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Erinnerungen einer Ärztin an Tschernobyl
"Diese schreckliche Weltkatastrophe"

Kinder sollten nicht mehr im Sandkasten spielen, Pilze und Wildfleisch galten plötzlich als gefährlich: Der Atomunfall im ukrainischen Tschernobyl sorgte im Frühjahr 1986 auch in Deutschland für Angst und Verunsicherung. Paulina Zerluk hat die Katastrophe als Neurologin aus nächster Nähe miterlebt.

Von Frederik Rother | 18.11.2017
    Fachleute messen vom Helikopter aus die radioaktive Strahlung der Atomkraftwerks in Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986.
    Fachleute messen vom Helikopter aus die radioaktive Strahlung der Atomkraftwerks in Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986. (picture alliance/ dpa/ Sputnik)
    Gut 30 Jahre später ist von der Aufregung nur noch wenig zu spüren. Paulina Zerluk befürchtet, die Erinnerung an den Reaktorunfall könnte langsam aber sicher verblassen. Seit 1995 lebt die Neurologin und gebürtige Ukrainerin in der Bundesrepublik. Sie war Teil eines Ärzteteams, das unmittelbar nach der Katastrophe in das betroffene Gebiet geschickt wurde. Ohne genaue Informationen über das Ausmaß des Unfalls und die radioaktive Gefahr untersuchte Zerluk gemeinsam mit ihren Kollegen die Menschen vor Ort und unterstützte die Evakuierung - eine Mission, die für viele der Ärzte tödlich endete.
    In "Gesichter Europas" erzählt Paulina Zerluk von den ersten Tagen nach dem Unfall, der Unwissenheit, der eigenen Krankheit, die auf den Einsatz folgte, und darüber, wie der Atomunfall von Tschernobyl ihr Leben für immer veränderte.
    Paulina Zerluk sitzt zu Hause in Koblenz auf ihrem Sofa, neben ihr Hund Knopka
    Die Heldin zahlte einen hohen Preis
    Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 ist Paulina Zerluks Lebensthema. Als Neurologin war die Ukrainerin unmittelbar nach dem Atom-Unfall vor Ort, um die Menschen medizinisch zu versorgen. Ein Einsatz, der ihr Leben veränderte.
    Ein Einsatz und viele Fragezeichen
    Die sowjetische Informationspolitik zum Atomunglück von Tschernobyl war mehr als restriktiv. Auch Paulina Zerluk, die Teil eines Ärzteteams war und die Menschen im Katastrophengebiet medizinisch versorgte, wusste nicht, was ihr bevorstand - und welcher Gefahr sie selbst ausgesetzt war.
    Medizinerin aus Leidenschaft
    Ihre Arbeit als Ärztin bedeutet Paulina Zerluk viel. Bis heute schwärmt die 87-Jährige von ihrer Zeit als Neurologin in Kiew. Trotz antisemitischer Repressionen konnte sie sich in ihrem Beruf durchsetzen. Doch der Einsatz in Tschernobyl 1986 machte auch sie zur Patientin.
    Lebensmittel auf dem Prüfstand
    Nach der Katastrophe in Tschernobyl signalisierte die sowjetische Staatsführung, dass sie die Lage im Griff habe. Doch bald kam Misstrauen auf: Besonders Lebensmittel waren verdächtig. Bis heute lassen sich etwa in Pilzen und Wildfleisch erhöhte Cäsiumwerte nachweisen.
    Paulina Zerluk ist Optimistin geblieben
    Tschernobyl hat das Leben vieler Menschen in der Ukraine und in Belarus für immer verändert. Wer der Strahlung ausgesetzt war, aber überlebte, hatte oft mit Krebs zu kämpfen. Ihr Leben, sagt die Ärztin Paulina Zerluk heute, zerfällt in zwei Teile: in die Zeit vor und nach Tschernobyl.