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Erfahrung zählt

Verhaltensforschung. - Kraniche haben wie alle Zugvögel ihre festen Sommer- und Wintergebiete,die sie mit beeindruckender Zielstrebigkeit anfliegen. US-Forscher haben an ausgewilderten Schreikranichen untersucht, ob der "Kompass" der Vögel angeboren, oder erlernt ist. Die Tiere wurden in einem seltenen Langzeitexperiment über fast zehn Jahre hinweg beobachtet. Der Biologe Thomas Müller von der Universität Maryland erklärt im Gespräch mit Ralf Krauter die Ergebnisse.

Thomas Müller im Gespräch mit Ralf Krauter | 30.08.2013
    Krauter: Herr Müller, was sind das für Kraniche, die Sie untersucht haben?

    Müller: Die Kraniche, die wir untersucht haben, sind so genannte Schreikraniche, die größten Vögel Nordamerikas und extrem selten. Bis vor kurzem gab es nur noch eine wilde Population mit wenigen 100 Tieren, die von Kanada nach Texas migriert. Seit einigen Jahren gibt es mehrere Wiedereinbürgerungsbemühungen, so dass es inzwischen auch einige andere Populationen wieder gibt.

    Krauter: Die Kraniche, um die es ging, waren ausgewildert, letztlich. Und dann wurde über Jahre beobachtet, wie gut sie in der Lage sind Kurs zu halten, wenn es darum geht den Flug ins Winterquartier zu machen?

    Müller: Richtig. Die Tiere sind quasi alle künstlich ausgebrütet worden, und im ersten Sommer wird ihnen beigebracht diesen Ultraleichtflugzeugen zu folgen. Und im Herbst fliegen sie dann mit den Ultraleichtflugzeugen von Wisconsin nach Florida. Danach, im darauf folgenden Frühjahr, können sie ganz alleine zurück migrieren ohne irgendwelche künstliche Hilfe.

    Krauter: Sie haben jetzt letztlich untersucht, wie direkt die ihr Ziel ansteuern. Und da gab es interessante Unterschiede. Aber zuerst würde mich interessieren: wie genau haben Sie die Flugrouten verfolgt der Vögel später über Jahre hinweg?

    Müller: Das habe ich quasi gar nicht selber gemacht, sondern im Rahmen dieser Wiedereinbürgerungsmaßnahmen gab es einen sehr großen Monitoring-Aufwand, so dass die Vögel immer über Radiosender und Satellitensender verfolgt wurden. Und diese Daten haben wir dann genutzt, um zu gucken, wie sich das Migrationsverhalten über die Jahre verändert.

    Krauter: Was ist herausgekommen bei Ihrer Analyse? Letztlich: Erfahrung zählt, wenn es darum geht Kurs zu halten?

    Müller: Richtig. Was also einzigartig an diesem Datenset ist, dass man hier Informationen von individuellen Vögeln über mehrere Jahre hat. Das heißt, von der ersten Migration bis zu achtjährigen Individuen, da quasi von Anfang an bis zum Ende: Wie verändert sich das Migrationsverhalten. Und das hat uns erlaubt herauszufinden quasi, dass es einen Unterschied macht, ob zum Beispiel ein einjähriges Tier oder ein zweijähriges Tier, oder ob das Tier fünf oder sechs Jahre Erfahrung hat. So dass wir quasi herausfinden konnten, dass das Lernen von Migrationsverhalten über mehrere Jahre stattfindet, und auch, dass es über ältere Individuen stattfindet. Dass es quasi ganz wichtig ist, dass die jüngeren Tiere zusammen mit älteren fliegen, damit sie effizient die Migration vollführen können.

    Krauter: Entscheidend für die Zielgenauigkeit ist quasi, wie erfahren der älteste Kranich in der Gruppe ist? Kann man das so sagen?

    Müller: Ja, das kann man genauso sagen. Das war das entscheidende Maß, oder der entscheidende fact, den wir gefunden haben. Wie alt ist das älteste Individuum einer Fluggruppe? Mehrere Jahre machen da einen großen Unterschied aus.

    Krauter: Wie groß sind die Unterschiede? Also wie weit wird ein unerfahrener Kranich vom Kurs abweichen, wenn er keinen erfahrenen an seiner Seite hat?

    Müller: Wenn es sich um eine Gruppe handelt, wo jetzt nur Jungvögel drin sind, ist die Abweichung so ganz grob um die 100 Kilometer. Wohingegen eine Abweichung mit Gruppen, die jetzt auch Altvögel haben, nur etwas mehr als 60 Kilometer ist.

    Krauter: Also doch ein recht deutlicher Unterschied! Kann man aus diesen Daten und Auswertungen schließen, dass die Flugrouten der Kraniche nicht angeboren sind, sondern über Jahre gelernt?

    Müller: Das ist richtig. Also die angeborenen Verhaltensweisen spielen sicher auch eine Rolle. Aber das Lernverhalten an sich ist ganz wichtig, damit das halt funktioniert. Eine Kombination aus beidem. Und dieses langfristige Lernverhalten von älteren Tieren ist ein ganz entscheidendes Kriterium.

    Krauter: Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus ihrer Studie?

    Müller: Gerade für Wiedereinbürgerungsmaßnahmen von Tieren ist eigentlich die Schlussfolgerung, dass man wirklich Geduld haben muss. Gerade bei solchen langlebigen Tieren, die sozial sind und in Gruppen leben. Weil es einfach Verhaltensweisen gibt, die jetzt nicht genetisch übertragen werden, so dass alles zu sofort funktioniert, wenn man die Tiere wieder irgendwo eingebürgert hat. Sondern dass man wirklich Geduld haben muss und eventuell, wie man jetzt hier über das Training mit dem Leichtflugzeug sehen kann, Verhaltensweisen wieder beibringen muss, damit solche Wiedereinbürgerungsprojekte erfolgreich sein können.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.