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Erinnerung an Günter Grass
Die Wurzeln der engagierten Literatur

Der Schriftsteller Günter Grass zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Für seinen Roman "Die Blechtrommel" wurde er 1999 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Danach wurde jedes neue Buch von Grass immer auch ein mediales Ereignis. Sein Leben in Zitaten.

Von Katja Lückert |
    Günter Grass während der Leipziger Buchmesse im März 2015.
    Günter Grass während der Leipziger Buchmesse im März 2015. (Imago / Star-Media)
    Die Schwedische Akademie zeichnete Günter Grass 1999 mit dem Nobelpreis für Literatur aus und erhob ihn damit ultimativ in den Kreis der sakrosankten Literaten. Sie wird recht behalten mit ihrer Einschätzung, dass "Die Blechtrommel", das erste Buch der Danziger Trilogie, zu den bleibenden literarischen Werken des 20. Jahrhunderts gehören wird.
    "Am 1. September 1939, ich setze voraus, Sie kennen das Datum, datiert sich meine zweite große Schuld. Ich selbst, Oskar der Trommler, habe nicht nur meine arme Mama ins Grab getrommelt, ich war es auch, der meinen armen Onkel und mutmaßlichen Vater Jan Bronski in die polnische Post schleppte und so seinen Tod verschuldete."
    Mit dem Roman über den Wachstumsverweigerer Oskar Matzerath, 1979, 20 Jahre nach seinem Erscheinen von Volker Schlöndorff verfilmt, legte der Autor der Gruppe 47 eine Art Freiheitserklärung der deutschen Nachkriegsliteratur vor, der nichts mehr heilig sein wollte, und die keine Tabus mehr kannte.
    "Das liegt sicher auch daran, dass alle meine Bücher, die Prosabücher insbesondere, ein Klima mit sich bringen, dass von der jeweiligen Zeit, in der es geschrieben wurde, mitbestimmt wird. Die Blechtrommel ist ein typisches Buch der 50er-Jahre. Das liegt sicher auch daran, dass ich mich als Schriftsteller immer auch als Zeitgenosse empfunden habe."
    Von da an, wurde jedes neue Buch von Grass immer auch ein mediales Ereignis, das auf geschickte Weise vom Autor in Szene gesetzt wurde. Grass beherrschte das literarische und politische Showgeschäft wie kaum ein anderer Autor seiner Zeit. Willy Brandt, Björn Engholm, Gerhard Schröder - Grass hielt der SPD und ihren Spitzenkandidaten lange Zeit die Stange, allerdings nicht um jeden Preis. Aus Protest gegen die Asylpolitik der Sozialdemokraten trat er 1993 wieder aus der SPD aus.
    "Der äußere Anlass mich politisch zu engagieren, hatte mit Literatur direkt wenig zu tun. Ich kam 1960 zurück aus Paris und erlebte ein Jahr später, 61 als die Mauer gebaut wurde und Willy Brandt zum ersten mal als Bundeskanzler für die SPD kandidierte, dass eine abscheuliche Diffamierungswelle gegen ihn lief, ausgelöst von dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, in Regensburg. Auf einer Rede hat er das zum ersten Mal ausgesprochen, die Diffamierung der deutschen Emigration, zusätzlich noch Brand als uneheliches Kind. Diese Diffamierung ist sehr wirkungsvoll gewesen und ich weiß es aus eigener Erfahrung und wir können es in der Literatur nachlesen, der Diffamierte kann sich selbst schlecht wehren und deshalb ich es unter anderem als eine Aufgabe der Schriftsteller angesehen, auch nach französischem Vorbild, hier den Part des Diffamierten zu ergreifen."
    Auch sich selbst musste Günter Grass einige Male als Diffamierten verstehen, Opfer der politischen Gegner und besonders der Literaturkritiker, die er 1965 in seiner Dankesrede für den Büchnerpreis so charakterisierte:
    "Unsere Hohepriester der knitterfreien Biografie, die sich das possierliche Vorrecht, Gewissen der Nation spielen zu dürfen, jeweils im Feuilleton irgendeiner halbliberalen Zeitung abverdienen."
    Sein schärfster Kritiker zerriss sogar sein DDR-Buch "Ein weites Feld" auf der Titelseite des Spiegels, das war 1995.
    Reich-Ranicki: "Wie kommt es, dass er nichts erzählen kann, keine Geschichte nichts."
    Und dann erzählte er in seinem Roman: "Beim Häuten der Zwiebel" doch noch die alte Geschichte, nachdem er lange über seine Vergangenheit als jugendlicher Panzerschütze der SS-Division "Frundsberg" geschwiegen hatte.
    "Ich spreche aus Erfahrung: 16 zählte ich, als ich Soldat wurde. Mit 17 lernte ich das Fürchten und glaubte dennoch bis zum Schluss, als längst alles in Scherben gefallen war, an den Endsieg. Seitdem will mir der Krieg, selbst während der Pausen, die Frieden heißen, nicht aufhören."