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Erhard Eppler: Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt.

Die furchtbaren Anschläge vom 11. September vergangenen Jahres auf das World-Trade-Center in New York haben viele Menschen nachdenklich gestimmt. So auch Erhard Eppler. Der SPD-Vor- und Querdenker legt nun ein Buch vor, in dem er die neue Situation und die Konsequenzen beschreibt, die seiner Meinung nach aus dem 11. September 2001 gezogen werden müssen. Er sieht eine Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt und stellt Überlegungen an, wie diese gefährliche Entwicklung zu stoppen sei. Seine Antwort: Durch radikal neue Anforderungen an eine nationale und weltweite Sicherheitspolitik. Vorrangiges Ziel für Eppler ist es, das Gewaltmonopol im Inneren der Staaten zu stärken und darüber hinaus ein internationales Gewaltmonopol unter dem Dach der UNO zu errichten. Sein neues Buch "Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?" wird vorgestellt von Renate Faerber-Husemann:

Renate Faerber-Husemann |
    Erhard Eppler ist Politiker und weiß deshalb um die Macht der Begriffe. Privatisierte, kommerzialisierte Gewalt, oft verpackt in eine Ideologie, hat die Kriege des 20. Jahrhunderts abgelöst, schreibt er in seinem neuen Buch, das Antworten sucht auf die Frage, wie die Weltgemeinschaft dieser neuen Bedrohung begegnen könnte. Lange vor dem 11.September schon hat Eppler sich mit einem weltweit zu beobachtenden beklemmenden Phänomen befasst, nämlich der Auflösung des rechtsstaatlich kontrollierten Gewaltmonopols des Staates. Wo kein Staat mehr ist, so seine täglich durch die Nachrichten belegte These, besetzen Kriminelle diese Lücke, teilen ganze Länder unter sich auf, peinigen die Bevölkerung, ohne dass man von einem Kriegs- oder Bürgerkriegszustand sprechen könnte.

    Ich glaube, dass wir heute quer über den Globus, allerdings immer in unterschiedlichen Formen, die Entstaatlichung und die Privatisierung der Gewalt erleben. In den USA sind das die "gated communities", wo die Leute ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen und wo schon zehn Millionen Menschen sozusagen abgeschottet von den anderen leben und ihre Polizei selber bezahlen, in Kolumbien ist es die Auflösung des Staates eben nicht nur durch die Rebellen, sondern durch die Todesschwadronen, durch die Paramilitärs. In Afrika haben wir weite Gebiete, in denen es kein staatliches Gewaltmonopol, auch keine staatliche Justiz, überhaupt keinen Staat mehr gibt.

    Erste Vorboten einer Entwicklung, in der die einen sich Sicherheit kaufen, die anderen sich um Polizei und Gesetze nicht scheren, sieht er auch in Deutschland:

    Wir haben auch schon etwa so viel Angestellte in privaten Sicherheitsagenturen wie wir Polizisten haben. Und ich glaube, wir können das, was zum Beispiel in Ostdeutschland die Rechtsradikalen versuchen, nämlich selber zu entscheiden mit eigener Gewalt, wer wo leben darf und wer wo nicht leben darf. Das sind natürlich auch Ansätze von entstaatlichter privatisierter Gewalt. Und ich glaube, dass ein Pazifismus, der vor allem Antimilitarismus sein will, in dieser Welt gar keinen Sinn mehr ergibt.

    Schlagworte wie "Krieg gegen den Terrorismus" vernebeln für Eppler diese uns alle bedrohenden Gefahren allerdings eher, weil sie die Täter aufwerten, suggerieren, wir befänden uns in einem Krieg mit gleichwertigen Gegnern. Die Gewalt, die dort entsteht, wo der Staat sich zurückzieht oder sich aufgelöst hat, ist für ihn Kriminalität - sei sie nun ideologisch untermauert oder nicht. Wer sie wirksam bekämpfen will, muss neue Wege gehen. Die klassische Polizei, so weit überhaupt vorhanden und nicht selbst verstrickt, ist machtlos gegen Bedrohungen dieses Ausmaßes. Denn - so der frühere Entwicklungshilfeminister in seinem Buch:

    Die Gewalt verlagert sich vom Staat zum Warlord, dem Kriegsherrn, der Unternehmer, illegaler Händler, Kommandeur und Lokaldiktator in einem ist. Staatsverfall und Privatisierung der Gewalt bedingen, fördern und beschleunigen einander. Der Terrorist Osama Bin Laden ist nicht das apokalyptische Tier aus dem Abgrund, sondern einer dieser Kriegsherren, allerdings einer, der weltweit zuschlagen kann, der Chef eines multinationalen Gewaltunternehmens.

    Was also lässt sich unter diesen Umständen für die Sicherheit der Menschen tun? Wie bekämpft man die gigantischen Gewaltmärkte, die sich der Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden entziehen? Bin Laden hat uns gezeigt, dass die freien, reichen Industrieländer genauso verletzbar sind wie eine Dorfbevölkerung im Kongo. Kriege enden, so der ehemalige Geschichtslehrer Eppler, mit Kapitulation und Friedensschluss und nachfolgender "Entfeindung". Solche altehrwürdigen Methoden aber prallen am Fanatismus der heiligen Krieger ebenso ab wie an jenen, die dort am meisten verdienen wo das Chaos am größten ist. Neben einer Weltsozialpolitik, einer Fortschreibung der Entwicklungspolitik, fordert Eppler entschlossenes Eingreifen von außen, also ein internatonales Gewaltmonopol:

    Wenn man sich eine Weltpolizei vorstellt, die nun sozusagen die UNO aufstellt, dann wird das unendlich lange dauern. Wenn man sich das aber so vorstellt, dass verschiedene Länder oder Ländergruppen wie die Europäische Union bestimmte Kontingente bereitstellt, die als Polizei und als Militär ausgebildet sein muss, das ist etwas ganz Neues, und dass dann der Generalsekretär der UNO im Ernstfall darauf zurückgreifen kann und sagen kann, ihr stellt mir jetzt da 3000 Mann, die gleichzeitig Polizei- und Militäraufgaben übernehmen können, dann ist das nicht so schrecklich weit weg.

    Das wäre eine ganz neue Definition von Militäraufgaben. Ein solches Militär braucht eher Transportflugzeuge als Kampfbomber, wendige kleine Schiffe - etwa zur Bekämpfung von Piraterie - statt der riesigen Schlachtschiffe, Hubschrauber und Aufklärer statt Panzer - also eine Abkehr von allem, was die Symbole militärischer Macht im 20. Jahrhundert waren. Es klingt so einfach und einleuchtend, wenn Eppler schreibt: Erst wenn die Soldaten dem Schießen ein Ende gemacht haben, können Pazifisten anfangen, Frieden zu stiften. Die Beispiele Ex-Jugoslawien und in Afghanistan zeigen, dass die Politik in Einzelfällen diesen Weg schon geht. Vielleicht irgendwann auch im Nahen Osten oder auf dem vergessenen Kontinent Afrika. Mit aller Schärfe sagt der Mann, der in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine der Symbolfiguren der Friedensbewegung war:

    Pazifismus musste im 20. Jahrhundert Antimilitarismus sein. Im 21. Jahrhundert kann er es nicht mehr sein. Will er es bleiben, schrumpft er zur Sekte.

    Es ist ein aufregendes Buch, das hoffentlich zu kontroversen Diskussionen führen wird, denn Eppler verlangt von der Politik und von den Bürgern nicht weniger als eine Abkehr von Denkmustern, die seit dem Ende des 30jährigen Krieges Gültigkeit hatten.

    Eine Rezension von Renate Faerber-Husemann. Es ging um das neue Buch von Erhard Eppler: Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt. Erschienen ist es bei Suhrkamp in Frankfurt am Main, hat 154 Seiten und kostet 9 Euro.