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Erinnerung an Thomas Brasch

Das Berliner Ensemble erinnert mit zwei szenischen Abenden an Thomas Brasch. Die Schauspieler brillieren, doch die Inszenierung von Philipp Tiedemann macht Braschs Text "Mercedes" zu einem eher harmlosen Konversationsstück.

Von Hartmut Krug |
    Das Berliner Ensemble, neben dem Brasch am Schiffbauerdamm 5 wohnte, hat ein Brasch-Erinnerungswochenende mit Filmen, einer Ausstellung, Reden über Brasch und zwei szenischen Abenden veranstaltet. Auf der Probebühne richtete Manfred Karge eine szenische Collage unter dem Titel "Vor den Vätern sterben die Söhne" ein. Der Versuch, chronologisch Biografie und Werk des Autors vorzustellen, verschränkt biographisches und politisches mit dem literarischen Werk und wirkt wie ein weihevoll tremolierendes Kulturprogramm. Karge sitzt am Dozententisch und liest großväterlich Texte vor, während auf der Rückwand hinter dem Bühnenpodest Dokumente und Fotos die Texte kommentieren. Drei Schauspielschüler tragen, sitzend auf hohen Stühlen vor einem Geländer als seien sie im Zeugenstand, weitere Texte des Dichters vor. Mal chorisch, mal singend, mal rauchend, aber immer mit Bedeutsamkeitsheftigkeit. Nicht aus dem titelgebenden Erzählband, sondern aus "Papiertiger", der Bestarbeiterparodie "Kasimir und Margarete", aus dem von Karge und Matthias Langhoff 1980 in Bochum uraufgeführtem Georg-Heym-Stück "Lieber Georg", aus "Kassandra" und aus dem Bauernkriegstext "Hahnenkopf 1525":

    "Als feststand Doppelpunkt Die Antwort auf die Forderung der Bauern heißt Doppelpunkt die Vernichtung der Bauern Komma Verhandlungen werden vergessen Komma schrien die Bauern vom Neckartal Doppelpunkt Anführung Warten heißt auf den Tod warten Abführung."

    Insgesamt atmet diese szenische Einrichtung etwas ältlich kraftmeierisch Besinnliches. Was haften bleibt, sind Sprüche vom Aufbegehren und die Frage nach Gehen oder Bleiben, ist der Versuch, auf ein eigenes Leben im falschen zu beharren.
    "Wie viele sind wir eigentlich noch? War es nicht der mit der Jimi-Hendrix-Platte? Jetzt soll er Ingenieur sein. Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte. Wir sind die Aufgeregten, er ist der Satte."

    All das wirkt ungemein ehrlich, doch erscheint es, eingebettet in einen starken Gestaltungswillen von Autor und Inszenierung, auch wie eine Pose. Der Abend: ein Dokument der Kulturerinnerung.
    Das Drei-Personen-Stück "Mercedes", 1973 von Matthias Langhoff in Zürich mit Christoph Waltz und Katharina Thalbach uraufgeführt, hat Regisseur Philip Tiedemann entgegen der Aufführungstradition mit älteren Darstellern inszeniert. Im Stück treffen ein Mann und eine Frau irgendwo im gesellschaftlichen Niemands- und dramatischen Bedeutungsland aufeinander. Brasch hat sein Stück in Notizen und mit Zwischentiteln, in denen das Stück zu einer Versuchsanordnung erklärt wird, als Spiel mit theatralischer Zeitlosigkeit anzusiedeln gesucht.

    Regisseur Philipp Tiedemann allerdings behauptet eine Zeit- und Ortlosigkeit des Stückes und macht es zu einem harmlosen Konversationsstück in vier hintereinander verschachtelten Raumfenstern. Ob das, was besprochen wird, wirklich passiert, bleibt offen. So wie offen bleibt, ob Sakko - Dieter Montag spielt ihn mit seiner mauligen Verstocktheit wunderbar gelassen - arbeitslos ist, ob er den Mercedes, der für Luxus und Bewegung steht, wirklich überführt, und ob Oi - Swetlana Schönfeld gibt den temperamentvollen Widerpart - wirklich eine Hure ist. Es macht eine Zeitlang Vergnügen, den beiden souveränen Schauspielern bei ihrem Handwerk zuzuschauen. Warum die beiden elegant gekleideten Herrschaften im besten Alter hier auf der Straße mit sich und dem anderen ihre Probleme haben, warum sie ungelenke Hasch-Mich-Spiele treiben und philosophische Überlegungen vortragen, warum sie immer wieder von vorn beginnen und warum sie in albern kürzelhaften Sätzen reden, all das macht die Inszenierung weder klar noch plausibel. Immerhin sind die langen Monologe, in denen bei Brasch nicht die Figuren, sondern aparterweise ihre Darsteller arg existentialistisch vor sich hin reden, gekürzt oder gnädig gestrichen. Mercedes ist ein ehrgeizig misslungenes Stück, gezeigt in einer kleinmütigen, belanglos unterhaltsamen Inszenierung. Warum wir den Dramatiker Thomas Brasch nicht vermisst haben, machen die beiden Abende im Berliner Ensemble unfreiwillig deutlich. Was bleibt, ist ein Thomas Brasch als sprachkräftiger Übersetzer von Tschechow und Shakespeare.