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Eric Schlosser: Fast Food-Gesellschaft. Die dunkle Seite von Mc Food und Co.

Zum Bild jeder Metropole gehören die sogenannten Schnellimbiss-Restaurants, Fast Food- Ketten. Sie prägen nicht nur das Stadtbild, sondern auch das Essverhalten und haben so mehr Einfluss auf unseren Lebensstil, als den meisten bewusst sein mag. Sie sind praktisch, wenn man nur eine halbe Stunde Mittagspause hat oder gerade von einem Termin zum anderen hetzt. Aber es gibt auch Schattenseiten dieses Stücks Amerikanisierung oder Globalisierung. Die dunkle Seite von McFood hat Eric Schlosser analysiert. Sein Buch ist jetzt in Übersetzung erschienen.

Kathleen Becker |
    Die dunkle Seite von McFood... Tatsächlich: Trotz anhaltender globaler Expansion zählt vor allem McDonald’s zu den angefeindetsten Weltkonzernen. Selbst US-Präsident George W. Bush sagte kürzlich der fastfoodinduzierten Fettleibigkeit seines Volkes den Kampf an. Und ein US-Amerikaner verklagt gleich vier Schnellrestaurantketten: jahrzehntelanges Fast Food habe ihn krank gemacht; vom gesundheitsgefährdenden Potential der Burger und Pommes habe er nichts gewusst. "Fast Food Gesellschaft" - Was als zweiteilige Magazinserie begann, mit dem Ziel, Amerika über das Fastfood zu betrachten wurde zu einer seriös recherchierten und trotz Detailfülle sehr spannend zu lesenden Anklageschrift gegen eine weltumspannende Industrie. Eric Schlosser, der für seine Reportagen mehrfach preisgekrönt wurde, sammelte über drei Jahre hinweg konkrete Beweise für seine These: diese amerikanischste aller Mahlzeiten gefährdet nicht nur unsere Gesundheit. So heißt es in der Einleitung:

    In diesem Buch geht es um Fastfood, um die Werte, die es verkörpert, und um die Welt, die es geschaffen hat. Fastfood hat sich als revolutionäre Kraft im amerikanischen Leben erwiesen. Mich interessiert es sowohl als Gebrauchsgut als auch als Metapher. Was der Mensch isst (oder nicht isst), wurde stets von einem komplexen Zusammenspiel sozialer, wirtschaftlicher und technologischer Kräfte bestimmt. (...) Der Speisezettel eines Volkes kann mehr aussagen als seine Kunst oder Literatur. An jedem beliebigen Tag besucht in den USA etwa ein Viertel der Bevölkerung ein Fastfoodrestaurant. In einem relativ kurzen Zeitraum veränderte die Fastfoodindustrie nicht nur die Ernährung der Amerikaner, sondern auch ihre Umwelt, Wirtschaft, Arbeitsbedingungen und Populärkultur. Dem Fastfood und seinen Folgen kann man sich nicht entziehen, unabhängig davon, ob man es zweimal am Tag verzehrt, es zu vermeiden sucht oder noch nie probiert hat.

    Was ist eigentlich drin in den Hamburgern? Schlosser besuchte futuristische Aromafabriken, die Büros der Kartoffel- und Fleischmagnaten, die Unterkünfte erschöpfter mexikanischer Wanderarbeiter. Der Autor sprach mit den Teenagern, die den Laden am Laufen halten in einer Industrie, wo Fluktuationsraten von 100 Prozent keine Seltenheit sind. Man schätzt, dass einer von acht Werktätigen in den USA irgendwann einmal bei McDonald’s beschäftigt war. Mit den Eltern von Kindern, die an bakterienverseuchtem Hackfleisch starben. Mit Arbeitern der Fleischindustrie, die unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten und gesundheitsgefährdendes Formfleisch produzieren. Insgesamt zeichnet Schlosser das Bild einer deregulierten Industrie, die rücksichtslos, kaltschnäuzig und manipulativ agiert. Die, gestützt von einer starken politischen Lobby, niedrigstmögliche Produktionsstandards einhält und Billigstlöhne zahlt, ohne auszubilden. Hinter der Theke belohnen Franchise-Fastfoodunternehmen Gehorsam und Konformismus - nicht gerade die Werte einer demokratischen Zivilgesellschaft.

    Eine der Ironien in der Geschichte der amerikanischen Fastfoodindustrie besteht darin, dass eine Branche, die sich der Konformität verschrieben hat, von unkonventionell denkenden Selfmade-Männern begründet wurde, Unternehmen, die bereit waren, konventionellen Ansichten zu trotzen. Die wenigsten Begründer der Fastfoodimperien gingen aufs College oder waren gar studierte Ökonomen. Sie arbeiteten hart, nahmen Risiken auf sich und gingen ihren eigenen Weg. In vielerlei Hinsicht verkörpert die Fastfoodindustrie die positiven und negativen Aspekte des amerikanischen Kapitalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts - den konstanten Strom neuer Produkte und Innovationen und die sich vergrößernde Kluft zwischen Arm und Reich.

    Die Geschichte des rasanten Aufstiegs der Fastfoodimperien in den USA mag für europäische Leser vielleicht etwas ausführlich geraten sein, doch es ist kein Geheimnis, dass die meisten amerikanischen Trends - mit ein paar Jahren Verspätung und oft mit Umweg über Großbritannien - auch in Deutschland Fuß fassen. Im sächsischen Plauen, wo 1989 breitgefächerte Anti-Stasi-Proteste stattfanden, war ein McDonald’s, das erste Gebäude, das nach der Wende (...) gebaut wurde. Schlosser erinnert auch an die Kontroverse um die McDonald’s-Filiale nahe dem KZ Dachau. Dabei muss man Schlossers Bild von Deutschland als dem "amerikanisiertesten Land Europas", nicht unbedingt folgen. Das europäische Land, in dem das meiste Fast Food verzehrt wird - und das die höchsten Fettleibigkeitszahlen aufweist - ist nicht Deutschland, sondern Großbritannien. So machen in London zwei Greenpeace-Aktivisten McDonald’s seit über einem Jahrzehnt das Leben schwer, ein juristisches David-gegen-Goliath-Szenario. Dass Schlosser selbst bislang einer Klage der Fastfoodindustrie entgangen ist, ist wohl einer skrupellosen Recherche und den berühmten amerikanischen fact checkers zu verdanken. - Neben den schockierenden Geschichten aus der Welt des Junk Food stellt Schlosser auch Gegenmodelle vor: eine biologisch-artgerechte Rinderfarm und eine Art Slow Food-Familienrestaurant in Colorado zum Beispiel. Vor allem appelliert Schlosser jedoch - in Anlehnung interessanterweise an die Demonstrationen von Plauen 1989 - an die Macht der Verbraucher:

    Öffnen Sie die Glastür, spüren Sie den kühlen Luftzug, gehen Sie hinein, stellen Sie sich an und blicken Sie sich um, sehen Sie sich die Kinder an, die in der Küche arbeiten, die Kunden, die an den Tischen sitzen, die Werbung für die neuesten Spielsachen, studieren Sie die indirekt beleuchteten Fotos über der Theke, denken Sie daran, woher die Lebensmittel kommen, wie und wo sie hergestellt wurden, was durch jede einzelne Fastfoodmahlzeit in Gang gesetzt wird, an die Nachwirkungen nah und fern, denken Sie über all das nach. Dann geben Sie ihre Bestellung auf. Oder Sie drehen sich um und gehen hinaus.

    Spätere Auflagen der Originalversion Fast Food Nation enthielten übrigens ein Nachwort, in dem Eric Schlosser unter anderem auf BSE, Maul- und Klauenseuche und die Agrarwende in Deutschland einging. Es ist schade, dass dieses Nachwort für die deutsche Fassung zu spät kam - vor allem, da es deutlich macht, wie schwer es Schlossers Kritikern fällt, seine Analyse inhaltlich anzugreifen.

    Eric Schlosser: "Fast Food-Gesellschaft. Die dunkle Seite von Mc Food und Co.", erschienen im Riemann-Verlag in München. Es hat 448 Seiten und kostet 23.90 Euro.