Silvia Engels: Gestern am späten Nachmittag trafen sich die Spitzen von Union und SPD im Kanzleramt zum ersten Koalitionsausschuss nach der Sommerpause. Auf der Tagesordnung standen offiziell die Mietentwicklung und die Klimapolitik. Daneben ging es auch um die Grundrente und das Konzept von Finanzminister Scholz, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, aber für Spitzenverdiener beizubehalten. Doch hier in diesen Themen gab es keine Bewegung.
Mit in der Runde dabei war gestern Manuela Schwesig. Sie ist Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und sie ist eine von den drei Interimsvorsitzenden der SPD, nun am Telefon. Guten Morgen, Frau Schwesig!
Manuela Schwesig: Guten Morgen!
Engels: Wir haben es gehört: Fortschritte gibt es durchaus in Einzelpunkten. Beginnen wir damit. Die Mietpreisbremse soll verlängert werden. Verstöße des Vermieters sollen dazu führen, dass Geld zurückgezahlt wird. Und dann soll auch die Bremse etwas verschärft werden – dadurch, dass man einen längeren Betrachtungszeitraum wählt. So klar, so gut! Hilfreiche Einzelschritte, aber doch nicht die Antwort auf die Wohnungsnot in den Städten!
Schwesig: Das ist ein großer Fortschritt, den wir gestern erzielt haben, denn die Mietpreisbremse zu verlängern und vor allem zu verschärfen und auch weitere Maßnahmen für den ländlichen Raum zu beschließen, darüber wurde lange diskutiert. Das haben wir jetzt zusammen beschlossen und das ist ja nicht ein alleiniges Maßnahmenpaket. Es sind ja schon davor welche beschlossen worden, vor allem das große Thema, auch Geld für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen, und die Frage gutes Wohnen, bezahlbares Wohnen und vor allem auch ökologisches Wohnen ist das Thema des nächsten Jahrzehntes, auch eine große soziale Frage, und ich bin froh, dass wir da einen weiteren Schritt vorangekommen sind.
"Beschluss trägt SPD-Handschrift"
Engels: Aber die SPD wollte ja eigentlich mehr. Sie wollte zum Beispiel, dass bei Immobilienverkäufen künftig der Verkäufer komplett zahlt. Das kommt nun nicht. Außerdem gibt es ja weitergehende SPD-Ideen, in Ballungsräumen zum Beispiel einen kompletten Mietenstopp zu verhängen. Aus Bayern kam ja diese Idee. Warum kann sich die SPD hier nicht mehr durchsetzen?
Schwesig: Der Beschluss von gestern, der trägt ganz klar die SPD-Handschrift. Da hat sich ja eher die Union mit vielen Sachen schwergetan. Es ist immer so, dass wir uns einigen müssen. Das ist klar. Wenn die SPD alleine wäre, würden auch mehr gute Vorschläge kommen. Aber es ist nun mal so in der Koalition. Und noch mal: Die ganzen Fortschritte gerade beim Thema Wohnen und Mieten, bezahlbares Wohnen, sind vor allem Themen, die wir vorangebracht haben, und ich finde, gut an diesem Beschluss ist: Es geht nicht alleine nur um die Städte, sondern auch längst um den ländlichen Raum und hier auch Baulücken zu schließen für Familien, die sich zum Beispiel auch im ländlichen Raum entscheiden zu leben, das ist ein wichtiger Punkt.
Engels: Sie waren ja gestern in der Runde dabei. Wie steht es denn mit den anderen Themen, Soli-Abschaffung, Klimaschutz, Grundrente? Hier weiß man ja nur, dass eine Einigung nicht da ist. Kriegen Sie das denn jetzt schnell hin, am besten noch vor den Landtagswahlen im Osten?
Schwesig: Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch diese Themen gelöst werden, auch der Solidaritätszuschlag. Da liegt ein guter Gesetzentwurf von Herrn Scholz vor. Wir wollen den Solidaritätszuschlag in Deutschland abschaffen, aber eben nicht für die zehn Prozent der reichsten Leute. Es ist auch nicht notwendig, dass wir jetzt eine Steuersenkung für Reiche machen. Wir wollen vor allem die kleinen und mittleren Einkommen erreichen. Das ist so beschlossen im Koalitionsvertrag. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass die Union da mitmacht.
Zum Thema Klima, da haben wir weitere Gespräche vereinbart. Das ist auch notwendig, ein richtiges gutes Klimaschutzgesetz zu machen, was auch die nächsten Jahre trägt. Das ist eine komplexe Aufgabe, da miteinander weiter im Gespräch zu sein und dann was Gutes zu beschließen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Grundrente ja, da hätte ich mir mehr Dynamik gewünscht. Das ist ganz klar. Die Grundrente ist insbesondere in Ostdeutschland eine absolut soziale Frage. Gerade die Generation derjenigen, die nach der Wende die letzten 30 Jahre den Osten wieder aufgebaut haben, oft für kleine Löhne, geht jetzt in Rente, ist schon in Rente, und es ist wichtig, dass diese Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben, auch mehr haben, als wenn sie nicht gearbeitet haben. Das ist eine totale Gerechtigkeitsfrage und da erwarten wir von der Union, dass wir da auch zu einer guten Einigung kommen.
"Das muss eine Große Koalition schaffen"
Engels: Grundrente - Sie sprechen es an: gerade im Osten wichtig. Aber eben kein Durchbruch. Wie verkaufen Sie das nun der ungeduldigen SPD-Basis, die ja teilweise lieber heute als morgen die Regierung verlassen will?
Schwesig: Es geht nicht um Verkaufen. Es geht darum, eine gute Lösung zu bekommen für die Menschen im Land. Der ursprüngliche Entwurf im Koalitionsvertrag würde nur 100.000 Menschen erreichen. Das ist uns zu wenig. Wir wollen mehr Leute erreichen und eine Grundrente, die den Namen verdient. Wir wissen alle, dass die Union da Schwierigkeiten hat, und deshalb ist es einfach wichtig, jetzt weiter im Gespräch zu bleiben, zu verhandeln. Ich sage das ganz klar, auch als ostdeutsche Ministerpräsidentin. Ich erwarte, dass im Jahr, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, die deutsche Einheit auch vollendet wird durch die soziale Einheit und dazu gehört die Grundrente. Das muss eine Große Koalition schaffen. Ich glaube, darüber sind sich alle Beteiligten bewusst.
Engels: Einig sind Sie sich ja auch geworden, dass im Oktober Bilanz gezogen werden soll zwischen den Schwarzen und den Roten, wie erfolgreich die Koalition ist. Wird das zur Sollbruchstelle für die SPD, die Koalition zu verlassen?
Schwesig: Wir sind ganz klar verabredet, schon seit einiger Zeit im Koalitionsvertrag. Wir machen jetzt eine Halbzeitbilanz. Ich gehe davon aus, dass die auch ganz gut wird, weil ja schon viel erreicht wurde. Aber entscheidend für den Fortbestand der Großen Koalition ist: Gelingt es der Großen Koalition, die großen Zukunftsfragen zu beantworten. Dazu gehört ein gutes Klimaschutzgesetz. Dazu gehört eine gute Grundrente und sicherlich auch andere Themen. Das müssen wir miteinander besprechen. Am Ende kommt es darauf an, was können wir für die Menschen im Land erreichen.
"Trotzdem ist die SPD handlungsfähig"
Engels: Im Moment muss man ja auch immer die Vergabe des SPD-Parteivorsitzes mitdenken bei allem, was das Koalitionshandeln angeht. Gestern hat sich da noch ein Paar beworben. Die Parteilinke Hilde Mattheis will mit dem Gewerkschaftsfunktionär Dirk Hirschel antreten. Begrüßen Sie das?
Schwesig: Wir freuen uns über alle Kandidaturen und vergeben jetzt keine Noten, den finden wir besser oder den nicht. Wir stehen als Parteivorsitzende für ein faires und neutrales Verfahren. Aber die Kandidaturen jedenfalls der letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass da spannende Kandidaturen am Start sind, und es wird ein interessantes Auswahlverfahren. Trotzdem ist die SPD handlungsfähig, denn wir drei kommissarischen Parteivorsitzenden arbeiten auch an Themen jeden Tag und mit einem guten Ergebnis bei Mieten und Wohnen haben wir das gestern ja auch bewiesen.
Engels: Es gibt bislang, wenn ich richtig mitgezählt habe, 15 Bewerberinnen und Bewerber, prominente, weniger prominente, rechter, linker Flügel, Frauen, Männer, Paare, Einzelbewerber. Schön und gut, um die Breite der SPD darzustellen. Aber wird das Ganze unübersichtlich?
Schwesig: Nein! Ich gehe davon aus, dass das unsere Mitglieder noch überschauen. Wir machen in allen Landesverbänden Regionalkonferenzen, wo sich die Bewerberinnen und Bewerber vorstellen. Und schauen Sie: Vor einigen Tagen haben noch viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Medien gesagt, da passiert ja gar nichts und das bringt ja alles gar nichts. Jetzt sagen wieder alle, das ist zu viel. Man kann es so oder so sehen. Wir haben uns ganz klar dafür entschieden, dass wir Beteiligung der Basis wollen, dass wir ein offenes Verfahren haben, und es ist gut, dass wir jetzt viele Kandidaten aus ganz unterschiedlichen Generationen, aus unterschiedlichen Erfahrungsständen am Start haben. Da kann jedenfalls keiner mehr sagen, er hätte keine Auswahl.
"Ich möchte auch bei meiner klaren Aussage bleiben"
Engels: Ihr Parteifreund, der niedersächsische Ministerpräsident Weil hat aber bei uns im Interview der Woche das Auswahlverfahren grundsätzlich kritisiert. Es verunsichere die Mitglieder. Hat er recht?
Schwesig: Ich glaube, seine Aussage wurde zugespitzt dargestellt. Wir haben ja alle vor einigen Wochen genau dieses Verfahren einstimmig beschlossen und deswegen gehe ich auch davon aus, dass es alle auch weiter so mittragen. Dass natürlich, wenn man sich Zeit nimmt für so etwas, bei dem einen oder anderen auch eine Ungeduld kommt, das gehört einfach dazu. Aber da rate ich zur notwendigen, vielleicht auch norddeutschen Gelassenheit. Wir haben jetzt ein solches Verfahren. Das haben wir auch alle lange genug besprochen und beschlossen. Ich gehe davon aus, dass jetzt auch alle dazu stehen. Entscheidend ist, ist die SPD derzeit handlungsfähig, und das will ich noch mal eindeutig sagen. Das sind wir. Unsere Ministerinnen und Minister sind die treibenden Kräfte in der Großen Koalition. Abschaffung Soli von Finanzminister Scholz, "Gute Kita"-Gesetz von Franziska Giffey, ein guter Vorschlag bei Grundrente von Arbeitsminister Heil, Svenja Schulze, die für ein gutes Klimaschutzgesetz kämpft, Heiko Maas, der für die Außenpolitik unterwegs ist. Da kann wirklich nicht die Rede davon sein, dass bei der SPD irgendwie gerade nichts passiert.
Engels: Seit der Kandidatur-Bekanntgabe von Olaf Scholz am Freitag haben wir ja gelernt, dass Absagen für den Parteivorsitz auch schon mal zurückgenommen werden. Wie ist das bei Ihnen? Überlegen Sie nun trotz Ihrer Absage vor einigen Wochen, doch noch mal anzutreten?
Schwesig: Nein, ich habe mir das gut überlegt. Ich bin gerade vor zwei Jahren in einer schwierigen Situation, weil ich für den erkrankten Ministerpräsidenten eingesprungen bin, nach Mecklenburg-Vorpommern gegangen und möchte dieses Amt gut ausfüllen. In der Kombination als stellvertretende Parteivorsitzende habe ich auch die Möglichkeit, für meine Partei viel zu tun, und so soll es auch bleiben. Ich habe mir das gut überlegt, habe das am Anfang klar so gesagt, und ich möchte gerne auch bei meiner klaren Aussage bleiben.
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