Bruchteil der Schätze: Die Eremitage, eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt, ist ein riesiger, prunkvoller Gebäudekomplex, am Ufer der Newa gelegen, mit 350 Sälen, 60.000 Exponaten und drei Millionen Objekten im Archiv.
Es begann im Februar 1764 mit dem Zufallskauf von 225 Bildern, die die russische Zarin Katharina II., eine geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst, bei dem Berliner Kunsthändler Johann Ernst Gotzkowsky erwarb. Fortan ließ die Autokratin in ganz Europa Bilder der bedeutendsten Maler und umfangreiche Sammlungen erwerben, sie sollten ihr internationale Anerkennung verschaffen. Bald reichte der Platz für die Schätze nicht mehr aus: 1775 wurde neben dem Winterpalast mit dem Bau der Kleinen Eremitage begonnen, ein paar Jahre später kamen die Alte Eremitage und ein Theater hinzu. Eine "Einsiedelei", wie der Name besagt, war die Eremitage für Katharina nie. Nachträglich wurde der 7. Dezember 1764 als Gründungsdatum festgelegt: Es ist der Tag der Heiligen Katharina im russisch-orthodoxen Kirchenkalender.
Privatsammlungen der Romanows
"Dann hat sie geschnittene Steine gesammelt, Gemmen, und sie hat selbst Steine geschnitten, dann kamen die Münzen hinzu. Dann wurden Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten Ausgrabungen in Südrussland, vor allem auf der Halbinsel Kertsch getan."
Die Historikerin und Slavistin Marianna Butenschön hat der Eremitage ein profundes Buch mit dem Titel "Ein Zaubertempel für die Musen" gewidmet. Mitte des 19. Jahrhunderts ließ Katharinas Enkel, Zar Nikolaj I., Bilder, die ihm wertlos erschienen, aussortieren und zu Spottpreisen verkaufen.
"Nikolaus I. war auch ein großer Sammler. Die Geschichte verdankt ihm den Bau der Neuen Eremitage, errichtet von Leo von Klenze, einem Münchner Hofarchitekten, und insofern hat die Nachwelt ihm verziehen, dass er einen großen Teil der Gemälde verkauft und hat vernichten lassen. Andere Zaren waren überhaupt nicht an ihren Sammlungen interessiert, und die Sammlungen waren ja Privatsammlungen der Romanows, also von Nikolaus II., der die größte Kunstsammlung der Welt damals geerbt hat, ist überhaupt nicht bekannt, dass er sich für Kunst interessiert hat."
Gotteslästerliche Verschwendungssucht
Die Oktoberrevolution 1917 besiegelte den Untergang der Romanows, die Kunstschätze wurden verstaatlicht. Als Stefan Zweig 1928 einen Blick in die Schatz- und die Juwelenkammer werfen durfte, fand er die Verschwendungssucht der Zaren "gotteslästerlich". Ihm wurde die "Spannung zwischen Arm und Reich", die sich in den letzten beiden Jahrhunderten im Russischen Reich "ins Titanische gereckt hatte" bewusst. Die Revolution erschien ihm folgerichtig.
"Uhren, Zepter, alle Arten von Spielzeug und Kleinodien und alle, alle märchenhaft übersät von diesen Tausenden unschätzbaren Steinen, für deren jeden einzelnen man ein ganzes russisches Dorf kaufen konnte mit all seinen Bauern als Leibeigenen, all seinen 'Seelen', und genug, in ihrer Gesamtheit noch heute notfalls dieses Riesenreich für Jahre zu ernähren."
Heute hat die Eremitage 2.500 Mitarbeiter, wird weltweit von Fördervereinen unterstützt und ist sowohl Museum wie auch Forschungsinstitut. Besuchern des Museums empfiehlt Mariana Butenschön: "Ich würde mir die beiden Leonardos, die Madonna Benois, die Madonna Litte, ansehen, ich würde mir die Impressionisten ansehen, ja, und ich würde vielleicht auch noch mir die ägyptische Abteilung ansehen, weil das so ein kompletter Kontrast ist. Aber wo immer man hingeht, man braucht mehr als anderthalb Stunden."