Silvia Engels: Am Telefon ist Christian Vogel von der SPD. Er ist Zweiter Bürgermeister der Stadt Nürnberg. Er hatte das Vorgehen mit vorangetrieben, der AfD die Meistersinger-Halle für einen geplanten Auftritt von Alexander Gauland am Samstag zu kündigen. Guten Abend, Herr Vogel.
Christian Vogel: Guten Abend.
Engels: Jetzt ist das Urteil da, es ist gegen Sie ausgegangen. Wie bewerten Sie es?
Vogel: Das Urteil ist natürlich erst einmal bedauerlich für uns als Stadt Nürnberg. Da gibt es überhaupt nichts dran herumzudeuteln. Gleichwohl es in der Urteilsbegründung uns natürlich in vielerlei Hinsicht auch Recht gibt. Der Urteilsspruch, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sagt relativ klar: Ja, ihr habt Recht mit eurer Aussage. Die Meinungen, die der Herr Dr. Gauland hier kundgetan hat, sind menschenverachtend, sind hetzerisch und so auch nicht hinnehmbar. Da hat uns das Gericht auch tatsächlich Recht gegeben.
"Ihr könnt nicht belegen, was Gauland in Nürnberg sagen wird"
Es sagt aber gleichzeitig, Dr. Gauland ist von seiner Meinung ja schon öffentlich abgewichen, das muss man akzeptieren, und genau deshalb wollte das Gericht von uns noch wissen, wie wir beurteilen können und wie wir darlegen können, dass eine Wiederholung in Nürnberg stattfinden sollte. Das können wir natürlich nicht und genau deshalb akzeptieren wir das Urteil und sagen ja, es ist aus Sicht des Gerichtes durchaus nachvollziehbar. Wir bedauern es, aber akzeptieren es.
Engels: Ist das der Grund, weshalb Sie nicht eine Instanz höher zum Verwaltungsgerichtshof ziehen?
Vogel: Das ist genau die Begründung. Wir haben lange darüber diskutiert heute Nachmittag. Ich habe mit dem Herrn Oberbürgermeister auch lange darüber diskutiert. Für uns war am Schluss die Situation so eindeutig, dass das Gericht sagt, ja, wir können euch verstehen, aber andererseits, ihr könnt nicht belegen, was Dr. Gauland in Nürnberg sagen wird. Können wir natürlich in der Tat nicht und genau deshalb war es für uns eine Entscheidung zu sagen, nein, wir gehen in keine weitere Instanz, weil wir auch der AfD nicht weiterhin die Möglichkeit geben wollten, in irgendeiner Form auf sich aufmerksam zu machen.
"Er ist in Nürnberg ein nicht gern gesehener Gast"
Engels: Da kommen wir gleich noch drauf zu sprechen. Aber bleiben wir erst bei Herrn Gauland, der ja schon vor einigen Tagen zunehmend erkennen ließ, dass er eine solche Formulierung nicht wiederholen wird. Warum haben Sie dann trotzdem geklagt, denn viele Beobachter hatten jetzt ein solches Urteil ja erwartet?
Vogel: Es war auch für uns ja dann so. Wir sind ja nicht blauäugig in die Situation reingegangen. Auch wir haben relativ nüchtern abgewogen, wie könnte es laufen. Für uns war es schon so, dass wir nicht siegessicher in das Verfahren gegangen sind. Nein! Wir wollten aber als Stadt Nürnberg, als Stadt des Friedens, als Stadt der Menschenrechte relativ deutlich auch das Signal aussenden, die Äußerungen von Dr. Gauland, auch wenn er sie langsam zurückrudert, sind für uns nicht hinnehmbar, und genau deshalb haben wir gesagt, irgendwann ist der Punkt erreicht, wo das I-Tüpfelchen da ist, und genau deshalb haben wir den Weg beschritten und haben gesagt, ja, wir wollen das Signal setzen: Er ist in Nürnberg letztendlich ein nicht gern gesehener Gast.
"Wir wollten die Rechtsfindung"
Engels: Geht es also um Symbole und Signale und nicht um Rechtsfindung?
Vogel: Es geht auch – da gibt es überhaupt nichts dran herumzudeuteln – um das Signal und vielleicht auch um das Symbol. Klar ist aber auch, dass wir natürlich die Rechtsfindung wollten. Wir haben gesagt, wir glauben, dass wir mit unserer Definition durchaus im Rahmen dessen liegen, dass ein Verbot möglich wäre. Das hat das Gericht jetzt nicht bestätigt. Aber ich sage noch einmal: Das Gericht hat deutlich gemacht, sie können unsere Argumentation nachvollziehen und sagen ganz ausdrücklich in ihrer Begründung auch, dass das Verhalten von Dr. Gauland hetzerisch und menschenverachtend war.
Kein Punktsieg für AfD – das Signal sei gesendet
Engels: Der Nürnberger AfD-Chef Martin Sichert hatte ja der Stadt Nürnberg vorgehalten, durch die angestrebte Verhinderung der Rede Gaulands – ich zitiere – "Demokratie zu beschädigen". Nun hat die AfD unterm Strich aber Recht bekommen. Haben Sie so der AfD einen Punktsieg verschafft?
Vogel: Ich meine, hier ein deutliches Nein sagen zu können. Nein, die AfD hat keinen Punktsieg errungen. Uns war immer wichtig zu sagen, wir haben der AfD die Meistersinger-Halle zur Verfügung gestellt, wie wir sie allen Parteien, die zugelassen sind, zur Verfügung stellen würden. Wir haben immer Wert gelegt auf die Feststellung, wir werden nicht die AfD verhindern, sondern wir wollten den Herrn Dr. Gauland verhindern, durch seine Äußerungen. Und wir haben der AfD die Möglichkeit gegeben, hier klar das Signal zu geben, ja, wir lassen Gauland nicht reden. Das haben sie nicht getan. Genau deshalb war die Reaktion die, die die Stadt letztendlich getroffen hat.
Jetzt hat das Gericht gesagt – und ich betone es noch einmal -, das Gericht hat immer wieder gesagt, ja, das was Gauland gemacht hat war nicht in Ordnung, aber wir können nicht belegen, dass er in Nürnberg das gleiche machen würde. Genau deshalb legen wir die Meinungsfreiheit so hoch an und das müssen wir auch akzeptieren. Und ich sage auch an der Stelle: Auch die Begründung des Gerichtes ist ein deutliches Signal dafür, dass es eben nicht um ein parteipolitisches Signal ging, sondern dass es uns um das Signal ging, aus Nürnberg darf keine menschenverachtende Art und Weise der Redewendungen an die Bevölkerung gehen.
"Wir lernen, dass unser Verhalten nicht falsch war"
Engels: In der Vergangenheit ist es ja mehrfach vorgekommen, dass verschiedene AfD-Vertreter sich vorhalten lassen mussten, rechtsextremistische oder gar rassistische Äußerungen zu tätigen und dann später ganz bewusst Stück für Stück wieder davon abzurücken. Es ginge um die Provokation, das vermuten nicht wenige Beobachter, und dahinter auch eine Methode, um das eigene Lager hinter sich zu versammeln. Lernen Sie daraus, dass Sie in einem ähnlichen Fall nicht wieder klagen würden?
Vogel: Auch das haben wir tatsächlich diskutiert. Wir lernen daraus, dass unser Verhalten nicht falsch war. Ob wir es heute wieder machen würden, lasse ich jetzt einmal offen, aber ich stehe zu der Entscheidung, ja, ein Signal zu geben. Sie haben völlig zurecht auch das Verhalten der AfD, der Spitzenfunktionäre angesprochen. Es ist ja tatsächlich durchaus Methode: Erst die Schlagzeile erzeugen und dann langsam zurückrudern. Das ist ja tatsächlich ein Vorgehen, das durchaus schon Methode hat.
Letztendlich zeigt es mir aber auch und das nehme ich mit ganz, ganz großem Bedauern zur Kenntnis, dass die Diskussion jetzt die letzten paar Tage eine Form angenommen hat, die ich nicht für möglich gehalten hätte. In einer Art und Weise, wie man den Herrn Oberbürgermeister, wie man mich als Bürgermeister hier angreift und beleidigt und auch bedroht, das war für mich bis vor wenigen Tagen unvorstellbar.
Es werde viele geben, die kein Verständnis zeigen
Engels: Verlangen Sie irgendeine gesetzliche Änderung, um so etwas zu vermeiden?
Vogel: Ich glaube, das ist jetzt der falsche Moment, wo man sagt, jetzt fordere ich das Gesetz auf. Natürlich muss man darüber nachdenken und sagen, welche Möglichkeiten haben wir, hier besser zu handeln. Es wird viele, viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt geben, die werden die nächsten Tage sagen, warum habt ihr das nicht verhindert, warum vermietet ihr denen eine öffentliche Halle, und das ist schon ein Thema, dass es tatsächlich nicht vermittelbar ist, dass eine Stadt Nürnberg einer Organisation wie der AfD, ob sie will oder nicht, ihre Meistersinger-Halle zur Verfügung stellen muss, und das macht dann schon auch durchaus traurig.
Engels: Christian Vogel (SPD). Er ist Zweiter Bürgermeister der Stadt Nürnberg und wir sprachen mit ihm über das Gerichtsurteil, wonach die AfD und Alexander Gauland am Samstag eben doch in der Meistersinger-Halle in Nürnberg auftreten dürfen. Vielen Dank für das Gespräch.
Vogel: Danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.