Berlin Ende März: Am Tag nach der Saarland-Wahl stellen sich die beiden Vorsitzenden der Linkspartei der Presse. Nach dem Austritt von Oskar Lafontaine ist die Linke im Saarland eingebrochen: Von 12,9 auf 2,6 Prozent. Eine ARD-Journalistin fragt die Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow nach ihrer Zukunft:
„Haben Sie darüber nachgedacht, selbst vielleicht irgendwann jetzt mal hinzuschmeißen? Haben Sie jetzt vielleicht wirklich mal die Schnauze voll? Es gibt ja hier einige Verwerfungen in dieser Partei, wir haben schon häufig darüber gesprochen.“
Hennig-Wellsow: „Naja, ich würd‘ jetzt mal sagen, der Grad von Schnauze voll bei uns beiden ist relativ hoch.“
23 Tage später veröffentlicht Hennig-Wellsow ihre Rücktrittserklärung. Ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler erfährt erst davon, als die Entscheidung bereits gefallen ist:
„Ich war von dem Rücktritt überrascht, und vor allem bedauere ich ihn sehr. Ich wäre gerne weiterhin mit Susanne Parteivorsitzende gewesen. Ich hätte gerne gemeinsam mit ihrem Parteitag vorbereitet, und, ja, bedauere diesen Schritt sehr.“
"Viele wissen nicht mehr, wofür wir stehen"
Das Duo Wissler/Hennig-Wellsow führte die Partei erst seit Februar 2021. Ihr Verhältnis zueinander galt als distanziert. Denn die Aufbruchsstimmung war spätestens mit der Bundestagswahl 2021 verflogen: Mit 4,9 Prozent scheiterte die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde, einzig drei Direktmandate retteten der Bundestagsfraktion das Überleben.
Der Niedergang setzte sich 2022 nahtlos fort: In den drei westdeutschen Landtagswahlen kam die Partei nicht einmal in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde.
Nach dem Rücktritt Hennig-Wellsows soll nun der komplette Parteivorstand neu gewählt werden. Beim Parteitag in Erfurt an diesem Wochenende geht es für die krisengeschüttelte Linke aber bei weitem nicht nur um das Personal. Sondern auch um die Frage, ob sich die chronisch zerstrittene Partei zusammenraufen kann. Und ob sie es schafft, inhaltliche Richtungsentscheidungen zu treffen.
„Das Problem ist ja nicht, dass die Leute uns nicht mehr wählen, weil sie sagen ‚eure Inhalte sind auf einmal irgendwie nicht mehr unsere’. Viele wissen irgendwie nicht mehr so richtig, wofür wir stehen. Und natürlich ist eine Partei, die sehr zerstritten wirkt und sich sehr viel mit sich selbst beschäftigt, eben auch nicht gerade attraktiv für Wählerinnen und Wähler“, sagt die verbliebene Vorsitzende Wissler.
Vielstimmigkeit statt klarer Antworten
Mario Candeias, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, beschreibt die zunehmend verhärteten Fronten zwischen den verschiedenen Parteilagern:
„Man kann ja sagen, die Partei besteht aus drei Parteien innerhalb derselben Partei, die im Moment teilweise unverbunden nebeneinanderstehen oder sogar konkurrieren miteinander. Was nicht gut ist und dann natürlich über die führenden Köpfe tatsächlich auch zerstritten wirkt.”
Dass die Linke wieder ein strategisches Zentrum braucht, darüber sind sich ausnahmsweise alle einig. Denn ob es um das Verhältnis zu Russland, die Rolle der Klimapolitik oder gewünschte Ziel-Wählergruppen geht: In vielen zentralen politischen Fragen liefert die Linke keine klaren Antworten, sondern Vielstimmigkeit.
Streitkultur mit extrem harten Bandagen
Thorsten Holzhauser von der Theodor-Heuss-Stiftung ist ein Kenner der Parteigeschichte. Er sieht ein entscheidendes Versäumnis:
“Es gibt eine ausgeprägte Streitkultur in der Partei, was an sich noch nichts Schlechtes ist. Das Problem ist aber, dass diese Streitkultur mit extrem harten Bandagen ausgetragen wird, aber der Streit im Grunde nie gelöst wird. Die Partei neigt traditionell dazu, am Ende solcher Streitigkeiten Formelkompromisse zu stellen, um den Zusammenhalt zu gewährleisten, die dahinterliegenden Probleme werden damit aber nicht gelöst.”
Die verbliebene Vorsitzende Janine Wissler will nun einige Grundsatzfragen klären. Dass die 41-Jährige wieder für den Vorsitz antritt, sehen Teile der Partei kritisch, denn Wisslers hessischer Landesverband steht im Zentrum von Sexismus-Vorwürfen. Männliche Parteimitglieder, darunter Wisslers damaliger Lebensgefährte, sollen ihre Machtstellung gegenüber jungen Frauen aus der Partei ausgenutzt haben, so der Vorwurf. Wisslers Ex-Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow forderte in ihrer Rücktrittserklärung einen vollständigen personellen Neuanfang. Ein kaum verdeckter Fingerzeig an ihre Kollegin Wissler.
Die Vorsitzende wiederum sieht sich als Opfer, von ihrem Lebensgefährten betrogen. Sie betont die Sacharbeit:
“Ich schlage drei Schwerpunktthemen vor. Das eine ist natürlich die Frage der sozialen Gerechtigkeit, gerade in Zeiten steigender Preise, steigender Mieten. Das zweite ist Klimaschutz sozial zu gestalten, nämlich wirklich in die Verkehrswende zu investieren, den ÖPNV auszubauen. Und das dritte, dass die Linke eben konsequente Friedenspartei ist und dass wir deutlich machen, dass wir zivile Konfliktlösungen brauchen.”
Wissler werden prinzipiell gute Chancen eingeräumt, wiedergewählt, im Amt der Vorsitzenden bestätigt zu werden. Sie entstammt der einflussreichen Strömung der Bewegungslinken, die die Nähe zu neuen sozialen Bewegungen sucht, vor allem aus den Bereichen Antirassismus und Klimaschutz.
"Neue Kultur des Zusammenhalts”
Ihre Gegenkandidatin Heidi Reichinnek ist allerdings mehr als eine Zählkandidatin: Die 34-Jährige ist Landeschefin der niedersächsischen Linken und Frauenbeauftragte der Bundestagsfraktion:
“Ich kandidiere, weil ich sage eine Erneuerung braucht neue Gesichter, neue Ideen und eine neue Kultur des Zusammenhalts”, sagt Reichinnek, die für eine neue Generation von Linken steht, die Wähleransprache, Parteiarbeit und Parteikultur modernisieren wollen.
In der politischen Ausrichtung fordert sie dagegen weniger eine Modernisierung, als eine Rückbesinnung:
“Wir müssen uns darauf fokussieren, dass das Thema soziale Gerechtigkeit unser Kernthema ist. Ich war bis vor wenigen Monaten noch in der Jugendhilfe. Ich habe genau miterlebt, wie das ist, wenn Kinder morgens kein Frühstück bekommen, wenn sie in der kalten Schule sitzen, wenn die Eltern irgendwie verzweifeln, weil sie einen Schulausflug nicht finanzieren können. Und das sind doch genau die Sorgen, die ich wieder aufgreifen muss. Und das ist auch das, was ich bis nach oben bis in den Bundesvorsitz mitnehmen möchte.”
Der Satzung der Linkspartei zufolge muss mindestens eine Frau Teil der Doppelspitze sein – diese Personalie wird in der Kampfkandidatur Wissler gegen Reichinnek entschieden. Die Partei-Arithmetik schreibt aber zudem vor, dass einer der beiden Spitzenposten an die Westlinke, der andere an die Ostlinke geht.
Für den Ostlinken-Platz, also die direkte Nachfolge Hennig-Wellsows, sind zwei Männer die aussichtsreichen Kandidaten. Martin Schirdewan gilt dabei als Favorit. Der 46-Jährige blieb 2019 als Linken-Spitzenkandidat bei der Europawahl blass, ist nun aber einer der Fraktionsvorsitzenden der europäischen Linken im EU-Parlament. Schirdewan wird parteiintern dem Lager der Reformer zugerechnet, das für Pragmatismus bekannt ist.
Soziale Fragen neu stellen
Auch der gebürtige Ost-Berliner betont die Brot-und-Butter-Themen – zum Beispiel den sozialen Ausgleich angesichts steigender Inflation. Allerdings gehört Schirdewan auch zu jenen Linken, die eine programmatische Weiterentwicklung fordern. Der Partei sollte es aus seiner Sicht darum gehen:
“Dass wir ein Profil gewinnen in den zentralen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklungen, nämlich der Frage des ökologischen Wandels und auch der Frage des digitalen Wandels. Dass wir das aus der Perspektive der sozial und auch vor allem einkommensschwächeren Menschen in der Gesellschaft machen.”
Dass sich Wissler und Schirdewan eine gemeinsame Doppelspitze gut vorstellen könnten, ist kein Geheimnis. Mit Sören Pellmann gibt es aber auch für den zweiten Platz an der Spitze eine Gegenkandidatur.
Pellmann ist Leipziger. Er gehört zu einem der drei Abgeordneten, die der Linken mit einem Direktmandat den Wiedereinzug in den Bundestag sicherten:
“Wir haben im Augenblick die Frage der Ukraine-Krise. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung lehnt Waffenlieferungen ab. Dort haben wir als Linke ein großes Potenzial”, so Pellmann.
Der 45-Jährige sieht aber noch andere programmatischen Schwerpunkte. Ihm geht es darum:
“Dass wir insbesondere die soziale Frage im Kontext der Post-Corona-Situation, aber auch der Kosten der jetzt kriegerischen Auseinandersetzungen stellen müssen. Also, wie wird es dazu führen, dass bei einer weiter steigenden Inflation Armut nach wie vor ansteigt? Und ein Thema, was derzeit ein bisschen in den Hintergrund getreten ist, ist nach wie vor die Situation von Mieterinnen und Mieter, die es immer schwerer haben, gerade in den Städten und Oberzentren bezahlbaren Wohnraum zu finden.”
Das Problem Wagenknecht
Auch Pellmann steht also für eine Besinnung auf die linken Kernfragen, weniger für eine Modernisierung. Und er hat damit die Unterstützung von Sahra Wagenknecht, deren Lager er nahesteht. Deshalb hat der Leipziger auf die Frage, warum die Wähler die Linke derzeit verschmähen, auch eine einfache Antwort:
“Also, ganz häufig habe ich das Argument im eigenen Wahlkreis gehört, euer Umgang mit Sahra Wagenknecht führt mich dazu, euch nicht mehr zu wählen. Ein Argument, das ich nicht ein oder zweimal, sondern hundertfach gehört habe.”
Pellmann wäre wohl der einzige Kandidat, der Wagenknecht wieder in die Partei integrieren könnte. Doch genau das macht ihn in weiten Teilen der Linken unwählbar: Denn viele sind nicht nur von Wagenknechts ständigen Querschüssen gegen die Partei genervt, sondern haben kein Interesse daran, die Linke nach dem Wagenknecht-Modell auszurichten - soziale Wirtschafts- , konservative Gesellschaftspolitik.
"Wenig Rückenwind, sondern ein Stück weit eine Belastung"
Die aktuelle Personaldebatte und die programmatischen Streitigkeiten im Bund beschäftigen die Partei auf allen Ebenen. Und so blicken viele Kommunalpolitiker und -politikerinnen wenige Tage vor dem Bundesparteitag mit Sorge auf ihre Partei. Fritz Viertel etwa, der Fraktionsvorsitzende der Linken in der Gemeindevertretung von Schöneiche bei Berlin. Viertel beschreibt die Stimmung unter den Kommunalpolitikern mit deutlichen Worten:
„Die Leute, die da mit einem sehr, sehr großen ehrenamtlichen Engagement da unterwegs sind, die sich, wenn man das auf Deutsch sagen will, den Arsch aufreißen, jeden Tag präsent sind, ja auch im Supermarkt, auf der Straße angesprochen werden von den Leuten vor Ort und ihren Kopf da immer wieder hinhalten müssen für die Auseinandersetzungen, die dann auf der Bundesebene passieren und die von den Leuten wahrgenommen werden, die kommen dann ja auch bei uns an. Und insofern ist die Situation, wie wir sie jetzt seit einiger Zeit haben, da wenig Rückenwind, sondern schon ein Stück weit eine Belastung.“
"Kommunalpolitik ist das Herzstück unserer Partei"
Maritta Böttcher, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Kreistag von Teltow-Fläming bei Berlin und ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete, plädiert dafür, sich stärker auf die kommunale Verankerung zu besinnen. Man müsse wieder „Kümmererpartei“ werden:
„Ich wünsche mir einfach, dass begriffen wird durch den neuen Parteivorstand, dass Kommunalpolitik das Herzstück unserer Partei ist. Ohne das Wirken jedes einzelnen Kommunalpolitikers vor Ort ist die Partei eigentlich bei den Menschen nicht vorhanden.“
Das scheint auch die Vorsitz-Kandidatin Heidi Reichinnek so zu sehen. Sie fordert, die Linke müsse wieder „mehr in die Fläche“ gehen:
„Wir haben Landtagsfraktionen, wir haben auch Regierungen, wo Unterstützung möglich ist. Wir haben lebendige Landesverbände. Wir haben in den Kreisverbänden Genoss:innen, die aktiv sind und denen einfach die Möglichkeiten an die Hand zu geben, die zu unterstützen, das ist der Schritt, der uns hilft. Und wir haben auch die Büros, in denen so etwas laufen kann und gerade da, wo wir eben in der Fläche nicht so gut vertreten sind, ist es natürlich Aufgabe der Bundespartei zu unterstützen und Leute in die Fläche zu schicken.“
Stabiles Wählerpotenzial im Bund
Eine erfolgreiche Kommunalpolitik sei die Grundlage für Erfolg auf der Bundesebene. Denn im Bund, so betonen Parteivertreter immer wieder, habe man eigentlich ein stabiles Wählerpotenzial. Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Umfrage im Auftrag der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung liefern dafür Argumente. Demnach könnten sich 18 Prozent der Wahlberechtigten vorstellen, die Linkspartei zu wählen. Die Befragung habe gezeigt,...
„…dass ganz stark die Forderungen der Linken, insbesondere für die Geringverdiener, also jene bis 1.500 Euro oder 2.500 Euro Haushaltseinkommen besonders attraktiv sind. Das war schon mal die erste immer noch interessante Nachricht, weil ja so oft der Linken nachgesagt wird, dass sie die Arbeiterklasse, die einfachen Leute oder so etwas nicht mehr vertreten würde, aber die sind immer noch eines der höchsten Wählerpotenziale mit 22 bis 24 Prozent jeweils“, so Mario Candeias von der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Er sagt allerdings auch, das Problem sei, dass gerade diese Menschen häufig nicht zur Wahl gehen.
Eine zweite Gruppe potenzieller Linken-Wähler findet sich laut Umfrage im linken, sozial-ökologisch geprägten Milieu. Trotz parteinaher Positionen verhielten die sich aber oft wahltaktisch - und wählten am Ende die Grünen, manchmal auch die SPD.
Problematische Parteikultur schreckt viele ab
In dieser zweiten potenziellen Gruppe gewinnt die Linke seit einigen Jahren auch regelmäßig Neumitglieder. Um sie anzusprechen, versucht sich die Linke zunehmend als sozial-ökologische Partei zu positionieren. Ein Leitantrag soll auf dem Parteitag diesen Kurs festigen.
Ob steigende Energiepreise und horrende Mieten: Für die Linke biete sich gerade bei vielen Themen die Chance, Ökologie und Sozialpolitik zu verbinden, sagt Thorsten Holzhauser von der Theodor-Heuss-Stiftung. Die problematische Parteikultur schrecke allerdings viele potenzielle Wählerinnen und Wähler ab:
„Die Machostrukturen und Sexismusvorwürfe, der erbitterte Streit, vor allem aber auch extrem widersprüchliche Aussagen aus Teilen der Partei, gerade wenn es um wichtige Themen für diese Wähler:innengruppen geht. Und nicht zuletzt auch die außenpolitische Positionierung, die wahrgenommene Nähe zu Russland: All das sind Kernthemen, die insbesondere links-grün orientierte Wähler:innen auch in den Großstädten, im Zweifel davon abhalten links zu wählen.“
Die Befragung im Auftrag der Luxemburg-Stiftung bestätigt diese Beobachtung. 43 Prozent der befragten Wahlberechtigten nannten die außenpolitischen Positionen der Linken als Grund, die Partei nicht zu wählen. Die traditionell russlandfreundliche Partei steht nun angesichts des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor einem lange verschleppten Klärungsprozess.
„Im Moment sucht die Partei außenpolitisch vielleicht einen vorsichtigen Mittelweg: klare Verurteilung Russlands, Solidarisierung mit der Ukraine, aber eben Ablehnung von Waffenlieferungen. Diese Linie wird im Grunde genommen aus zwei Richtungen kritisiert. Die Gruppe um Sahra Wagenknecht sieht in der klaren Verurteilung Russlands ein Problem, weil sie eine Mitschuld des Westens sieht, also insbesondere der NATO, und auf der anderen Seite haben sich einzelne Personen, unter anderem auch Bodo Ramelow, durchaus offen gezeigt, auch für Waffenlieferungen", so Holzhauser.
Konsequente Friedenspartei
Die Partei spricht also auch in der Russlandpolitik noch nicht mit einer Stimme. Die Linke müsse sich als konsequente Friedenspartei positionieren, fordert die Parteivorsitzende Janine Wissler - unabhängig von traditioneller oder ideologischer Nähe zu bestimmten Ländern, wie eben Russland:
„Wir müssen über jeden Verdacht erhaben sein, dass wir da irgendwie mit zweierlei Maß messen. Wir haben zu Recht immer die Kriege der USA und der NATO scharf kritisiert. Genau die gleiche Schärfe einer verbalen Verurteilung brauchen wir jetzt natürlich auch gegenüber Russland.“
Auch dieses Thema soll auf dem Parteitag mit einem Leitantrag aus dem Parteivorstand geklärt werden. Die Linke kritisiert darin, ein Novum, die russische Politik der vergangenen Jahre als „ imperialistisch“. Die Partei positioniert sich weiterhin gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, lehnt aber Wirtschaftssanktionen nicht mehr grundsätzlich ab, solange sie die Oligarchen treffen.
"NATO ist für den Ausbruch des Krieges mit verantwortlich“
Welches Konfliktpotential in diesem Thema steckt, zeigt sich bereits jetzt. Ein Gruppe von Mitgliedern, darunter Sahra Wagenknecht, hat einen Änderungsantrag veröffentlicht. Dort fordern sie die Streichung mehrerer besonders russlandkritischer Passagen. Mitunterzeichnerin Sevim Dağdelen, Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, gibt dem Westen eine Teilschuld an der Eskalation:
„Uns geht’s dabei klar zu machen, dass dieser Krieg durch nichts zu rechtfertigen ist, der ist ja auch völkerrechtswidrig, (…) aber er hat eine Vorgeschichte, dass das Bellen der NATO an Russlands Tür für den Ausbruch des Krieges mit verantwortlich ist.“
Ob die Linkspartei eine neue außenpolitische Haltung entwickeln kann, dürfte neben den Personalfragen zu den wichtigsten Weichenstellungen am Wochenende gehören.
Bei der Bundestagswahl 2025 geht es um die Existenz
Doch im Überlebenskampf der Linken wird der mühsame, arbeitsreiche Teil erst nach dem Parteitag beginnen. Die neue Doppelspitze wird vor der Aufgabe stehen, die Parteistruktur zu reformieren und einen programmatisch stimmigen Politikansatz zu entwickeln. Sie muss die unterschiedlichen Strömungen hinter einer gemeinsamen Idee versammeln und einen Umgang mit der Partei-Chefkritikerin Sahra Wagenknecht finden. Die Vorsitzenden werden außerdem die häufig schwierige Zusammenarbeit mit der Fraktionsspitze im Bundestag verbessern müssen. Denn bei der Bundestagswahl 2025 geht es um die Existenz.
Die Kommunalpolitikerin Maritta Böttcher jedenfalls hofft, dass sich die Linke beim Parteitag wieder auf ihre Kernthemen besinnt, und dass sie sich wieder um gesellschaftliche Probleme kümmert, statt um die eigenen Befindlichkeiten:
„Ich wünsche mir einfach, dass die Vernunft siegt, dass die Delegierten dieses Parteitages begriffen haben, was sie da für eine Aufgabe haben. Nämlich die Linke wieder als das auch nach außen darzustellen, was sie ist. Und wir können uns streiten im stillen Kämmerlein bis zum Umfallen, wenn gewünscht, aber wir müssen den Menschen zeigen, wir sind da für sie. Und was geklärt werden muss, das klären wir unter uns.“