Die Sicherheitsleute am Warschauer Kreisgericht grinsen. Sie kennen den jungen Mann, der seine Aktentasche zum Durchleuchten aufs Transportband legt. Jan Spiewak ist hier Dauergast. Der 33-Jährige kämpft gegen die Warschauer Immobilien-Mafia, so nennt er es. Und deshalb werde er immer wieder verklagt.
Schon zwei Tage zuvor war Jan Spiewak hier – und hat eine Niederlage erlitten. Er nimmt die Schiebermütze in die Hand und wischt sich den Schweiß von seinem fast kahlen Kopf.
"Wir konnten nachweisen, dass die Tochter eines ehemaligen Justizministers bei einem illegalen Geschäft eine entscheidende Rolle gespielt hat – nämlich bei der Übertragung eines Wohnhauses im Stadtviertel Ochota. Die Frau war die Bevollmächtigte einer 120-Jährigen. Die war aber schon seit 50 Jahren tot. Und dafür hat mich das Gericht dann verurteilt. Das ist doch eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Die polnischen Gerichte haben in dieser Hinsicht einiges auf dem Gewissen."
Betrug bei der Reprivatisierung von Gebäuden
Jan Spiewak war der erste, der sich die sogenannte Reprivatisierung in Warschau genauer angesehen hat. Dabei geht es um Gebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht worden waren. Ehemalige Eigentümer, oder auch deren Erben, können sie zurückbekommen – oder sie werden entschädigt. Das machten sich Betrüger zunutze. Sie beschafften sich gefälschte Dokumente, die sie als rechtmäßige Erben auswiesen. Und mit Hilfe der Warschauer Stadtverwaltung und mit Hilfe von Gerichten ging ihr Plan oft auf.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportage reihe Polen - Umstrittene Justizreformen.
In den Gerichtssaal darf Jan Spiewak heute nur allein, wegen Corona. Als er 45 Minuten später zurückkommt, zieht er triumphierend den rechten Mundwinkel hoch.
"Heute ist es gut gelaufen. Das Gericht hat mich rechtskräftig freigesprochen. Einige Immobilien-Investoren haben mich verklagt. Wir hatten nachgewiesen, dass sie an illegalen Privatisierungen beteiligt waren und Kontakte zur Warschauer Unterwelt pflegen. Das hat ihnen nicht gefallen. Ich bin froh, denn das sind Geschäftsleute, die sehr einflussreich sind."
Symbolik für Facebook
Draußen, vor dem Gebäude, reckt Jan Spiewak die rechte Hand zum Victory-Zeichen. Er lässt sich für seinen Facebook-Kanal fotografieren und stellt die Aufnahme sofort online. Der schmächtige Mann vor der mächtigen Tür des Gerichts – das ist genau die Symbolik, auf die der 33-Jährige setzt.
Raschen Schrittes geht er dann die Solidarnosc-Allee entlang, eine sechsspurige Schneise durch das Warschauer Zentrum. Ein paar hundert Meter weiter zeigt er auf ein Schaufenster.
"Hier drin war einmal eines der ältesten Kinos der Stadt. Das gab es seit 1938. Durchgehend, ohne Unterbrechung. Bis vor einigen Jahren. Während des Zweiten Weltkriegs war genau hier das Jüdische Ghetto. Und im Kino gab es damals jüdisches Theater. Die hier Eingesperrten suchten ein wenig Abwechslung von der Tragödie des Alltags. Dann wurde das Gebäude reprivatisiert. Der neue Eigentümer hat das Kino einfach rausgeschmissen und einen Supermarkt einquartiert. Vom ehemaligen Interieur ist nichts mehr übrig. Die Reprivatisierung macht viel kaputt hier in Warschau, es zählen nur Geld und Beziehungen."
Mieterschutz in Polen kaum existent
In diesem konkreten Fall kann Jan Spiewak nicht sagen, ob bei der Privatisierung alles legal ablief. Trotzdem ist das ehemalige Kino Femina für ihn ein gutes Beispiel dafür, wie wenig sich die Mächtigen im Rathaus für ihre Stadt interessieren. Und für deren Bewohner. Denn häufig müssten die dann nach dem Eigentümerwechsel sehr bald ausziehen, erzählt Spiewak. Mieterschutz in Polen? So gut wie nicht existent.
Diese Stadtoberen, die Jan Spiewak zur Rechenschaft ziehen will, gehören seit inzwischen 14 Jahren zum Kreis der rechtsliberalen "Bürgerplattform", kurz PO. Es ist die Partei des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, im Sejm ist sie die stärkste Oppositionspartei.
Fall Hanna Gronkiewicz-Waltz
Die Bürgermeisterin, unter der es die meisten Unregelmäßigkeiten bei der Reprivatisierung gab, hat heute einen Job in Brüssel.
"Der Mann von Hanna Gronkiewicz-Waltz hat ein Wohnhaus geerbt, das zuvor von sogenannten Schmalzowniki gestohlen worden war. Also von Polen, die im Zweiten Weltkrieg Juden an die deutschen Besatzer verraten hatten. In einem normalen Land wäre ihre Karriere doch sofort beendet, wenn so etwas herauskommt. Aber Hanna Gronkiewicz-Waltz ist heute Beraterin der EU-Kommission in Klimafragen. Das heißt doch, dass man sich alles erlauben kann."
"Es muss sich was ändern bei Gerichten und Anwälten"
Jan Spiewak hat sich inzwischen in einem Café in einen Sessel fallen lassen. Während er auf seinen Cappuccino wartet, hat er schnell noch einen längeren Beitrag über den heutigen Gerichtsprozess gepostet.
Schreiben kann Jan Spiewak. Er sitzt gerade an seiner Doktorarbeit in Soziologie. Und er verdient sein Geld als Feuilletonist bei einer Wochenzeitung. Der 33-Jährige zeigt sich dabei auch als scharfer Kritiker der Regierungspartei PiS. Seine politischen Ansichten liegen deutlich weiter links.
Doch: Durch seine Erfahrungen mit der Reprivatisierung in Warschau kann er verstehen, warum nicht mehr Polen gegen die umstrittene Justizreform der PiS protestieren:
"Es muss sich ja was ändern, bei den Gerichten, bei der Staatsanwaltschaft und auch bei den Rechtsanwälten. Die Rechtsanwälte, die Abermillionen verdient haben an der Reprivatisierung in Warschau. Sie wurden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Die PiS tut freilich nichts anderes, als die einen Richter gegen andere auszutauschen, statt das ganze System zu ändern."
"Ich bin sicher nicht zum letzten Mal verurteilt worden"
Und wie? Mit ihrer Forderung, die Gerichte zu demokratisieren, habe die PiS grundsätzlich Recht, meint Spiewak:
"Ich weiß auch nicht genau, was zu tun ist. Vielleicht sollten die Richter direkt vom Volk gewählt werden. Vielleicht sollten die Richter nur eine bestimmte Zeit im Amt bleiben. Vielleicht sollten wir Geschworenengerichte einführen. Darüber müssten wir reden."
Jan Spiewak schaut auf sein Handy. In nur wenigen Minuten hat sein letzter Eintrag Hunderte "Likes" bekommen. Nur wegen seiner Internet-Unterstützer kann er sich den Kampf gegen den Warschauer Immobilienbetrug überhaupt leisten. Auch finanziell. Denn als ihm die Geldstrafen und Schmerzensgelder, die er zahlen musste, über den Kopf wuchsen, hat er im Internet um Spenden gebeten.
"Ich konnte sogar etwas davon zurücklegen. Das ist gut, denn ich bin sicher nicht zum letzten Mal verurteilt worden."