Über Jahrzehnte hatten sich Vereine und Verbände im Sport kaum für ihre Rolle im Dritten Reich interessiert. Doch inzwischen bereichern viele von ihnen die Erinnerungskultur. "Der Sport gehört zur Lebensrealität von vielen Menschen", sagt die Politikwissenschaftlerin Nina Reip, die bei der Deutschen Sport-Jugend die Geschäftsstelle des Netzwerks "Sport und Politik" leitet, im Deutschlandfunk-Sportgespräch: "Es gibt im Sport gute Anknüpfungspunkte, über die gerade junge Menschen eine emotionale Verbindung zu dem aufbauen können, was damals passiert ist."
Sportnetzwerk erinnert an Opfer der Nazis
Nina Reip zählt zu den prägenden Köpfen des ehrenamtlichen Sportnetzwerkes "Nie Wieder", das seit 17 Jahren rund um den Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar Gedenkveranstaltungen und Bildungsangebote koordiniert. Gedenkstättenfahrten, Forschungen in Stadtarchiven, Theaterstücke oder das Putzen von Stolpersteinen.
In diesem Jahr erinnert das Bündnis in dutzenden Veranstaltungen bundesweit an die Menschen, die wegen ihrer Sexualität von den Nazis verfolgt wurden. Die meisten Formate finden wegen der Pandemie digital statt. Nina Reip wirkte vor kurzem an einem Kurzfilm mit, an einem digitalen Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte in Dachau bei München. In einer Zeit, in der immer weniger Zeitzeugen von ihrem Leid berichten können, werden Formate wie diese zunehmend die Gedenkkultur prägen.
In den vergangenen Jahren haben Fans und Historiker und Historikerinnen in etlichen Städten Öffentlichkeit für verfolgte jüdische Sportler und Funktionäre geschaffen, zum Beispiel für Julius Hirsch, Gottfried Fuchs, Walther Bensemann oder Kurt Landauer. Weniger Aufmerksamkeit erhielten prominente Täter in den Vereinen.
Noch ist wenig über die Täter bekannt
Eine Ausnahme: Otto Harder, einer der wichtigsten Spieler des Hamburger SV in den 1920er Jahren. Harder wurde 1932 Mitglied der NSDAP und trat 1933 in die SS ein, später arbeitete er als Wachmann in mehreren Konzentrationslagern. "Das ist eine spannende Biografie, weil er auf der einen Seite ein HSV-Star war und auch nach 1945 weiter geehrt wurde", sagt Paula Scholz. Die Politikwissenschaftlerin und freie Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg hatte 2016 an einer Ausstellung über den "Hamburger Fußball im Nationalsozialismus" mitgewirkt.
Auch der Sport bietet Orte, um über Geschichte zu diskutieren: frühere KZ-Außenlager oder Aufmarschplätze in der Nähe von Stadien, Treffpunkte von Widerstandskämpfern in Vereinskneipen. Die Forschungen gestalten sich mitunter schwer. "Die großen Vereine haben in der Regel Archive", sagt Paula Scholz, doch bei kleineren Vereinen oder Landesverbänden sehe das anders aus: "Und wenn es die Archive gibt, sind es vielerorts Räume im Keller, die gar nicht öffentlich sind."
Auch der Sport bietet Orte, um über Geschichte zu diskutieren: frühere KZ-Außenlager oder Aufmarschplätze in der Nähe von Stadien, Treffpunkte von Widerstandskämpfern in Vereinskneipen. Die Forschungen gestalten sich mitunter schwer. "Die großen Vereine haben in der Regel Archive", sagt Paula Scholz, doch bei kleineren Vereinen oder Landesverbänden sehe das anders aus: "Und wenn es die Archive gibt, sind es vielerorts Räume im Keller, die gar nicht öffentlich sind."
An etlichen Bundesliga-Standorten sind Partnerschaften zwischen Vereinen, Fanprojekten, Gedenkstätten und Stadtarchiven entstanden. Wichtig sei es, das Wissen über die Vergangenheit in die Gegenwart zu übertragen. "Der Antisemitismus äußert sich sehr vielseitig", sagt Pavel Brunßen, der sich seit Jahren wissenschaftlich mit Diskriminierungsformen im Fußball beschäftigt, aktuell auch in seiner Promotion an der University of Michigan.
Aktivisten werden von Neonazis angefeindet
Brunßen hat Beispiele für Antisemitismus analysiert. Hassgesänge von Fans auf Reisen, die Schändung eines jüdischen Friedhofes oder Attacken auf Makkabi, "als Blitzableiter für Wut über den Israel-Palästina-Konflikt, wo ein jüdischer Verein in Haftung genommen wird".
Weniger problematisiert wird der Antiziganismus, die Feindschaft gegen Sinti und Roma. Vielerorts nutzen Fans, Profispieler und Jugendkicker das Wort "Zigeuner" zur Abgrenzung. "Der Begriff ist geschichtlich aufgeladen und transportiert Stereotype", sagt Pavel Brunßen. "Das wird öffentlich gar nicht diskutiert. Und wenn dann doch mal darüber gesprochen wird, heißt es immer: Es ist nicht so gemeint und es ist doch gar kein Problem."
Zahlreiche Gruppen und Aktivisten, die sich gegen Rechtsextremismus stark machen, werden von Neonazis angefeindet. Daher wünscht sich Pavel Brunßen im Fußball eine "zentrale Antidiskriminierungsstelle, die langfristig arbeiten kann und an niemanden gebunden ist". Eine Institution, die lokales Wissen vernetzt. Denn davon ist reichlich vorhanden.